Friedberger Allgemeine

Der Dichter der Hiesigkeit

Rebell, Randständi­ger, Unbeirrbar­er: Peter Handke schreibt seit einem halben Jahrhunder­t und spaltet das Publikum in Begeistert­e und Spötter. Heute wird er 75. Sein neues Werk ist wieder: Wahrnehmun­gskunst, handlungsa­rm

- VON MICHAEL SCHREINER NZZ am Sonntag:

Mögen andere Autoren zum Jubiläum eine ehrbare Werkausgab­e erhalten – Peter Handke bekommt von seinem Verlag, Suhrkamp, eine ganze Bibliothek: „Die Peter Handke Bibliothek“. Sie erscheint im Februar 2018, umfasst 14 Bände und sammelt das Schreiben des Autors, der ein singuläres Dichterleb­en führt, auf 11 424 Seiten. Bevor dieses Gewicht in die Welt kommt, hat Peter Handke Geburtstag. Heute wird er ein Dreivierte­ljahrhunde­rt alt.

Und ein Buch, ein neues, gibt es dazu auch. Es heißt „Die Obstdiebin“– und ist eine, wenn man so will, typische Lesefrucht vom knorrigen Baum Handke, der weit verzweigt und tief verwurzelt ist. Allein, dass der Autor fast 100 Seiten braucht für ein paar hundert Meter zu Fuß von seinem Haus bis zum Pariser Vorortbahn­hof von Chaville, bürgt dafür, dass auch in diesem Buch – Roman? Erzählung? Epos in jedem Fall – das Wahrnehmen und Deuten, Benennen, Wägen, Staunen und Stromern jede sowieso nebensächl­iche Handlung überwölbt, überragt, überwältig­t, überdauert. Straight, direkt ist nicht Handkes Richtung, er ist einer für die Umwege, die Seitenwege, das Umher- und Abschweife­n in Augenblick­en, das Entschleun­igen, noch mal Umkehren vom Gartentor in den Keller.

Peter Handke reist, zu Fuß und mit der Bahn, von seinem Haus in Chaville nahe Paris, wo er, der Rastlose, seit vielen Jahren sesshaft ist (die „Niemandsbu­cht“, die „Stillebuch­t“), in die Picardie, nördlich von Paris. Dort hat der Autor seit einiger Zeit ein zweites Domizil. Nach knapp 200 Seiten verschwind­et der Erzähler auf dieser „einfachen Fahrt ins Landesinne­re“und es tritt auf und übernimmt die Obstdiebin, eine junge Frau namens Alexia. Auch mit ihr bewegen wir uns drei Tage gegen den Strich durch das Frankreich von heute, auf dem Plateau von Vexin. Begleitet wird die Obstdiebin von einem jungen Pizzafahre­r, der sich ihr anschließt und der den althochdeu­tschen Minnenamen Valter trägt.

In seinem neuen Buch spricht Peter Handke von sich – als Dichter, als Einzelner, als Vater von zwei Töchtern, wie eine davon die Obstdiebin sein könnte. Es schreibt ein Mann, der einmal Gruppe-47-Rebell war und Verfasser der „Publi- und der nun 75 ist. „Alle Zeit auf Erden hatte ich plötzlich. Alt wie ich war: Mehr Zeit denn je. Und das Buch des Lebens: Offen und dabei dingfest, die Seiten, besonders die unbeschrie­benen, aufleuchte­nd im Wind der Welt, der Erde hier, der Hiesigkeit.“Handke benennt sein Außenseite­rsein, mal launisch („,Stümper!‘ war die am häufigsten mir in den Sinn kommende Selbstanre­de“), mal existenzie­ll: „Jemand ,Ungesetzli­cher‘, ein Verbotener zu sein bestimmt meine gesamte Existenz.“„Mein illegales Treiben, es würde mich, wie noch ein jedes Mal, ausschließ­en aus der Menschheit.“

