Sie schafft 400 Silben pro Minute
Helga Büttner ist Bundestags-Stenografin. Nur ein Mal vergaß sie mitzuschreiben
Berlin Gefühle zeigen? Verboten. Widersprechen? Verboten. Brav mitschreiben? Unbedingt. Und zwar jedes einzelne Wort. Helga Büttner arbeitet seit 37 Jahren im Deutschen Bundestag. Sie macht aber keine Politik, sie ist Stenografin. Kaum einer lauscht den Plenardebatten so genau wie die 62-Jährige. Kaum jemand schreibt so schnell wie sie. In Hochform notiert sie 400 Silben pro Minute. Doch ein Mal schaffte es ein Politiker, sie völlig aus dem Konzept zu bringen.
Büttner ist in der Oberpfalz aufgewachsen. Das hat einen großen Vorteil. Wenn ein bayerischer Abgeordneter Dialekt spricht und „Gal“statt „Pferd“sagt, versteht das Büttner ohne Probleme. Andere Politiker haben ihr größere Schwierigkeiten bereitet. Ein Abgeordneter etwa, der einmal von „Alndern“sprach. Er meinte A-Länder, also Bundesländer mit unionsgeführter Mehrheit. Oder eine Parlamentarierin, in deren Stimme immer Spannung gelegen habe. „Die bekam ich einfach nicht aufs Papier“, gibt sie freimütig zu. Büttner hat viele Abgeordnete kommen und gehen sehen. In Erinnerung geblieben sind ihr die ganz Großen. Der Grüne Joschka Fischer zum Beispiel. „Dem hat man lieber nichts zugerufen“, sagt sie. „Denn seine Repliken konnten tödlich sein.“Oder Herbert Wehner, der streitbare SPDFrontmann. Als dieser mal richtig loslegte, vergaß Büttner glatt, mitzuschreiben. Halb so schlimm. Ihr Kollege hatte alles notiert.
Bundestagsstenografen haben große Verantwortung. In der Regel schafft es nur das, was sie aufnehmen, ins Protokoll. Den Sinn der Rede dürfen Stenografen zwar nicht ändern. Zudem hat der Redner das Recht, die Niederschrift vor der Veröffentlichung zu prüfen. Selten aber findet sich das Gesagte eins zu eins im Gedruckten wieder. „Wichtig ist, dass es am Ende gut lesbar ist“, sagt Büttner. Das gilt für den einfachen Abgeordneten und die Kanzlerin gleichermaßen.
Bezüge müssen stimmen, Füllwörter wie „ähm“fliegen raus. Als sich Horst Köhler nach seiner Wiederwahl 2009 an seine Frau wandte und „Jede Stunde ist ein Geschenk mit dir“sagte, machten die Stenografen daraus „Jede Stunde mit dir ist ein Geschenk“.
Stenografieren können nur noch wenige in Deutschland. Noch weniger eignen sich für einen Job im Bundestag. „Man muss ja nicht nur schnell schreiben können, sondern auch ein Gespür für die Sprache haben“, sagt Büttner. Zudem müssen ausgebildete Bundestagsstenografen studiert haben. Büttner war drauf und dran, nach der Uni Mathe und Physik zu unterrichten, als sie sich doch anders entschied. Stenografieren konnte sie schon als Kind. Mit 15 nahm sie an ihrem ersten Wettschreiben teil. Mit 25 gehörte sie bereits zu den flottesten Schreiberlingen der Republik. Momentan hat sie anderes zu tun: Sie muss sich neue Gesichter einprägen. Denn so viele Bundestagsabgeordnete wie diesmal, exakt 709, gab es selbst in Büttners langer Laufbahn noch nie.