Friedberger Allgemeine

Die Zeit der Abenteuer ist vorbei

Dank moderner Anästhesie ist das Risiko geringer als beim Schwimmen oder Autofahren. Wie die Kliniken an der Paar ihre Patienten bei einer Operation umsorgen / Serie (5)

- VON ANDREAS ALT Haben Sie Fragen an unsere Experten? Dann schreiben Sie uns an

Aichach Friedberg Operative Eingriffe an Menschen gibt es schon seit Jahrtausen­den. Das Problem der Wundschmer­zen ließ sich dabei lange nur unzureiche­nd lösen. Man gab ein buntes Sammelsuri­um von Betäubungs­mitteln, wie Zubereitun­gen aus Mohn, Alraunen, Bilsenkrau­t, Schierling oder alkoholisc­he Getränke, versuchte, durch Würgen oder Ausbluten eine Bewusstlos­igkeit herbeizufü­hren oder die Schmerzen durch schnelles Operieren kurz zu halten. Napoleons Leibarzt schaffte etwa mehr als 100 Amputation­en pro Tag. Viele starben an solchen Eingriffen; wenn nicht durch die Qual, dann durch Verbluten oder an Wundinfekt­ionen. Die moderne Anästhesie ist dagegen eine sichere Sache. Nur etwa 50 bis 100 Menschen sterben in Deutschlan­d heute jährlich durch eine Narkose, so der Leiter der Anästhesie in den Kliniken an der Paar, Norbert Schneider.

Das Krankenhau­s Friedberg verfügt über drei Operations­säle, das in Aichach über zwei. Pro Jahr wird laut Schneider insgesamt etwa 6000-mal operiert. Vor jeder Betäubung finden eine Untersuchu­ng und ein Gespräch mit dem Anästhesis­ten statt. Die Vorgeschic­hte der Krankheit wird aufgenomme­n. Es wird das am besten geeignete Narkosever­fahren gewählt, wobei die Übergänge zwischen bloßer Sedierung, Teilund Vollnarkos­e fließend sein können. Und es wird über mögliche Risiken aufgeklärt. Schneider stellt dabei fest, dass ein nicht unbeträcht­licher Teil der Patienten Angst vor der Betäubung hat. Der Grund dafür ist, dass man sich ausgeliefe­rt fühlt, völlig die Kontrolle verliert. Er betont jedoch: „Die Zeiten, als Narkosen noch Abenteuer waren, sind definitiv vorbei.“

Den Beginn der modernen Anästhesie markiert das Jahr 1846, als erstmals kontrollie­rt Äther verabreich­t wurde. Durch technische­n Fortschrit­t und die Entwicklun­g neuer Medikament­e wurden Narkosen ab diesem Zeitpunkt immer sicherer. Zunächst führten meist Krankensch­western die Betäubung nach den Anweisunge­n des Operateurs durch. Ab der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunder­ts lösten spezialisi­erte Ärzte die Schwestern ab. Damit konnte sich der Chirurg voll auf die Operation konzentrie­ren. Durch die Arbeitstei­lung nahmen die Operations­erfolge weiter zu.

Wie Schneider erläuterte, ist heute im Anschluss an das Medizinstu­dium eine fünfjährig­e Weiterbild­ung mit Abschlussp­rüfung nötig, um als Facharzt für Anästhesie anerkannt zu werden. Ohne diese Qualifikat­ion darf kein Arzt selbststän­dig Patienten narkotisie­ren. Der hohe Ausbildung­sstand des Narkosearz­tes sichert komplikati­onsfreie Abläufe.

Dazu trägt auch ausgefeilt­e Technik bei. Während einer Narkose werden Herztätigk­eit, Blutdruck und der Sauerstoff­gehalt des Blutes kontinuier­lich und in kurzen Abständen kontrollie­rt. Die Atmung kann unterstütz­t und dabei können auch, fein dosiert, gasförmige Medikament­e zugeführt werden. Regelmäßig werden bei der Überwachun­g auch Ableitunge­n der elektrisch­en Hirnströme, um die Narkosetie­fe zu ermitteln, und die Messung des Grades der medikament­ösen Muskelents­pannung eingesetzt.

Ein Aufwachen während der Operation ist so gut wie ausgeschlo­ssen. Ebenso ist das Aufwachen kurz nach dem Ende des Eingriffs gewährleis­tet. Die Narkose lässt sich nach Aussage von Schneider durch moderne, nebenwirku­ngsarme Medikament­e gut steuern. Dem Popstar Michael Jackson wurde übrigens das Narkosemit­tel Propofol verabreich­t, um seine Schlafstör­ungen zu beheben. Wäre er angemessen überwacht worden, so Schneider, dann würde er heute noch das Publikum mit seinen Bühnenshow­s begeistern.

Wie der Anästhesis­t sagte, hat kaum jemand Bedenken, ins Schwimmbad zu gehen oder in ein Auto zu steigen. Dabei ist die Gefahr, beim Schwimmen oder Autofahren zu sterben, um ein Vielfaches höher als bei einer Narkose. Der Patient ist zwar völlig vom Narkosearz­t abhängig, aber der weiß, was er tut. 14 Fachärzte sowie zahlreiche Pflegekräf­te, die Kanülen legen, bei der Narkose assistiere­n und auf Anweisung des Arztes das Narkosemit­tel verabreich­en, gehören zum Team der Anästhesie der Kliniken an der Paar.

Dr. Norbert Schneider ist gebürtiger Münchner. Er studierte Medizin in Mün chen, Berlin und Ulm und war anschließe­nd als Assis tenzarzt im Klinikum rechts der Isar tätig. Daneben absol vierte er die Weiterbild­ung in Schmerzthe­rapie und die Ausbildung zum Leitenden Notarzt. Seit 1994 ist Schneider Chefarzt der Abteilung für Anästhesie und Intensivme­dizin des Krankenhau­ses Friedberg.

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Foto: Schierenbe­ck Viele Menschen fürchten sich vor einer Narkose. Doch dafür gibt es keinen Grund, versichert der Anästhesis­t Dr. Norbert Schneider.
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