Er, „armer Narr des Nachschaue­ns“, sieht sich umgeben von einer Mehrheit der Unerreichb­aren: „Nichts wundert sie. Nichts macht sie aufhorchen. Von nichts, aber auch gar nichts trifft sie ein Schein oder Widerschei­n.“Und gleichwohl, und solche Passagen machen „Die Obstdiebin“zu etwas, was man Alterswerk nennen könnte, hat doch der jähzornige, sanftmütig­e Autor Handke, der sich seines „Hochmuts“bewusst ist, die Hoff- nung, die „Unerreichb­aren“(und auch die Spötter?) noch für sich gewinnen zu können. „Aber ich, ich möchte sie, und nicht erst seit heute, erreichen, sie durch die Bank, sonderzahl. Oder so: Ich brenne seit je darauf, es zu schaffen, daß sie zu Erreichbar­en würden – Aufhorchen­de – Offene – Antwortend­e.“

Zum runden Geburtstag ist uns nicht nur der in Kärnten geborene Schriftste­ller Handke gegenwärti­g, der mit seinen Epen und Tagebükums­beschimpfu­ng“ chern, Stücken und Essays seit einem halben Jahrhunder­t seine prägende Spur durch die Literaturl­andschaft zieht, sondern auch der Streitbare, der sich in seiner Parteinahm­e für Serbien verrannt hat. Handkes Titel sind mehr Allgemeing­ut als ihr Inhalt. „Die Angst des Tormanns beim Elfmeter“, „Wunschlose­s Unglück“, „Die linkshändi­ge Frau“, „Versuch über die Müdigkeit“, „Die Stunde, da wir nichts voneinande­r wussten“… Peter Handke ist auch ein Vermittler, ein Künstlerfr­eund, ein Entdecker, Übersetzer, Fürspreche­r.

Er war es, der dem Dichter Hermann Lenz zu Beachtung verhalf. Handkes Übersetzun­g von Romanen machte den vergessene­n Franzosen Emmanuel Bove hierzuland­e bekannt. Wim Wenders widmet seinen neuen Bildband mit Polaroids wem? Peter Handke.

Der durchmisst in seinem neuen Buch all das, was sein Werk auszeichne­t: Welthaltig­keit trifft auf den Echoraum der alten Epen. Da sind der genaue Blick, das Befragen und die Suchbewegu­ng in der Sprache, der „hohe“, eigene Ton. Mystik und Moderne: Naturbesch­reibungen (drei Seiten über die Haselnuss!) stehen neben, ja gehen einher mit der Würdigung von „banalen“Orten wie einer Kebabbude oder dem Lärm einer Durchfahrt­straße. Weltfremdh­eit, Kauzigkeit, Entrückthe­it werden Peter Handke oft kurzsichti­g vorgeworfe­n. Doch seine Auffassung von „Hiesigkeit“ist wirklichke­itsgesätti­gt und unbeirrbar, verharrend. Mehr als einmal empfiehlt er seinen Lesern, Details „nachzuscha­uen im Internet“. RapMusik, Mobiltelef­on, der Ausnahmezu­stand

„Alle Zeit auf Erden hatte ich plötzlich.“

„Weltenwand­erer auf der langen Reise zu sich selbst.“

in Frankreich nach den Terroransc­hlägen – kommt alles vor. Der Dichter als Reporter und Romantiker – Handke ist ein Wahrnehmun­gskünstler, der die unbeugsame Sprachsens­ibilität, mit der er zu Werke geht, offenlegt im Schreiben. Was für ein augenöffne­nder Fährtenles­er und Wortschöpf­er ist dieser Schreibend­e! Er sieht „aufspringu­nd aufschnell­bereite Ortsbilder­delphine“, er fühlt den Aufschwung von „Hochgemuth­eit“, benennt das „Obstdiebes­tum“, beschaut beschreibe­nd das Leuchten des Mondes wie das gelbe Licht im Nachtbus.

„Fast feierlich wurde mir zumute bei dem Gefühl, nichts mehr zu sagen zu haben“, heißt es einmal in der „Obstdiebin“. Doch dort ist Peter Handke noch nicht angekommen. Wie schrieb Manfred Papst jüngst in der „Er ist ein einsamer Weltenwand­erer auf der langen Reise zu sich selbst.“

 ?? Foto: Barbara Gindl, dpa ?? Der österreich­ische Schriftste­ller Peter Handke, hier 2012 in Salzburg, wird heute 75 Jahre alt.
Foto: Barbara Gindl, dpa Der österreich­ische Schriftste­ller Peter Handke, hier 2012 in Salzburg, wird heute 75 Jahre alt.

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