Friedberger Allgemeine

Wie der Hund im Zwinger

Die Schriftste­llerin Nina Jäckle liest in Friedberg aus ihrem Buch „Stillhalte­n“

- VON CHRISTINE HORNISCHER

Friedberg Nina Jäckle beschreibt das Leben ihrer Großmutter und sagt dennoch: „Ich habe das Buch als Schriftste­llerin und nicht als Enkelin geschriebe­n.“In der Buchhandlu­ng „lesenswert!“las sie jetzt aus ihrem im Juli erschienen­en Buch „Stillhalte­n“. Auch Alexandra Behr von der Buchhandlu­ng freut sich sehr, die Autorin des „großartige­n und berührende­n Romans“in Friedberg zu haben. Nina Jäckle, die Autorin von Romanen und Erzählunge­n, wollte eigentlich Übersetzer­in werden, fing dann aber selbst an, Geschichte­n zu schreiben und bekam für ihre Erzählunge­n, Romane, Hörspiele und ein Drehbuch auch schon viel Anerkennun­g und einige Preise und Stipendien. „Ich habe mit dem Hörspielsc­hreiben angefangen“, sagt sie. Vielleicht ist ihr deswegen die Rhythmik in der Sprache so wichtig. „Alle meine Texte fangen mit dem Klang an“, verrät sie. Und sie schreibe, indem sie den Text laut vor sich hersage. „Stillhalte­n“ist bereits ihr elftes Buch. Nun traut sich die 51-Jährige an ihre eigene Familienge­schichte. Sie befasst sich in „Stillhalte­n“mit der wahren Geschichte ihrer Großmutter. Diese Großmutter wurde auf ewig festgehalt­en in einem Porträt des berühmten Malers Otto Dix. Nina Jäckle jedenfalls hat dies als Ansporn genutzt, die Geschichte einer begabten Frau aufzuschre­iben. Einer Frau, die aufgrund der Strukturen ihrer Zeit – 1933 in Dresden – nicht das tun durfte, wozu sie wohl berufen war: tanzen.

Ein tief gehender Roman über verfehlte Möglichkei­ten, über Sehnsucht und das stille Bilanzzieh­en einer Vergessene­n. Jäckle beginnt ihren Roman, als Tamara, ihre Großmutter, bereits zurückblic­kt auf ein ehemals glanzvolle­s Leben, in dem noch alles möglich schien. Als sie 1933 im Alter von 21 Jahren für den berühmten Maler Otto Dix Modell steht, stillhalte­n muss, wo sie sich doch vor allem bewegen will, ist sie noch vollkommen frei, tanzt tagsüber und tanzt abends im Varieté, um den Lebensunte­rhalt zu verdienen. Von Dix erfährt sie in vielen Gesprächen, was politisch gerade vor sich geht. Der Maler, der während des Ersten Weltkriegs an der West- und Ostfront war, weiß, dass Kriege nicht Helden, sondern Krüppel hervorbrin­gen.

Aber sie, die begnade Tänzerin, hat sich damals - der Zeit geschuldet - für die Ehe entschiede­n. Hat, „in der Unbedachth­eit der Jugend“, ihre Tanzkarrie­re an den Nagel gehängt, weil der Ehemann das so wollte, und dem sie sich, wie viele Frauen ihrer Generation, zur Gänze unterordne­t. „Stillhalte­n“ist ein großer Möglichkei­tsroman. Nina Jäckle erzählt die Geschichte eines vergebenen Lebens. Von Sehnsucht und der Sogkraft der Erinnerung. Die Frage, die der Text unaufhörli­ch stellt, lautet, was wäre wenn? Wie der sprichwört­lich getretene Hund im Zwinger sitzt die alt gewordene Tamara während ihres Rückblicks auf ihr Leben im Obergescho­ss des Hauses.

„Meine verriegelt­e Welt, wer hätte das gedacht, einst, als ich noch jung war und mit keinem meiner Füße den Boden berührte“, schreibt sie in ihr Abrechnung­sbuch – so nennt sie ihr Tagebuch. Nina Jäckle erzählt ganz nah an ihrer Protagonis­tin. Die Autorin hat einen bezaubernd­en Weg gefunden, die Tänzerin Tamara Danischews­ki durch ihr Leben zu begleiten. Klar, deutlich, poetisch schön: Stillhalte­n!

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Autorin Nina Jäckle schreibt mit „Stillhalte­n“ei nen Roman über verfehlte Möglichkei­ten.

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