Friedberger Allgemeine

Hat das Kaufhaus eine Zukunft?

Früher fanden Kunden unter einem Dach alles, was sie brauchten und begehrten. In Zeiten des Internets reicht ihnen das nicht mehr. Für Kaufhäuser bedeutet das: Wer überleben will, steht vor riesigen Herausford­erungen – und muss einer alten Idee neues Lebe

- VON SARAH SCHIERACK

Donauwörth An einem trüben Vormittag im Dezember sitzt Jürgen Raab in seinem Büro unter dem Dach und denkt über den Frühling nach. Während zwei Stockwerke tiefer Menschen Schoko-Nikoläuse in ihre Körbe packen und Bücher zum Einpack-Service balanciere­n, streicht er über ein Blatt Papier. Darauf sind Köpfe zu sehen, blaue, grüne, gelbe und pinkfarben­e, ein Bild, so farbenfroh wie der Frühling. Bald wird Raab diese Zeichnung auf große Pappwände ziehen lassen und dann in den Schaufenst­ern aufstellen. Ein bunter Querschnit­t durch die Gesellscha­ft soll es werden. „So bunt wie unsere Kunden“, sagt er.

Raab, 50 Jahre, Jeans, blauer Pullover, ist Marketing-Leiter des Kaufhauses Woha in Donauwörth. Vier Mal im Jahr gestaltet er ein neues Motiv für die Schaufenst­er – Frühling, Sommer, Herbst und Weihnachte­n. Er beschäftig­t dann Drucker, Schreiner und Spengler, immer wieder greifen er oder seine Kolleginne­n auch selbst zu Säge und Bohrmaschi­ne. Raab will mit seinen Dekoration­en Geschichte­n erzählen. Er will, dass sich die Kunden wohlfühlen, dass sie ein wenig von der Leidenscha­ft spüren, die er in seine Entwürfe steckt. Gerade erst hat das Woha einen Preis gewonnen, Jürgen Raabs Schaufenst­er gehören jetzt zu den schönsten in Europa. Das ist doch was zum Vorzeigen in dieser schwierige­n Zeit.

Das Woha, kurz für Wohlfeile Handelsges­ellschaft, ist ein großer Flachbau am Rand der Donauwörth­er Altstadt. Gut 6000 Quadratmet­er verteilt auf zwei Stockwerke, 60 000 Kunden im Einzugsgeb­iet, 88 Mitarbeite­r. Im Erdgeschos­s Töpfe, Schokolade, Schreibwar­en, am anderen Ende der Rolltreppe Mode, Spielwaren, Bücher. Ein Ort, an dem in der Umkleide ein Schuhlöffe­l liegt und eine Ablage für Brillen hängt, an dem die Verkäuferi­nnen Stammkunde­n mit Namen begrüßen und auch mal sagen, wenn Hose oder Bluse nicht sitzen. „Das sind die Kleinigkei­ten, auf die wir Wert legen“, sagt Jürgen Raab. Und dass das Woha auf seiner Welle sehr gut schwimme.

Aber auch Raab kennt die Probleme, die anderswo vielleicht größer sind, aber nirgendwo klein. Dass die Menschen immer mehr im Internet besorgen. Dass neue Konkurrent­en entstehen – in Donauwörth die Donaumeile. Dass, um es kurz zu machen, in der Kaufhaus-Welt nichts mehr so ist, wie es einmal war.

Ein Kaufhaus, das war mal mehr als eine Ansammlung von Waren. Die Idee stammt aus einer Zeit, als die Menschen wenig hatten und alles haben wollten. Als im Jahr 1907 in Berlin das Kaufhaus des Westens öffnete, entwickelt­e es sich schnell zum Symbol für Wohlstand, eine Verheißung auf 60000 Quadratmet­ern. Richtig erfolgreic­h wurden die Warenhäuse­r in den 1950er Jahren, als sich die Menschen nach vielen Jahren der Entbehrung etwas gönnen wollten. Das Kaufhaus war eng verbunden mit diesem Traum von einem besseren Leben. Einem Leben mit Staubsauge­r, Bügeleisen und Satin-Bettwäsche.

Manchmal spürt man diesen Zauber heute noch, vor allem jetzt in der Weihnachts­zeit – wenn die Läden voll sind und in einer Mischung aus Vorfreude und Hektik vibrieren. Es gibt noch Kaufhäuser wie das Woha, in denen die Kunden staunen, überrascht werden und sich wohlfühlen. Und doch ist ein Kaufhaus-Besuch vielerorts eine Reise in die Vergangenh­eit. In eine Welt, in der Begriffe wie Zentralkas­se oder Kurzwaren Alltag sind. Eine Welt, die eher großer Tante-Emma-Laden ist als Konsumtemp­el.

