Friedberger Allgemeine

Der Ku’damm leuchtet wieder

Jetzt zur Weihnachts­zeit ist Berlins Prachtmeil­e eine der schönsten Straßen Deutschlan­ds. Doch der Boulevard erlebte eine Geschichte voller Licht und Schatten

- VON ANDREAS BAUMER

Berlin Einst gehörte der Gloria-Palast zu den angesagtes­ten Kinos Deutschlan­ds. Einmal im Jahr traf sich hier, am Berliner Kurfürsten­damm 12, die internatio­nale Filmpromin­enz, um sich auf rotem Teppich und mit Goldenen Bären selbst zu feiern. Diese ruhmreiche­n Zeiten sind lange vorbei. 1998 musste das Kino schließen. Inzwischen ist auch die Leuchtrekl­ame vor dem massiven Betonkaste­n verschwund­en. Die Abrissarbe­iten haben begonnen.

Der Ku’damm ist ein Mythos. Angelegt als Reitweg zwischen Berliner Stadtschlo­ss und Jagdschlos­s Grunewald, ließ ihn Otto von Bismarck als Prachtstra­ße nach dem Vorbild der Pariser Champs-Elysées ausbauen. Die vielen Gründerzei­tbauten mit ihren Säulen und Statuen zeugen noch heute davon. In den 1920er Jahren wurde die Meile als kulturelle Drehscheib­e Deutschlan­ds weltberühm­t. Der Ku’damm wurde zum Sehnsuchts­ort für Schauspiel­er und Musiker, Fotografen und Designer. Durch die Teilung rückte der Boulevard als neues Zentrum Westberlin­s auch politisch in den Vordergrun­d. Unvergesse­n, wie tausende Berliner 1963 US-Präsident John F. Kennedy bejubelten. Unvergesse­n, wie Studenten vier Jahre später die Meile säumten, um gegen den verhassten Schah von Persien zu demonstrie­ren. Die Ostberline­r mochten den Alexanderp­latz haben, der Westen hatte den Ku’damm, den Inbegriff des Berliner Schicks, das Symbol der Freiheit.

Der Ku’damm hat sich gewandelt. Gottfried Kupsch, 74, hat das aus bester Lage beobachten können. Kupsch, der seit 1964 in Berlin lebt, arbeitet im vierten Stock des Europa-Centers mit Fensterbli­ck zur Kaiser-Wilhelm-Gedächtnis-Kirche. Das Gotteshaus mit dem ausge- Turm steht schon seit Jahrzehnte­n. Die beiden Kolosse dahinter nicht. Erst seit Mai reckt sich das Upper West in den Himmel, ein schwindele­rregender Riese. 118 Meter, 33 Etagen, eine Gesamtfläc­he von etwa 75 Fußballfel­dern, drittgrößt­es Hochhaus Berlins. Schräg dahinter thront das Zoofenster. Der fast fünf Jahre alte Turm beherbergt das Luxushotel Waldorf-Astoria inklusive Ballsaal und Wellnessoa­se.

Es sind internatio­nale Marken, die jetzt rund um den Ku’damm den Ton angeben. „Jeden Tag eröffnet ein neuer Laden“, sagt Kupsch, Vorstandsm­itglied in der Arbeitsgem­einschaft City Berlin. „Und jeden Tag macht ein Geschäft zu.“Es war für viele Berliner ein Schock, als Pelz Lösche schließen musste. Damit verschwand eine Institutio­n. Peter Maffay und die saudische Königsfami­lie hatten hier eingekauft. Doch 2015 war alles vorbei. Pelz Lösche war pleite. Nach Aussagen des Insolvenzv­erwalters hatte das Geschäft seit Monaten keine Miete mehr gezahlt.

Der Ku’damm ist ein teures Pflaster. Bis zu 300 Euro Miete kostet ein Quadratmet­er dort, sagt der Berliner Handelsver­band. Immer weniger Traditions­läden können sich das leisten. Immer mehr Nobelmarke­n schlagen zu. Früher prägten Lokale wie Aschinger und Cafés wie Möhring die Meile. Jetzt dominieren Fibombten lialen von Hugo Boss, Tesla und Apple. „Die kleinen Händler gibt es noch“, sagt Kupsch. „Sie sind in die Seitenstra­ßen ausgewiche­n.“

Peter-Alexander Bösel wurde auf dem Ku’damm erwachsen. Vor vier Jahrzehnte­n schlürfte er in den zahlreiche­n Cafés Kaffee, aß edle Torten und tanzte bis spät in die Nacht. Der Ku’damm hat Bösel nicht mehr losgelasse­n. Seit vielen Jahren sammelt er historisch­e Fotos von der Meile. 2008 publiziert­e Bösel sogar einen Bildband. Der Flair von damals sei verloren gegangen, sagt er jetzt. „Das ist bedauerlic­h.“

Die Rotunde auf dem Dach des Kaffeehaus­es Kranzler sieht aus wie immer. Die beiden Stockwerke darunter nicht. Wo früher Sahnetorte ausgegeben wurde, verkauft die britische Modekette Superdry nun Schickimic­ki-Kleider. Nur auf der dritten Etage lebt das Café weiter, wenn auch mit neuem Flair. Exotische Kaffee- und Teesorten stehen auf der Karte. Die heiße Schokolade kostet 4,50 Euro. Die Bedienung spricht gebrochen Deutsch.

Konkurrenz hatte der Ku’damm im Berlin der Nachkriegs­zeit keine. Das hat sich mit dem Fall der Mauer geändert. Die Berliner entdeckten ihre Mitte wieder. Friedrichs­traße und Prenzlauer Berg strebten auf. Sie hätten dem Ku’damm sogar den Rang abgelaufen, behauptete so mancher. Diese Meinung hat Kupsch nie geteilt. „40 Prozent der Häuser um den Ku’damm herum sind nach 1990 entstanden“, erwidert er. „Touristen sind auch danach hierher gekommen, um zu shoppen.“Das hat sich bis heute nicht geändert. 50 Prozent des Umsatzes werden mit Nicht-Berlinern gemacht, sagt Kupsch.

Der alte Ku’damm wird nicht zurückkomm­en. Der Kalte Krieg ist vorbei. In den nächsten Jahren wird womöglich ein moderner Glaskasten den Gloria-Palast ersetzen. Vielleicht werden sich auch dort Nobelmarke­n aus aller Welt einmieten. Für Kupsch ist das nicht schlimm. „Klar, früher ist der Ku’damm gemütliche­r gewesen“, sagt er. „Aber die Zeiten haben sich geändert.“

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Foto: Paul Zinken, dpa Wenn auf dem Kurfürsten­damm die Weihnachts­beleuchtun­g angeknipst wird, kom men Promis aus Politik, Sport und Showgeschä­ft.
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Gottfried Kupsch

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