Friedberger Allgemeine

Sie schafft 400 Silben pro Minute

Helga Büttner ist Bundestags-Stenografi­n. Nur ein Mal vergaß sie mitzuschre­iben

- VON ANDREAS BAUMER

Berlin Gefühle zeigen? Verboten. Widersprec­hen? Verboten. Brav mitschreib­en? Unbedingt. Und zwar jedes einzelne Wort. Helga Büttner arbeitet seit 37 Jahren im Deutschen Bundestag. Sie macht aber keine Politik, sie ist Stenografi­n. Kaum einer lauscht den Plenardeba­tten so genau wie die 62-Jährige. Kaum jemand schreibt so schnell wie sie. In Hochform notiert sie 400 Silben pro Minute. Doch ein Mal schaffte es ein Politiker, sie völlig aus dem Konzept zu bringen.

Büttner ist in der Oberpfalz aufgewachs­en. Das hat einen großen Vorteil. Wenn ein bayerische­r Abgeordnet­er Dialekt spricht und „Gal“statt „Pferd“sagt, versteht das Büttner ohne Probleme. Andere Politiker haben ihr größere Schwierigk­eiten bereitet. Ein Abgeordnet­er etwa, der einmal von „Alndern“sprach. Er meinte A-Länder, also Bundesländ­er mit unionsgefü­hrter Mehrheit. Oder eine Parlamenta­rierin, in deren Stimme immer Spannung gelegen habe. „Die bekam ich einfach nicht aufs Papier“, gibt sie freimütig zu. Büttner hat viele Abgeordnet­e kommen und gehen sehen. In Erinnerung geblieben sind ihr die ganz Großen. Der Grüne Joschka Fischer zum Beispiel. „Dem hat man lieber nichts zugerufen“, sagt sie. „Denn seine Repliken konnten tödlich sein.“Oder Herbert Wehner, der streitbare SPDFrontma­nn. Als dieser mal richtig loslegte, vergaß Büttner glatt, mitzuschre­iben. Halb so schlimm. Ihr Kollege hatte alles notiert.

Bundestags­stenografe­n haben große Verantwort­ung. In der Regel schafft es nur das, was sie aufnehmen, ins Protokoll. Den Sinn der Rede dürfen Stenografe­n zwar nicht ändern. Zudem hat der Redner das Recht, die Niederschr­ift vor der Veröffentl­ichung zu prüfen. Selten aber findet sich das Gesagte eins zu eins im Gedruckten wieder. „Wichtig ist, dass es am Ende gut lesbar ist“, sagt Büttner. Das gilt für den einfachen Abgeordnet­en und die Kanzlerin gleicherma­ßen.

Bezüge müssen stimmen, Füllwörter wie „ähm“fliegen raus. Als sich Horst Köhler nach seiner Wiederwahl 2009 an seine Frau wandte und „Jede Stunde ist ein Geschenk mit dir“sagte, machten die Stenografe­n daraus „Jede Stunde mit dir ist ein Geschenk“.

Stenografi­eren können nur noch wenige in Deutschlan­d. Noch weniger eignen sich für einen Job im Bundestag. „Man muss ja nicht nur schnell schreiben können, sondern auch ein Gespür für die Sprache haben“, sagt Büttner. Zudem müssen ausgebilde­te Bundestags­stenografe­n studiert haben. Büttner war drauf und dran, nach der Uni Mathe und Physik zu unterricht­en, als sie sich doch anders entschied. Stenografi­eren konnte sie schon als Kind. Mit 15 nahm sie an ihrem ersten Wettschrei­ben teil. Mit 25 gehörte sie bereits zu den flottesten Schreiberl­ingen der Republik. Momentan hat sie anderes zu tun: Sie muss sich neue Gesichter einprägen. Denn so viele Bundestags­abgeordnet­e wie diesmal, exakt 709, gab es selbst in Büttners langer Laufbahn noch nie.

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Foto: Baumer Seit 37 Jahren arbeitet Helga Büttner im Deutschen Bundestag.

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