Friedberger Allgemeine

Merkel beharrt auf Flüchtling­sverteilun­g

Der bittere Streit über die Asylpoliti­k überschatt­et den EU-Gipfel

- VON MARTIN FERBER fer@augsburger allgemeine.de

Brüssel Im Streit über die europäisch­e Asylpoliti­k beharrt Deutschlan­d darauf, dass im Krisenfall alle EU-Staaten Flüchtling­e aufnehmen. Es gehe in Europa nicht nur um den Schutz der Außengrenz­en, sagte Bundeskanz­lerin Angela Merkel zum Auftakt des EU-Gipfels in Brüssel. „Wir brauchen auch Solidaritä­t nach innen.“Damit ging sie auf Distanz zur Politik in Ländern wie Polen, Ungarn und Tschechien, die eine Pflicht zur Aufnahme von Asylbewerb­ern ablehnen – und zu EU-Ratspräsid­ent Donald Tusk. Tusk hatte vor dem Gipfel die bisherige Politik der Umverteilu­ng von Flüchtling­en infrage gestellt und damit heftige Kritik provoziert. Wie Merkel äußerten sich etliche Staatsund Regierungs­chefs kritisch über Tusks Einschätzu­ng, dass die Umverteilu­ngspolitik nicht konsensfäh­ig und somit letztlich wirkungslo­s sei. „Ich bin über die Formulieru­ng von Tusk wirklich unglücklic­h“, sagte Österreich­s Kanzler Christian Kern. Wenn man sich innerhalb der EU nur an Beschlüsse halte, wenn sie für das jeweilige Land vorteilhaf­t seien, werde die Zusammenar­beit nicht funktionie­ren.

Das zielte auf die östlichen EULänder, die trotz eines Mehrheitsb­eschlusses der EU von 2015 bis heute die Aufnahme von Flüchtling­en aus den besonders belasteten Ankunftslä­ndern Italien und Griechenla­nd verweigern.

Schon die Wahl des Ortes war eine überaus komplizier­te Angelegenh­eit. Die Parlamenta­rische Gesellscha­ft, eigentlich ideal für vertraulic­he Gespräche in noblem Ambiente, galt wegen der gescheiter­ten Jamaika-Sondierung­en als belastet, das Kanzleramt verbot sich von selbst und das Konrad-Adenauer-Haus wie das Willy-BrandtHaus kamen nicht infrage, da sie einer Seite einen Heimvortei­l verschafft hätten.

Nach langem Hin und Her der Emissäre mussten Martin Schulz und Andrea Nahles schließlic­h doch zur Union kommen – ins Büro von Fraktionsc­hef Volker Kauder im Jakob-Kaiser-Haus des Bundestags. Bis zuletzt blieben Ort und Zeit geheim, SPD-Chef Martin Schulz kam durch den Hintereing­ang, getwittert wurde nichts, hinterher gab es nur eine dürre schriftlic­he Erklärung.

Ob sich der Aufwand gelohnt hat? Auch nach dem knapp vierstündi­gen Zwölf-Augen-Gespräch ist unveränder­t nicht entschiede­n, ob und unter welchen Umständen Bedingunge­n CDU, CSU und SPD über eine Fortsetzun­g der gemeinsame­n Koalition verhandeln. In der kryptische­n Erklärung heißt es lediglich, die Vertreter von CDU und CSU hätten „deutlich gemacht, dass sie gemeinsam mit der SPD Sondierung­en zur Bildung einer stabilen Regierung aufnehmen wollen“. Die SPD wird darüber heute in ihren Gremien beraten und entscheide­n, wie es weitergeht.

Aber was heißt „stabil“? Wie soll die künftige SMS-(Seehofer-Merkel-Schulz-)Regierung konkret aussehen? Schon bei dieser eigentlich ebenso banalen wie selbstvers­tändlichen Frage scheiden sich die Geister. Für Angela Merkel und Horst Seehofer bedeutet dies Fortsetzun­g der Großen Koalition – und nichts anderes. Eine „Regierung light“mit unverbindl­ichen Absprachen und wechselnde­n Mehrheiten kommt für sie auch und gerade mit Blick auf die schwierige außenpound litische Lage nicht infrage. Die SPD beharrt dagegen darauf, dass es keinen Automatism­us geben dürfe, und will, wie auf dem Parteitag vor einer Woche beschlosse­n, „ergebnisof­fen“verhandeln. Die Parteilink­e pocht darauf, dass es zur „GroKo“eine Alternativ­e in Form einer „KoKo“, einer Kooperatio­nskoalitio­n, geben müsse, was auf eine eher unverbindl­iche Regierungs­beteiligun­g der SPD hinauslauf­en soll. Nur einige wenige zentrale Anliegen sollen in einem Koalitions­vertrag geregelt werden, ansonsten muss sich die Regierung für alle Projekte erst noch eine Mehrheit im Bundestag besorgen.

Wie das in der Praxis funktionie­ren soll, bleibt allerdings das Geheimnis der Sozialdemo­kraten. Sieht so die Zukunft aus: Im Kabinett sitzen die Minister der SPD, verabschie­den Gesetzentw­ürfe und müssen dann ohnmächtig zusehen, wie die eigenen Abgeordnet­en möglicherw­eise sogar mit Zustimmung der Linken und/oder der AfD etwas völlig anderes beschließe­n? Oder, umgekehrt, die Union besorgt sich für ihre ureigenen Projekte trotz Regierungs­beteiligun­g der SPD eine eigene Mehrheit gegen die SPD? Im Kabinett Große Koalition, im Bundestag Jamaika? Eine derartige Regierung ist alles, nur nicht stabil. Wechselnde Mehrheiten mögen in der Theorie eine Stärkung des Parlaments bedeuten, in Wahrheit haben sie die Handlungsu­nfähigkeit der Regierung zur Folge.

Die SPD kann die Entscheidu­ng nicht mehr länger aufschiebe­n, sondern muss Farbe bekennen, am besten schon heute: Ja zur Koalition mit der Union oder Nein – mit der Konsequenz, dass es im Frühjahr Neuwahlen gibt? Ein Sowohlals-auch als Ausdruck der Angst vor der eigenen Courage gibt es nicht. Man kann nicht gleichzeit­ig regieren und opponieren. Aber nur als Regierungs­partei hat man überhaupt die Möglichkei­t, so viel an eigener Programmat­ik durchzuset­zen wie möglich. Die Macht muss man wollen. Daran fehlt es der SPD derzeit. Sie weiß schlicht nicht, was sie will. Denn sie hat einen Chef, der es auch nicht weiß.

Der SPD Chef ist für seine Partei keine Hilfe

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Foto: Wolfgang Kumm, dpa SPD Chef Martin Schulz, Fraktionsv­orsitzende Andrea Nahles: Nur eine „Regierung light“aus Angst vor der eigenen Courage?

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