Wie der Hund im Zwinger
Die Schriftstellerin Nina Jäckle liest in Friedberg aus ihrem Buch „Stillhalten“
Friedberg Nina Jäckle beschreibt das Leben ihrer Großmutter und sagt dennoch: „Ich habe das Buch als Schriftstellerin und nicht als Enkelin geschrieben.“In der Buchhandlung „lesenswert!“las sie jetzt aus ihrem im Juli erschienenen Buch „Stillhalten“. Auch Alexandra Behr von der Buchhandlung freut sich sehr, die Autorin des „großartigen und berührenden Romans“in Friedberg zu haben. Nina Jäckle, die Autorin von Romanen und Erzählungen, wollte eigentlich Übersetzerin werden, fing dann aber selbst an, Geschichten zu schreiben und bekam für ihre Erzählungen, Romane, Hörspiele und ein Drehbuch auch schon viel Anerkennung und einige Preise und Stipendien. „Ich habe mit dem Hörspielschreiben angefangen“, sagt sie. Vielleicht ist ihr deswegen die Rhythmik in der Sprache so wichtig. „Alle meine Texte fangen mit dem Klang an“, verrät sie. Und sie schreibe, indem sie den Text laut vor sich hersage. „Stillhalten“ist bereits ihr elftes Buch. Nun traut sich die 51-Jährige an ihre eigene Familiengeschichte. Sie befasst sich in „Stillhalten“mit der wahren Geschichte ihrer Großmutter. Diese Großmutter wurde auf ewig festgehalten in einem Porträt des berühmten Malers Otto Dix. Nina Jäckle jedenfalls hat dies als Ansporn genutzt, die Geschichte einer begabten Frau aufzuschreiben. Einer Frau, die aufgrund der Strukturen ihrer Zeit – 1933 in Dresden – nicht das tun durfte, wozu sie wohl berufen war: tanzen.
Ein tief gehender Roman über verfehlte Möglichkeiten, über Sehnsucht und das stille Bilanzziehen einer Vergessenen. Jäckle beginnt ihren Roman, als Tamara, ihre Großmutter, bereits zurückblickt auf ein ehemals glanzvolles Leben, in dem noch alles möglich schien. Als sie 1933 im Alter von 21 Jahren für den berühmten Maler Otto Dix Modell steht, stillhalten muss, wo sie sich doch vor allem bewegen will, ist sie noch vollkommen frei, tanzt tagsüber und tanzt abends im Varieté, um den Lebensunterhalt zu verdienen. Von Dix erfährt sie in vielen Gesprächen, was politisch gerade vor sich geht. Der Maler, der während des Ersten Weltkriegs an der West- und Ostfront war, weiß, dass Kriege nicht Helden, sondern Krüppel hervorbringen.
Aber sie, die begnade Tänzerin, hat sich damals - der Zeit geschuldet - für die Ehe entschieden. Hat, „in der Unbedachtheit der Jugend“, ihre Tanzkarriere an den Nagel gehängt, weil der Ehemann das so wollte, und dem sie sich, wie viele Frauen ihrer Generation, zur Gänze unterordnet. „Stillhalten“ist ein großer Möglichkeitsroman. Nina Jäckle erzählt die Geschichte eines vergebenen Lebens. Von Sehnsucht und der Sogkraft der Erinnerung. Die Frage, die der Text unaufhörlich stellt, lautet, was wäre wenn? Wie der sprichwörtlich getretene Hund im Zwinger sitzt die alt gewordene Tamara während ihres Rückblicks auf ihr Leben im Obergeschoss des Hauses.
„Meine verriegelte Welt, wer hätte das gedacht, einst, als ich noch jung war und mit keinem meiner Füße den Boden berührte“, schreibt sie in ihr Abrechnungsbuch – so nennt sie ihr Tagebuch. Nina Jäckle erzählt ganz nah an ihrer Protagonistin. Die Autorin hat einen bezaubernden Weg gefunden, die Tänzerin Tamara Danischewski durch ihr Leben zu begleiten. Klar, deutlich, poetisch schön: Stillhalten!