Die Zeit der Abenteuer ist vorbei
Dank moderner Anästhesie ist das Risiko geringer als beim Schwimmen oder Autofahren. Wie die Kliniken an der Paar ihre Patienten bei einer Operation umsorgen / Serie (5)
Aichach Friedberg Operative Eingriffe an Menschen gibt es schon seit Jahrtausenden. Das Problem der Wundschmerzen ließ sich dabei lange nur unzureichend lösen. Man gab ein buntes Sammelsurium von Betäubungsmitteln, wie Zubereitungen aus Mohn, Alraunen, Bilsenkraut, Schierling oder alkoholische Getränke, versuchte, durch Würgen oder Ausbluten eine Bewusstlosigkeit herbeizuführen oder die Schmerzen durch schnelles Operieren kurz zu halten. Napoleons Leibarzt schaffte etwa mehr als 100 Amputationen pro Tag. Viele starben an solchen Eingriffen; wenn nicht durch die Qual, dann durch Verbluten oder an Wundinfektionen. Die moderne Anästhesie ist dagegen eine sichere Sache. Nur etwa 50 bis 100 Menschen sterben in Deutschland heute jährlich durch eine Narkose, so der Leiter der Anästhesie in den Kliniken an der Paar, Norbert Schneider.
Das Krankenhaus Friedberg verfügt über drei Operationssäle, das in Aichach über zwei. Pro Jahr wird laut Schneider insgesamt etwa 6000-mal operiert. Vor jeder Betäubung finden eine Untersuchung und ein Gespräch mit dem Anästhesisten statt. Die Vorgeschichte der Krankheit wird aufgenommen. Es wird das am besten geeignete Narkoseverfahren gewählt, wobei die Übergänge zwischen bloßer Sedierung, Teilund Vollnarkose fließend sein können. Und es wird über mögliche Risiken aufgeklärt. Schneider stellt dabei fest, dass ein nicht unbeträchtlicher Teil der Patienten Angst vor der Betäubung hat. Der Grund dafür ist, dass man sich ausgeliefert fühlt, völlig die Kontrolle verliert. Er betont jedoch: „Die Zeiten, als Narkosen noch Abenteuer waren, sind definitiv vorbei.“
Den Beginn der modernen Anästhesie markiert das Jahr 1846, als erstmals kontrolliert Äther verabreicht wurde. Durch technischen Fortschritt und die Entwicklung neuer Medikamente wurden Narkosen ab diesem Zeitpunkt immer sicherer. Zunächst führten meist Krankenschwestern die Betäubung nach den Anweisungen des Operateurs durch. Ab der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts lösten spezialisierte Ärzte die Schwestern ab. Damit konnte sich der Chirurg voll auf die Operation konzentrieren. Durch die Arbeitsteilung nahmen die Operationserfolge weiter zu.
Wie Schneider erläuterte, ist heute im Anschluss an das Medizinstudium eine fünfjährige Weiterbildung mit Abschlussprüfung nötig, um als Facharzt für Anästhesie anerkannt zu werden. Ohne diese Qualifikation darf kein Arzt selbstständig Patienten narkotisieren. Der hohe Ausbildungsstand des Narkosearztes sichert komplikationsfreie Abläufe.
Dazu trägt auch ausgefeilte Technik bei. Während einer Narkose werden Herztätigkeit, Blutdruck und der Sauerstoffgehalt des Blutes kontinuierlich und in kurzen Abständen kontrolliert. Die Atmung kann unterstützt und dabei können auch, fein dosiert, gasförmige Medikamente zugeführt werden. Regelmäßig werden bei der Überwachung auch Ableitungen der elektrischen Hirnströme, um die Narkosetiefe zu ermitteln, und die Messung des Grades der medikamentösen Muskelentspannung eingesetzt.
Ein Aufwachen während der Operation ist so gut wie ausgeschlossen. Ebenso ist das Aufwachen kurz nach dem Ende des Eingriffs gewährleistet. Die Narkose lässt sich nach Aussage von Schneider durch moderne, nebenwirkungsarme Medikamente gut steuern. Dem Popstar Michael Jackson wurde übrigens das Narkosemittel Propofol verabreicht, um seine Schlafstörungen zu beheben. Wäre er angemessen überwacht worden, so Schneider, dann würde er heute noch das Publikum mit seinen Bühnenshows begeistern.
Wie der Anästhesist sagte, hat kaum jemand Bedenken, ins Schwimmbad zu gehen oder in ein Auto zu steigen. Dabei ist die Gefahr, beim Schwimmen oder Autofahren zu sterben, um ein Vielfaches höher als bei einer Narkose. Der Patient ist zwar völlig vom Narkosearzt abhängig, aber der weiß, was er tut. 14 Fachärzte sowie zahlreiche Pflegekräfte, die Kanülen legen, bei der Narkose assistieren und auf Anweisung des Arztes das Narkosemittel verabreichen, gehören zum Team der Anästhesie der Kliniken an der Paar.
Dr. Norbert Schneider ist gebürtiger Münchner. Er studierte Medizin in Mün chen, Berlin und Ulm und war anschließend als Assis tenzarzt im Klinikum rechts der Isar tätig. Daneben absol vierte er die Weiterbildung in Schmerztherapie und die Ausbildung zum Leitenden Notarzt. Seit 1994 ist Schneider Chefarzt der Abteilung für Anästhesie und Intensivmedizin des Krankenhauses Friedberg.