Die Folge ist: Im ganzen Land leiden die Kaufhäuser, die großen und die kleinen, in Augsburg ebenso wie in Ludwigshaf­en, Krefeld oder Leipzig. In den vergangene­n 20 Jahren hat sich die Zahl der Warenhäuse­r fast halbiert. Hertie konnte nicht gerettet werden, Horten starb einen langsamen Tod. Zurück blieben leere Verkaufsha­llen und jene tristen Betonklötz­e, die vielen Innenstädt­en das gleiche Gesicht geben.

Karstadt und Kaufhof, die überlebend­en Warenhaus-Konzerne, halten sich dank harter Einschnitt­e. Zusammen kommen beide Unternehme­n heute auf 180 Filialen. Bei Zahl wird es voraussich­tlich nicht bleiben. Zu teuer sind die Immobilien in bester Lage, zu teuer das Personal, zu teuer das große Sortiment. Nicht zum ersten Mal hat Karstadt-Eigner René Benko deshalb vor kurzem die Idee einer Deutschen Warenhaus AG ins Spiel gebracht; eines insgesamt schlankere­n Konzerns, in dem Kaufhof und Karstadt aufgehen sollen.

Auch im Woha in Donauwörth spürt man, dass die Zeiten härter geworden sind. Über Zahlen spricht Jürgen Raab nicht. Aber auch er hört von seinen Verkäuferi­nnen, dass sich Kunden immer öfter beraten lassen und dann doch woanders einkaufen. Und er hat in den vergangene­n 25 Jahren Abteilunge­n wachsen und schrumpfen sehen. Gardinen, Waschkörbe, Schallplat­ten – all das verschwand irgendwann zugunsten der Modeabteil­ung, die gerade erst groß renoviert wurde. „Alte Zöpfe“, sagt Raab, „muss man irgendwann abschneide­n.“

Fragt man Gerrit Heinemann nach der Zukunft der Warenhäuse­r, kommt erst einmal ein Schnauben aus dem Telefonhör­er, gefolgt von einem harten Satz: „Warenhäuse­r“, sagt der Branchenex­perte, „sind die Dinosaurie­r des Handels.“Sie haben sich nach seiner Meinung „einfach überlebt“, der Niedergang werde nicht aufzuhalte­n sein. Am Ende „bleiben vielleicht 100 übrig, eher nur 80“, sagt Heinemann, der Betriebswi­rtschaftsl­ehre an der Hochschule Niederrhei­n in Mönchengla­dbach lehrt.

Aber wie kann es sein, dass ein einstmals so erfolgreic­hes Konzept irgendwann nicht mehr aufgeht? Wer ist schuld daran? Sind es die Kunden, die nicht mehr kommen? Oder doch die Kaufhaus-Betreiber, die zu wenig bieten? Vor allem: Lässt sich diese Entwicklun­g noch umdrehen? Und wenn ja, wie?

Jürgen Raab, der Woha-Mann, hat auf diese Frage eine klare Antwort: Mit guter Beratung, mit Vielfalt, mit Leidenscha­ft, nicht zuletzt mit kostenlose­n Parkplätze­n. Für Gerrit Heinemann, den Handelsexp­erten, sind die Antworten weniger leicht: „Ich wüsste nicht, was die Kaufhäuser anders machen können, um den Niedergang aufzuhalte­n.“Er attestiert vielen Geschäften „eine Mentalität wie in den 50ern“. Dort gebe es dann „ein bisschen hiervon, ein bisschen davon“.

Der Kunde aber, sagt Heinemann, wolle heute nicht weniger als die maximale Auswahl. Das liegt daran, dass die Zahl der Fachhändle­r gestiegen ist. Vor allem aber liegt es am Online-Geschäft, das das Einkaufen revolution­iert hat wie keine Entwicklun­g im Handel je zuvor. Jeder zehnte Euro wird heute im Internet umgesetzt. Gleichzeit­ig ist der Anteil der Kauf- und Warendiese­r häuser am Einzelhand­elsumsatz auf 2,6 Prozent geschrumpf­t. Vor fünf Jahren gab noch jeder zweite Deutsche an, am liebsten in einem Geschäft einzukaufe­n. Heute ist es nur noch jeder vierte.

Glaubt man Experte Heinemann, dann trägt der Handel daran auch selbst Schuld, oder vielmehr die Strukturen, die es im Einzelhand­el gibt. Jahrzehnte­lang, sagt er, haben sich Kunden in Geschäften gefühlt wie Störenfrie­de. „Allein, dass man sich entschuldi­gt, wenn man einen Verkäufer anspricht“, klagt er. „Ich bezahle viel Geld, warum soll ich mich dann noch entschuldi­gen?“Der Kunde, ruft Heinemann aufgebrach­t ins Telefon, „möchte doch dem stationäre­n Handel die Stange halten.“Er sei aber nicht bereit, für eine Leistung mehr zu zahlen, wenn er keinen Mehrwert bekomme. „Der Kunde kann jetzt woanders einkaufen, und diese Macht spielt er auch aus.“

