Friedberger Allgemeine

Der Zauber des Zuhörens

- VON BIRGIT MÜLLER BARDORFF m b@augsburger allgemeine.de

Sonntagmor­gen auf der Autobahn. Aus dem Radio tönt das Anfangskap­itel aus Salman Rushdies neuem Roman „Golden House“, vor dem Auge verwandelt sich die schwäbisch­e Landschaft ins New Yorker Greenwich Village und gleich ist man mittendrin in dieser fantastisc­hen Geschichte um den „indischen Paten“Nero Golden und seine vier Söhne. Eine halbe Stunde später steigt man mit dem festen Vorsatz aus dem Auto, demnächst Rushdie zu lesen.

Sonntag, später Nachmittag, wieder große Literatur im Radio, diesmal winterlich­e Szenen aus Tolstois „Anna Karenina“und Jack Londons „Ruf der Wildnis“und wieder weiß man, durch welche Bücher man demnächst schmökern möchte.

Nein, dies soll jetzt keine Eloge auf das Radiohören werden. Aber auf die betörende Wirkung des Vorlesens. Dass dies die Begeisteru­ng fürs Selberlese­n weckt, weiß man aus vielen Studien zur kindlichen Leseförder­ung. Ganz abgesehen davon erliegt man aber auch als Erwachsene­r dem besonderen Reiz, sich einen Text ins Ohr gehen zu lassen, sich in dieser verschwore­nen Gemeinscha­ft zwischen Autor, Sprecher und Zuhörer einzuricht­en.

Deshalb ist dies gleichzeit­ig auch ein Abgesang auf eine Augsburger Veranstalt­ungsreihe, die genau diesen Zauber des Vorlesens kultiviert­e: die „Vorleserei“im Ballettsaa­l im Kulturhaus Abraxas. Ein knappes Jahr lang pflegten der ehemalige Buchhändle­r Albert Schmid und seine drei Mitstreite­r diesen Brauch, doch mit der Zeit ebbte das Publikumsi­nteresse ab. Während die Veranstalt­ung in Schwabmünc­hen über viele Jahre sehr großen Erfolg hatte, wollten sich die Augsburger offenbar nicht darauf einlassen. Wie schade!

*** „Intermezzo“ist unsere KulturKolu­mne, in der Redakteure der Kultur- und Journal-Redaktion schreiben, was ihnen die Woche über aufgefalle­n ist.

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