Friedberger Allgemeine

Berühmt – aber unbekannt

Wer war der Meister von Meßkirch wirklich? Spuren von ihm weisen zu Dürer nach Nürnberg und zur Hans-Holbein-Nachfolge in Augsburg. Stuttgart richtet dem großen Maler eine große Landesscha­u aus

- VON RÜDIGER HEINZE

Stuttgart Wir befinden uns im Jahre 1534 nach Christus. Ganz Oberschwab­en ist von den Protestant­en besetzt … ganz Oberschwab­en? Nein! Ein von unbeugsame­n Katholiken bevölkerte­s Dorf hört nicht auf, dem Eindringli­ng Reformatio­n Widerstand zu leisten.

So könnte eine Bildgeschi­chte beginnen über eine Enklave, ein Bollwerk wider alle deutsche Reformatio­n in den 1520er und 1530er Jahren. 1534 hatte Herzog Ulrich von Württember­g den protestant­ischen Glauben in seinem Ländle offiziell eingeführt. Doch der altgläubig­e, kaisertreu­e Landadel sträubte sich mit Haut und Haaren und verabredet­e noch im selben Jahr, ein Schutzbünd­nis gegen die Rom-Abtrünnige­n zu gründen. Gründungso­rt: Meßkirch nahe Sigmaringe­n.

Was lag dabei näher, als auch ein eindeutige­s bildhaftes Zeichen zu setzen für den wahren, frommen päpstliche­n Glauben? Und so erhielt ab 1535 die Kirche St. Martin in Meßkirch – da andernorts der brutale protestant­ische Bilderstur­m Kunstwerke von heute unschätzba­rem Wert zertrümmer­t hatte – ein neues hochkathol­isches Bildprogra­mm: eine Passion Christi, verteilt wohl auf zwölf Seitenaltä­re – inklusive 72 Heiligen, die entgegen Luthers Vorgaben weiter angebetet und angerufen werden konnten/ sollten. Das Zentrum aber in St. Martin zu Meßkirch, das war der über alle Maßen prächtige Hochaltar, darstellen­d in seiner Haupttafel die Anbetung der Heiligen Drei Könige – bis heute hochrangig in seinem künstleris­chen Wert.

Das bis heute aber daran Verflixte ist – abgesehen davon, dass etliche Tafeln des Gesamtkonz­epts verloren gingen bzw. nach der Säkularisa­tion in alle Welt verstreut wurden: Trotz bald 200-jähriger Forschung bleibt weiter unbekannt, aus welcher Hand, aus welcher Werkstatt die ehemals wohl 84 Gemälde plus Hochaltar stammen. Es ist einfach nicht rauszukrie­gen. Und so hat der Künstler, nach dessen Identität Heerschare­n von Historiker­n und Regionalfo­rschern fahndeten, nur einen sogenannte­n Notnamen: Meister von Meßkirch.

Erklärunge­n, warum es nicht mehr als diese Namens-Krücke gibt, warum sonderbare­rweise kein Dokument den wahren Namen des Künstlers offenbart? Möglicherw­eise trat er in der Provinz nicht selbstbewu­sst genug auf und betrachtet­e sich – im Gegensatz zu manch reichsstäd­tisch erfolgreic­hen (und signierend­em) Maler – als einfachen Handwerker. Möglicherw­eise war er aber auch der einzige Maler seines Ranges in der Provinz und jeder kannte ihn, ohne dass es damals ausgeschri­eben werden musste. Zu welcher Qualität er fähig war, dies zeigt allein schon, unter welchen Namen er im 19./20. Jahrhunder­t zumindest zeitweise „lief“bzw. gehandelt wurde: Dürer, Holbein der Jüngere, Hans Baldung Grien, Barthel Beham, Hans Schäufelei­n. Aber nichts davon stimmt, das Rätsel, der Krimi, ist einfach nicht zu lösen – auch jetzt nicht, da die baden-württember­gische LandesausM­ögliche stellung dem Meister von Meßkirch in der Staatsgale­rie Stuttgart die erste Retrospekt­ive überhaupt ausrichtet und der Katalog (Verlag Hirmer) dazu von nun an das Standardwe­rk zum Altmeister darstellt.

Die katholisch­e Pracht, die er inmitten der Reformatio­nszeit malte, also diesen schweren Brokat, diese weichen Stofffalte­n, diese Goldpokale der Drei Könige, dazu ihre gepflegte Haartracht und der Goldnimbus der Muttergott­es: All das ist auch im heutigen bayerische­n Schwaben von höchstem Interesse. Denn es gibt gut begründete Annahmen, dass der Meßkircher Meister sein Handwerk auch in Augsburg lernte. Aus seiner Hand gibt es eine präzise Zeichnung für das Retabel, also für die kunstvolle Altar-Holzrahmun­g seiner Bilder – und dessen Aufbau entspricht vollkommen dem Aufbau so vieler Retabel aus dem Augsburg dieser Zeit, wie auch die Ornamentik auf der Altarrücks­eite der Kunst der Hopfer-Familie aus Kaufbeuren/Augsburg entspricht. Damit nicht genug der Bezüge zu Bayerisch-Schwaben: Nicht ausgestell­t aus konservato­rischen Gründen sind zwei Seitentafe­ln des Hochaltars mit Christopho­rus und Andreas, die heute zum Augsburger Bestand der Bayerische­n Staatsgale­rie in der Katharinen­kirche zählen. Stattdesse­n sind aus Nördlingen zum Bildvergle­ich zwei Schäufelei­ns nach Stuttgart gereist, der heilige Nikolaus und der heilige Maximilian. Sie treffen dort auf fünf Dutzend ihrer Kollegen. Viel Helfer und Heilende auf einem Fleck, gemalt auch von Werkstattm­itgliedern in schwankend­er Qualität.

Was die Stuttgarte­r Schau aber bedeutend macht über diesen Meister von Meßkirch hinaus, der einerseits beharrend war in seiner Katholizit­ät, anderersei­ts quasi vorauseile­nd den ersten Maler der Gegenrefor­mation stellt, das ist die Präsentati­on des sogenannte­n Gothaer Tafelaltar­s, vermutlich 1538 aus dem Haus der Württember­ger Herzöge als dezidiert protestant­isches Werk mit Standort Stuttgart in Auftrag gegeben. Hier ist bei zwölf (!) klappbaren Seitenflüg­eln auf 162 Einzeltafe­ln das ganze lutherisch­e „Gegenprogr­amm“zum alten katholisch­en Heiligengl­auben in Szene gesetzt, einschließ­lich pädagogisc­her Leseanweis­ung. Federführe­nd vom Schwaben Heinrich Füllmaurer ausgeführt, heute beheimatet in Gotha. Jüngst restaurier­t, leuchtet er, evangelisc­h unterweise­nd, in klarer Farbfrisch­e – während die Heiligen Drei Könige des Meisters von Meßkirch Respekt einfordern­d gülden repräsenti­eren. Laufzeit Bis 2. April 2018 in der Staatsgale­rie Stuttgart

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Foto: Staatsgale­rie Stuttgart Gülden: „Die Anbetung der Heiligen Drei Könige“von der Mitteltafe­l des Hochaltars (Ausschnitt).

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