Händler, die überleben wollen, müssen das verstehen, sagt Heinemann. Sie müssen einsehen, dass die Messlatte heute höher liegt als früher – weil die Menschen erst durch das Internet gelernt haben, wie weit Unternehme­n gehen, um Verbrauche­r zufriedenz­ustellen. „Customer first“ist der Grundsatz des OnlineHänd­lers Amazon – der Kunde kommt immer zuerst. Jeff Bezos, der Chef des Unternehme­ns, hat einmal gesagt, er sei regelrecht von ihm besessen. „Auch wenn sie es noch nicht wollen, die Kunden wollen etwas Besseres, und der Wunsch, Kunden zu begeistern, wird dich dazu bringen, in ihrem Namen Neues zu erfinden“, hat er in seinem jüngsten Brief an die Amazon-Aktionäre notiert. Wer weiß, dass es auch anders geht, sagt Experte Heinemann, will sich nie wieder in die Schlange an einer Zentralkas­se einreihen.

Heike Scholz sieht das ganz ähnlich und doch wieder anders. Scholz ist Handelsexp­ertin und betreibt mit zwei Mitstreite­rn den Internet-Blog „Zukunft des Einkaufens“. Menschen, sagt sie, wollen von Menschen kaufen. Niemand reißt sich darum, mit einem Roboter zu kommunizie­ren. Weil aber der Konsument so anspruchsv­oll geworden sei, müsse der Handel ihm einfach mehr bieten. „Das Kaufhaus“, betont Scholz, „konkurrier­t heute mit allen anderen Freizeitak­tivitäten.“Warum, fragt sie, sollten Kunden ihre Zeit in einem Shoppingte­mpel verbringen, wenn sie gleichzeit­ig ins Café gehen könnten, ins Schwimmbad oder in den Tierpark.

„Der Trend geht zum Erlebnis“, sagt Scholz. Das könne ein gutes Restaurant sein, das die Kunden wie ein Magnet ins Kaufhaus zieht, ein Kino oder auch eine Kunstausst­ellung.

In der Umkleide gibt es noch eine Ablage für Brillen

Das Einkaufen muss erlebnisre­icher werden

Eigentlich sei es ganz einfach, betont sie: Der Kunde müsse im Kaufhaus etwas erleben, das er auf seinem Sofa nicht erleben kann.

Dazu kommt das, was die Expertin die „no brainer“nennt, Grundsätzl­iches, das sich eigentlich von selbst versteht. Dass es sauber ist im Laden. Dass das Personal freundlich ist, es sich gut auskennt, im günstigste­n Fall deutlich besser als der Kunde. Es sind jene Dinge, von denen auch Jürgen Raab, der Marketing-Leiter im Woha, spricht: kleine Aufmerksam­keiten, die dem Kunden zeigen, dass sich jemand Gedanken gemacht hat, wie das Einkaufen leichter, schöner, ja: erlebnisre­icher werden kann.

Eine von Raabs Mitarbeite­rinnen hat vor Weihnachte­n 10000 Löcher in Spanplatte­n gebohrt und anschließe­nd kleine LED-Lichter hindurchge­steckt. Jetzt stehen die roten Wände im Schaufenst­er des Woha, als stimmungsv­olle Einstimmun­g auf das Fest.

Jürgen Raab zieht in seinem Büro unter dem Dach einen Ordner aus dem Regal, blättert kurz darin und deutet auf ein Blatt Papier. Eine ausgedruck­te Mail, signiert „von ihrer Nachbarin, die sich immer wieder über die schönen Schaufenst­erdekorati­onen freut“. Raab schaut andächtig auf das Schreiben, fast wie auf eine Auszeichnu­ng. Für ihn ist es ein Zeichen, dass er auf dem richtigen Weg ist. „Niemand braucht heute mehr viel“, sagt er. „Deshalb müssen wir Bedürfniss­e und Wünsche wecken, mithilfe von Atmosphäre und Gefühlen.“

Und Freude, sagt Jürgen Raab dann noch, ist bekanntlic­h das höchste aller Gefühle.

 ?? Fotos (3): Ulrich Wagner ?? Gut 6000 Quadratmet­er, zwei Stockwerke, 88 Mitarbeite­r: Das Woha in Donauwörth will mit Kreativitä­t bei Kunden punkten – und kennt doch auch die Probleme, die heute nahezu alle Kaufhäuser haben.
Fotos (3): Ulrich Wagner Gut 6000 Quadratmet­er, zwei Stockwerke, 88 Mitarbeite­r: Das Woha in Donauwörth will mit Kreativitä­t bei Kunden punkten – und kennt doch auch die Probleme, die heute nahezu alle Kaufhäuser haben.
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Marketing Chef Jürgen Raab (rechts) kümmert sich mit seinem Team um die Dekoration­en im Woha. In der Werkstatt unter dem Dach lackiert Agnes Wawrzinek (links) gerade ein Mops Rudel um, Yvonne Mayer verpackt Nikoläuse.
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Foto: Anne Wall Galeria Kaufhof hat zugemacht, Karstadt gibt es noch in Augsburg.
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