Dieser Mann hat „Philipp Lahm“erfunden
Künstlerkarrieren Fußball zieht auch in der Theaterkunst: Mit einem genialen Kniff hat der Augsburger Dramatiker Michel Decar seinem neuen Stück schon vor der Uraufführung Aufmerksamkeit beschert
München Nein, unheimlich ist Michel Decar dieser Rummel um sein neues Stück nicht. Er hat es ja so gewollt. Es heißt schlicht und einfach „Philipp Lahm“, wird am kommenden Samstag in München – wo sonst bei dieser Hauptfigur? – uraufgeführt. Und das Medieninteresse ist groß. Das Münchner Residenztheater, in dessen Marstall das Stück erstmals inszeniert wird, bekommt viele Anfragen, zum Teil auch kuriose – etwa, ob es nicht reizvoll sei, einen Sportredakteur zu Decar zu schicken, schließlich gehe es ja um den Weltmeister-Kicker.
Decar lacht dazu nur. Er sitzt im Theaterfoyer des Residenztheaters, ist extra von Berlin nach München gekommen, um Pressegespräche zu führen und sich die Proben einmal anzusehen. Er glaubt, dass es Verrisse geben werde und auch Lob. „Das war bei jedem Stück von mir so“, sagt er. Er rechnet also vorausblickend schon einmal mit dem Schlimmsten. Ein Stück, das allen gefallen kann – nein, das sei nicht sein literarischer Ansatz.
Über „Philipp Lahm“hat er zum Beispiel schon mit seinem Vater recht kontrovers diskutiert, man sei in der Bewertung nicht einer Meinung gewesen. Trotzdem werden seine Eltern am Samstag zur Uraufführung von Mering nach München fahren. Decars Wurzeln liegen in der Region, auch wenn er mittlerweile wie so viele Autoren in Berlin lebt und arbeitet.
Angefangen hat das mit dem Schreiben in Augsburg, wo Decar 1987 geboren wurde, wo er auch zur Schule ging. Zunächst entdeckte Decar das Theater als Mitglied des Jungen Theater Teams, das heißt des Jugendclubs, den es am Augs- burger Stadttheater gibt, und spielte dort mit. Als das Augsburger Theater einmal einen Dramatikerpreis auslobte, beschloss Decar, verführt durch das Preisgeld, ein Stück zu schreiben – und scheiterte schon nach wenigen Seiten, als er merkte, wie schwer es war, eine Idee tatsächlich zu entwickeln.
Von dem Rückschlag ließ sich Decar nicht entmutigen. Als er in München an der Ludwig-Maximilians-Universität studierte, war er ein des Studiobühnen-Ensembles, spielte, führte Regie und schrieb nun auch erste eigene Stücke zu Ende und inszenierte. „Da habe ich gute Rückmeldungen bekommen“, sagt er. Gleichzeitig sei er in Kontakt mit anderen Autoren gekommen. So konnte er endlich mit anderen über die einsame Arbeit am Schreibtisch reden.
Den alles verändernden Einschnitt markierte der Wechsel nach Berlin. Dort hatte er sich erfolgreich um einen Studienplatz für szenisches Schreiben beworben und war fortan unter seinesgleichen – „in einem richtig guten Jahrgang“. Noch im Studium fing er an, gemeinsam mit Jakob Nolte unter dem Autorennamen Nolte Decar zu schreiben. Für ihr erstes Stück „Helmut Kohl läuft durch Bonn“, uraufgeführt am Theater Bonn, bekamen sie eine Einladung zu den Autorentheatertagen, für „Das Tierreich“erhielten sie den Brüder-GrimmTeil Preis des Landes Berlin. Die Uraufführung von „Der neue Himmel“fand am Deutschen Theater Berlin statt – es gibt nicht viele noch renommiertere Bühnen in der deutschsprachigen Theaterlandschaft. Mittlerweile verfolgen beide Dramatiker stärker eigene Wege. Nolte war mit seinem Roman „Schreckliche Gewalten“für den Deutschen Buchpreis nominiert, Decar wird nächsten Sommer vermutlich unter dem Titel „1000 deutsche Diskotheken“seinen ersten Roman veröffentlichen.
Nun gibt es noch diese Uraufführung am Wochenende. Sein Philipp Lahm sei eine fiktive Person, sagt Decar. Er habe im Vorfeld keine Biografien gelesen, auch nicht recherchiert. „Ich habe eine Theaterfigur erfunden“, sagt der Dramatiker. Er will einen Menschen auf der Bühne zeigen, der nicht der spannendste Typ ist, der in seiner Karriere keine schlechten Entscheidungen getroffen hat, der nie wegen Eskapaden für Schlagzeilen sorgte, „der Anti-Söder“. Decar lacht.
Sein „Philipp Lahm“, aufgeführt als Ein-Personen-Stück, tritt am Residenztheater in Konkurrenz zur großen Theaterliteratur, etwa zur blutrünstigen Shakespeare-Tragödie „Richard III.“, die gerade Premiere hatte. „Man erwartet immer Konflikte und den großen Knall“, sagt Decar. Er entziehe sich dem und sei damit viel näher am Publikum, das auch nicht in solch dramatischen Verhältnissen lebe.
Was ihm bei den Münchner Proben positiv auffiel: „Der Text ist nicht geändert worden.“Da habe er in seinem noch gar nicht so lange währenden Autorenleben schon Katastrophen erlebt – wenn Regisseure für eine Uraufführung das komplette Manuskript umgeschrieben haben. Aufführungen „Philipp Lahm“im Marstall am 16. und 21. Dezember (beide ausverkauft), 2. und 10. Januar