Schreiben ist ihr größtes Glück
Ihr ganzes Leben hat die Grafikerin Lisa Beck der Schrift und dem Unterricht darin verschrieben. Heute wird die legendäre Augsburger Gestaltungs-Professorin 90 Jahre alt
Ihr größtes Glück: „Dass ich immer noch schreiben kann.“Die Schrift und ihre Gestaltung begleiten Lisa Beck ihr ganzes Leben lang. An der Fachhochschule Augsburg und zuvor schon an der Werkkunstschule war sie die Lehrerin und Professorin für dieses Gebiet über drei Jahrzehnte. Viele hundert Grafikerinnen und Grafiker hat sie geprägt, ihr Ruf verbreitete sich weit über die Stadt hinaus. Am heutigen Freitag feiert Lisa Beck ihren 90. Geburtstag.
Im Zeitalter der elektronischen Textverarbeitung, die standardmäßig Dutzende von Schriften zur Verfügung stellt, scheint das Schreiben mit der Hand völlig altmodisch geworden zu sein. Lisa Beck hält trotzdem daran fest, dass Schreiben etwas Urmenschliches ist. „Schrift ist das Kommunikationsmittel überhaupt. Ihre Erfindung und ihre Entwicklung sind eine großartige Leistung in der Geschichte der Menschheit“, sagt sie. Dem altgriechischen Philosophen Heraklit werde sogar das Wort zugeschrieben: „Des Daseins eigentlichen Anfang macht die Schrift.“Wer schreibt, der bleibt.
Lisa Beck würde süffisant hinzufügen: Wer leserlich schreibt … Sie selbst hat in der Schule das Fach Schönschrift geliebt. „Vorbild war mir meine Mutter, die mit ihrer schönen und flüssig geschriebenen Handschrift alle Schreibarbeiten der Familie erledigte“, erzählt sie. Mit der eckigen Sütterlinschrift schrieb klein Lisa ganze Märchenbücher. So gern sie auch die Feder schwang, so blieb ihr nicht die Mühe und Plage erspart, die schreibende Hand mit und Disziplin zu üben, damit sich Buchstabe an Buchstabe, Wort an Wort ebenmäßig reihte und sich Zeile um Zeile zum harmonischen Schriftbild zusammenfügte.
Ihren Studierenden konnte sie diese Mühe auch nicht ersparen, denn der Schriftunterricht war verpflichtendes Prüfungsfach im Studienplan. „Das gefiel nicht immer allen und nicht wenige stöhnten über die Plagen und den zeitlichen Aufwand. Wenn sie jedoch die anfänglichen Schwierigkeiten überwunden hatten, sich erste Erfolge beim Gestalten eines längeren Textes einstellten, fanden viele Studierende die notwendige Motivation und Konzentration beim Schreiben und empfanden sogar Freude bei dieser Arbeit“, erzählt die Professorin. Sie selber habe immer ein Glücksgefühl beim Schreiben erlebt. Darum kann sie es bis ins hohe Alter nicht lassen: Jetzt entwirft sie kalligrafische Blätter mit dem Grafitstab und Pastellkreiden in lockeren, freien Schwüngen. Und das Layout des Pfarrbriefs ihrer Heimatgemeinde St. Thaddäus an der Ulmer Straße in Kriegshaber betreut sie noch immer – wie seit 44 Jahren, ganz ohne Elektronik.
Durch Zufall ist Lisa Beck nach dem Abitur 1947 am Maria-Theresia-Gymnasium an die Kunstschule gekommen. „Mach was Richtiges!“, hatten die Eltern gefordert. Sie hätte lieber Germanistik studiert, „aber die schon älteren Kriegsheimkehrer hatten an der Universität Vortritt“. Also ging sie in die strenge Schreibschule bei Eugen Nerdinger, er sollte ihr Lehrer und vertrautester Kollege werden. Er war 18 Jahre älter, ein vielseitig gebildeter Mann mit breitem geistesgeschichtlichen WisAusdauer sen und menschlicher Reife. Bereits während des Studiums als Grafiker und Buchgestalter gewann er zwölf Preise. In der Nazi-Diktatur war er seit 1933 unter den Revolutionären Sozialisten im Widerstand und saß ab 1942 in Gestapo-Einzelhaft.
„Ich bewunderte die ihm eigene künstlerische Bildsprache, besonders aber die Fähigkeit, seine Vorstellungen und Gedanken im Unterricht an der Kunstschule mit Überzeugung und Leidenschaft vorzutragen“, erinnert sich Lisa Beck. „Nerdinger ordnete Gestaltungsfragen immer in größere geistige, meist gesellschaftspolitische Zusammenhänge ein.“In den 50er und 60er Jahren wurde sie seine engste Mitarbeiterin, wirkte an seinem „Buchstabenbuch“mit, indem sie die Reprovorlagen für die Alphabete entwarf – und bis 1988 erweiterte und überarbeitete. Zitate von Eugen Nerdinger verwendete sie gern für ihre Schriftkarten.
Als Direktor der Werkkunstschule verpflichtete Nerdinger sie 1960 als freiberufliche Dozentin, ab 1967 im Hauptberuf. Zusammen entwickelten sie eine Methodik für den Schriftunterricht, der nicht einfach im Kopieren klassischer Typen bestand, sondern im Übertragen ihrer ästhetischen und funktionalen Grundprinzipien auf heutige Formvorstellungen. Bis 1990 lehrte Lisa Beck am 1971 aufgewerteten Fachbereich Gestaltung der Fachhochschule, mit ihren Schülern steht sie meistens noch in Verbindung. „Ich verschickte zu Weihnachten immer noch an die hundert Briefe an Freunde und ehemalige Studenten“, sagt Lisa Beck – selbstverständlich individuell von Hand geschrieben.