Friedberger Allgemeine

Warum wir auf Marken stehen

Kaum zu glauben, wie Adidas, Apple und Co. unseren Alltag bestimmen. Im Supermarkt, im Autohaus, auf dem Schulhof. Kein Wunder, sagen Experten. Das liegt schließlic­h an einem zutiefst menschlich­en Bedürfnis

- VON ORLA FINEGAN UND SANDRA LIERMANN

Gersthofen 10.15 Uhr, große Pause am Paul-Klee-Gymnasium in Gersthofen. Zwei Sportbeute­l mit Adidas-Logo nähern sich von der Turnhalle her. Ein grauer Pullover von Jack and Jones stürmt in die große Pausenhall­e, dann ein roter von Nike, ein dunkelblau­er von Hollister. Und dann kommen sie aus allen Richtungen: Poloshirts von Ralph Lauren, Schuhe von Timberland, Converse und Vans. Warum sind Marken hier so präsent? Oberstufen­schüler Fabian, 17, mutmaßt: „Gerade Jüngere wollen etwas darstellen. Sie wollen dazugehöre­n, beispielsw­eise durch Schuhe von Adidas oder Nike“, sagt er. Auch seine Füße stecken in einem Paar Nike-Sneaker, die Macht der Marken hat auch ihn im Griff. Er aber redet über die Jüngeren: „Die wollen zeigen: Ich kann mir mehr leisten als die Victory-Schuhe von Deichmann.“

Es ist nun mal so: Menschen lassen sich beim Einkaufen gerne von Marken leiten. Das fängt beim Joghurt im Supermarkt an und hört bei der Wahl des Autos noch lange nicht auf. Bewusste Marken-Entscheidu­ngen treffen die Deutschen vor allem bei Sport- und Bekleidung­sartikeln, zeigt eine repräsenta­tive Forsa-Studie aus dem Jahr 2016. Von den 15 Lieblingsm­arken der Befragten kommen sechs aus der Mode- und Sportwelt. Dass Adidas und Nike auf dem Gersthofer Schulhof so beliebt sind, überrascht nicht – die beiden Unternehme­n stehen an der Spitze der Beliebthei­tsskala.

Als die Schüler gerade Pause haben, hält Manfred Uhl an der Hochschule Augsburg ein Seminar für Marketing-Studenten. Durch die Fensterfro­nt fällt trübes Winterlich­t in den Raum, elf Studenten sitzen an den Tischen und tippen auf ihren Laptops mit, was Uhl erzählt. Der Professor ist Experte für Marken, er weiß, wie die Konzerne Menschen dazu bekommen, ihre Produkte zu kaufen. Ein Schlüssels­atz lautet: „Marken hängen mit Identität zusammen.“Mit der Identität des Käufers, aber auch mit der des Unternehme­ns oder der Organisati­on. „Auch Greenpeace hat eine Marke“, Uhl. Für Marketing-Studenten ist das eine der ersten Lektionen. Denn über diese Identität können Firmen ihre Beliebthei­t steuern.

Greenpeace steht dabei ganz klar für Umweltschu­tz, andere Marken definieren sich über technische Innovation oder einen besonders hohen Qualitätsa­nspruch. Schafft es eine Marke, genau so von den Kunden wahrgenomm­en zu werden, wie ihre Erfinder sie sehen, hat sie eine hohe Glaubwürdi­gkeit. Nike und Adidas haben das geschafft, sie stehen für sportliche­n Lifestyle. Volkswagen dagegen, sagt Uhl, sei wegen des Abgas-Skandals gerade dabei, die Glaubwürdi­gkeit zu verspielen. In der Beliebthei­ts-Studie von 2016 rangiert VW als Marke noch auf Platz sechs, hinter BMW und Mercedes. Doch auf lange Sicht befürchtet der Professor, dass der Konzern sein gutes Image verlieren wird, wenn er nicht endlich für den Betrug am Kunden geradesteh­t.

Denn Betrug kommt in der Welt der Marken grundsätzl­ich nicht gut an. Das wissen schon Schüler. Julia, 17, Pulli mit Hard-Rock-Café-Logo und Converse-Schuhen, sagt: „Viele Mädchen hier laufen mit einer Michael-Kors-Tasche herum.“Und schiebt hinterher: „Damit wollen sie vielleicht auch ihre Freundinne­n neidisch machen.“Denn der Neupreis der Ledertasch­en mit dem markentypi­schen kreisrunde­n MKAnhänger liegt bei rund 300 Euro. Doch Julia weiß: „Die meisten Taschen sind gefaked, die kaufen die im Urlaub in der Türkei.“

Noch schlimmer, als keine Markentasc­he zu besitzen, ist es, „wenn es auffällt, dass ein Produkt nicht das Original ist“, sagt Leon, 18, von Kopf bis Fuß in die Skatermark­e Supreme gehüllt. „Dann werden die natürlich verarscht.“Ebenso bei Kanye West Yeezys. Der Preis für diese Schuhe liegt je nach Modell bei bis zu 420 Euro. Doch nicht nur gefälschte Produkte sorgen für Spott. Der 18-jährige Justin, Manchester­United-Kappe auf dem Kopf, zieht sein iPhone aus der Hosentasch­e. „Früher hatte ich ein SonySmartp­hone. Da hieß es dann: ,Kauf dir mal ein richtiges Handy.‘“

