Friedberger Allgemeine

Die Gefahr im Trinkwasse­r

Tausende Menschen im Kreis Altötting haben Giftstoffe im Blut. Sie fühlen sich belogen. Und eine Mutter sorgt sich um ihre Kinder

- VON SARAH RITSCHEL

Augsburg Man hätte schon vor elf Jahren genauer hinsehen müssen, sagt Tina Schulz. Damals, als die Fische reihenweis­e tot am Ufer der Alz lagen. Die Umweltorga­nisation Greenpeace wies Giftstoffe im Wasser nach. Doch die zweifache Mutter aus Emmerting im Landkreis Altötting hat nicht den Eindruck, dass danach groß etwas unternomme­n wurde. „Das liegt halt am Abwasser, hieß es damals“, erzählt sie.

Heute wissen die gut 4000 Einwohner des oberbayeri­schen Ortes, dass in ihrem Blut wohl die gleichen Schadstoff­e fließen wie damals im Wasser der nahen Alz. Bei einer Kontrolle von Blutspende­konserven aus Emmerting hat das Landesamt für Gesundheit und Lebensmitt­elsicherhe­it (LGL) festgestel­lt, dass die Bewohner eine stark erhöhte Konzentrat­ion der möglicherw­eise krebserreg­enden Chemikalie Perfluoroc­tansäure – kurz PFOA – aufweisen. Der Wert war bis zu 20 Mal höher als bei Personen aus München und Passau.

Emmerting liegt im sogenannte­n Chemiedrei­eck zwischen Salzach und Inn. Im dortigen Chemiepark Gendorf wurde PFOA lange verwendet – zum Beispiel zur Herstellun­g von schmutz- und wasserabwe­isenden Textilien. Überrascht von den schlechten Blutwerten ist Tina Schulz deshalb nicht. „Wenn man hier wohnt, muss man mit so etwas rechnen.“Seit 2008 ist der Stoff zwar nicht mehr im Einsatz. Im Boden und im Trinkwasse­r hatte er sich da längst abgelagert. Zwar ist nicht klar, ab welchem Grenzwert für den Menschen Gefahr besteht. Die Säure kann sich auf die Fruchtbark­eit, Schilddrüs­e und den Fettstoffw­echsel sowie den Zeitpunkt von Pubertät und Wechseljah­ren auswirken. Eine Studie aus den Vereinigte­n Staaten legt zudem nahe, dass PFOA das Risiko für Hodenund Nierenkreb­s steigert. Das Landesamt für Gesundheit hat bisher aber kein erhöhtes Vorkommen dieser Krebsarten in den belasteten Gebieten festgestel­lt.

Aber natürlich mache man sich Sorgen, sagt Tina Schulz. Sie leitet eine Mutter-Kind-Gruppe in Emmerting. „Wir haben darüber gesprochen, was man tun kann. Aber es bringt ja nicht einmal was, wenn man das Wasser abkocht.“Denn PFOA kann man nicht abtöten wie Bakterien. Die meisten der belaste- ten Brunnen sind inzwischen vom Netz oder wurden mit Aktivkohle­filtern versehen. Doch bei vielen Emmertinge­rn bleibt ein komisches Gefühl. Manche Gemeinden beliefern ihre Kindergärt­en weiter mit abgepackte­m Wasser.

Wütend sind die meisten Emmertinge­r über die Informatio­nspolitik der Behörden. Denn die Auswertung der Blutproben lag schon im Herbst 2016 vor, wenig später ließ das Landratsam­t das Grundwasse­r filtern, die PFOA-Belastung sank. Mit den Bürgern aber habe niemand gesprochen. Erst bei einer Versammlun­g Mitte November 2017 erfuhren sie mehr über die Schadstoff­e in ihrem Blut. Eine Frechheit, findet Tina Schulz. „Wir fühlen uns belogen und hintergang­en.“Das LGL weist die Vorwürfe zurück. Man könne die Ergebnisse der halbjährli­chen Trinkwasse­rproben jederzeit im Internet einsehen.

Der Kreistag von Altötting hat jetzt ein Monitoring-Programm auf den Weg gebracht, bei dem je 150 Freiwillig­e aus fünf belasteten Gemeinden über Jahre hinweg Blutproben abgeben. Das LGL will prüfen, wie schnell sich PFOA im Körper abbaut. Die Kosten trägt vermutlich der Freistaat. Tina Schulz hat sich noch nicht überlegt, ob sie sich für die Blutunters­uchung meldet. „Mir und meiner Familie geht es gut zurzeit. Ich weiß nicht, ob ich wirklich wissen will, was da in meinem Blut ist.“

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