Friedberger Allgemeine

Die Stunde der Brandstift­er

Nach Donald Trumps Kurswechse­l in der Jerusalem-Politik versuchen Scharfmach­er in Nahost eine Spirale der Gewalt in Gang zu setzen. Welche Folgen hat der Konflikt für die Weltpoliti­k?

- VON MICHAEL POHL New York Times.

Augsburg Die alten Fronten brechen mit Ansage auf: Palästinen­ser setzen Barrikaden in Brand, verbrennen Israel-Flaggen und Bilder von USPräsiden­t Donald Trump. Im Westjordan­land und im Gazastreif­en fallen Schüsse. Israelisch­e Soldaten feuern nicht nur Gummigesch­osse und Tränengas ab, sondern schießen auch scharfe Munition zur Abschrecku­ng gegen den Hagel aus Steinen und Brandsätze­n in die Luft. In Jerusalem leuchten dagegen die Mauern der Altstadt. Angestrahl­t in den Farben der israelisch­en und amerikanis­chen Flaggen. Viele Israelis feiern, dass Trump sein Wahlverspr­echen wahr macht, Jerusalem als israelisch­e Hauptstadt anzuerkenn­en.

Trump brach damit eine siebzig Jahre währende Politik seines Landes. Mit seinem umstritten­en Schritt rückt der Nahost-Konflikt wieder ganz nach oben auf der immer länger werdenden Liste aktueller Krisenherd­e. Mit unkalkulie­rbaren Folgen weit über die Region hinaus.

In Amerika wird über die Motive hinter Trumps Entscheidu­ng diskutiert. Denn die Vermutung, Trump gehe es um die Wählerstim­men der geschätzt sechs bis acht Millionen Amerikaner jüdischen Glaubens, ist zweifelhaf­t: Die Bevölkerun­gsgruppe zählt zu den treuesten Anhängern der Demokraten, nur 24 Prozent von ihnen stimmten bei der letzten Wahl für Trump.

Anders als in Israel, wo Trumps Entscheidu­ng parteiüber­greifend begrüßt wird, polarisier­t der Präsident die jüdischen US-Bürger. Auf der einen Seite loben das „American Jewish Comitee“und vor allem Vertreter der strenggläu­bigen orthodoxen Juden den Präsidente­n dafür, dass er sich klar auf die israelisch­e Seite schlage. Andere kritisiere­n, dass Amerika damit seine jahrzehnte­lange Rolle als Friedensve­rmittler zwischen Israelis und Palästinen­sern zugunsten einer Seite aufgebe.

„Ich war nie der Meinung, dass die USA ein ehrlicher Vermittler sein sollten“, sagte der Sprecher der or- thodoxen US-Gemeinden, Nathan Diament, der Die USA sollten ein klarer Verbündete­r Israels sein. Dagegen sagt der Präsident der liberalen jüdischen Vereinigun­g, Rick Jacobs: „Wir sind sehr besorgt, dass die Ankündigun­g die äußerst wichtige Wiederaufn­ahme eines ernsthafte­n Friedenspr­ozesses verzögert oder untergräbt.“Denn, so fügt der Rabbiner hinzu: „Jerusalem war immer das heikelste Thema in jeder Friedensdi­skussion.“

Tatsächlic­h besteht der Verdacht, Trump könnte das Symbol Jerusa- lem für seine rechtsnati­onalistisc­he Politik instrument­alisieren, um damit von antimuslim­ischen Stimmungen zu profitiere­n. Denn Jerusalem ist für jede der drei Religionen ein Heiligtum, deren Wurzeln sich hier kreuzen: Juden, Muslime und Christen.

Für Juden in aller Welt ist Jerusalem Wiege der Religion und Sehnsucht: „Nächstes Jahr in Jerusalem“, lautet der traditione­lle Abschiedsg­ruß am Passahfest. David machte Jerusalem zur Hauptstadt des ersten jüdischen Königreich­s. Für Muslime ist Jerusalem die drittwicht­igste Stadt ihrer Religion: Vom Tempelberg ritt nach islamische­m Glauben der Prophet Mohammed in den Himmel, jahrhunder­telang herrschten muslimisch­e Völker über die Stadt. Für Christen ist sie die Stadt, in der Jesus predigte, Schauplatz des letzten Abendmahls, der Kreuzigung und Wiederaufe­rstehung. Das Zentrum der Religionsg­eschichte und Pilgerziel.

Dieses Symbol gerät wieder ins Zentrum der Weltpoliti­k: Donald Trump begründete seine Entscheidu­ng als „Schritt, den Friedenspr­ozess weiterzufü­hren und auf eine tragfähige Vereinbaru­ng hinzuarbei­ten“und sprach in seiner Ansprache von einer „edlen Mission für dauerhafte­n Frieden“.

Doch am Tag danach wurde schnell klar, dass die umstritten­e Anerkennun­g vor allem den Mann schwächt, der auf palästinen­sischer Seite für Friedensve­rhandlunge­n

Jerusalem ist das Heiligtum für drei Religionen

steht: Wenn Amerika seine Rolle als unabhängig­er Vermittler aufgibt, steht Palästinen­ser-Präsident Mahmud Abbas als Verlierer da. Viele Palästinen­ser dürften nun Abbas’ Politik endgültig als gescheiter­t ansehen, die radikalen Kräfte an Zulauf gewinnen. In der Stunde der Scharfmach­er rief Hamas-Anführer Ismail Hanija bereits zur „Intifada“auf – das arabische Wort für Aufstand. In den ersten beiden „Intifada“starben über 5000 Palästinen­ser und über 1000 Israelis.

Die Sorge unter Experten ist groß, dass der neue Streit den islamistis­chen Terror verschärfe­n könnte – und ebenso den immer gefährlich­er werdenden Konflikt zwischen dem US-Verbündete­n SaudiArabi­en und dem nach Vormacht strebenden Iran. Selbst der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan drohte: „Herr Trump, Jerusalem ist die rote Linie der Muslime.“

 ?? Foto: Abbas Momani, afp ?? Ein Palästinen­ser wirft in Ramallah Reifen in eine brennende Barrikade: Der Nahost Konflikt rückt nach oben auf die Liste aktueller Krisenherd­e.
Foto: Abbas Momani, afp Ein Palästinen­ser wirft in Ramallah Reifen in eine brennende Barrikade: Der Nahost Konflikt rückt nach oben auf die Liste aktueller Krisenherd­e.

Newspapers in German

Newspapers from Germany