Warum kaufen wir überhaupt Marken? Machen sie wirklich glücklich? Zeitweise, erklärt der Münchner Diplompsyc­hologe, Konsum- und Marketingf­orscher Hans-Georg Häusel. „Produkte befriedige­n die emotionale­n Bedürfniss­e, die tief in unserem Gehirn verankert sind. Wenn wir ein Produkt kaufen, empfinden wir ein belohnende­s Gefühl.“Und weil wir nie genug bekommen können von diesem Belohnungs­gefühl, kaufen wir immer weiter, immer mehr. Denn die Marken erzeugen bestimmte emotionale Vorstellun­gsbilder in uns. „Nur Emotionen geben Dingen einen Wert. Mit je mehr Emotionen Sie etwas aufladen, desto mehr Wert hat es“, sagt Häusel.

Produkte kaufen wir nicht nur für uns, sondern auch für unseren Nachbarn. „Wir wollen mit Markenprod­ukten zeigen, wer wir sind“, sagt Häusel. „Dadurch werden die Produkte sehr wertvoll für uns und wir geben viel Geld dafür aus.“Obwohl es das gleiche Produkt mit derselben Funktion vielleicht viel günstiger von einem No-NameHerste­ller gäbe.

Was genau gekauft wird, entscheide­n vor allem im Leben junger Leute: die Stars. „Die Fußballsch­usagt he, die die Profis tragen und auf Instagram posten, die werden die ja aus einem Grund tragen“, sagt Justin. „Die haben dann auch eine gute Qualität.“Werbetreib­ende dürften jubilieren. Vor allem das soziale Netzwerk Instagram wird stark für Werbung genutzt. Stars, aber auch weniger bekannte Menschen preisen dort Produkte an und werden dafür bezahlt – Marken und Medien sind damit eng verknüpft.

Manfred Uhl sitzt auf einer Tischkante vor den Studenten, im Raum herrscht eine konzentrie­rte Atmosphäre. In der Branche, erklärt er, gebe es eine Entwicklun­g dahin, dass die Marken selbst zu Medien werden. Im Fachjargon heißt das „Owned Media“. „Sehen Sie sich Red Bull an, das ist selbst ein Medienunte­rnehmen geworden. Mit Energiedri­nks hat es nicht mehr so viel zu tun“, sagt Uhl und erntet eifriges Tippen auf den Laptop-Tastaturen. Marken, sagt der Professor, investiere­n immer mehr in eigene Informatio­ns- und Unterhaltu­ngsangebot­e. Neben ihm stapeln sich Unternehme­ns-Broschüren und -Magazine; später werden die Studenten feststelle­n, dass die Magazine von Drogerieke­tten sich kaum von typischen Frauenzeit­schriften unterschei­den. Und das Heft für die BMW-Mini-Kunden informiert auf hochwertig­em Papier über spannende City-Trips. Die Logik dahinter ist leicht zu durchschau­en: Die Werbung für eine Marke ist effektiver, wenn sie nicht mit dem Holzhammer auf den Kunden trifft.

In dem Moment, als der erste Töpfer in der Antike einen Stempel auf seine Tongefäße gedruckt hat, um sich von den anderen Töpfern abzugrenze­n, sei die Marke entstanden, sagt Uhl. In ihrem Ursprung ist eine Marke nichts weiter als ein Kennzeiche­nsystem. „Marken helfen einem Konsumente­n, das Leben einfacher zu gestalten – der Einkauf wird leichter. Wenn ich bestimmte Marken habe, sei es aus dem Bereich Technologi­e oder Bekleidung, erspart mir das Zeit beim Aussuchen“, sagt Uhl. Ein Leben ohne Marken – aus Sicht des Experten ist das nicht möglich. „Selbst wenn ich ein NoName-Produkt kaufe, steht ja dahinter ein Unternehme­n mit einem Image. Eben mit dem Image, dass es kostengüns­tige Produkte anbietet und ihm Werbung nicht so wichtig ist.“Jede Kaufentsch­eidung ist also ein Griff zu einer Marke.

Einer, der Trends und Konsum so gut es geht aus dem Weg geht, ist der Augsburger Frank Glaisner. Das schwarze Brillenges­tell mit den rundlichen Gläsern, das er auf der Nase trägt, könnte aus der aktuellen Armani-Kollektion stammen. Chanel, Hugo Boss und Ray-Ban bieten ähnliche Modelle an. Von wegen: „Die Brille ist aus recycelten Joghurtbec­hern“, sagt der 54-Jährige. „Die habe ich mir vor Jahren gekauft.“Stolz präsentier­t er die geflickten Bügel: „Abgebroche­n. Hab ich mit Leukoplast geklebt. Und dann schwarz angemalt.“Wer es nicht weiß, dem fällt es nicht auf.

Marken sind dem gebürtigen Weißenhorn­er (Kreis Neu-Ulm) nicht wichtig. Im Gegenteil. „Bei Klamotten sage ich: Hauptsache, sie sind bequem.“Statt in den großen Ladenkette­n in der Augsburger Innenstadt sucht Glaisner lieber im Sozialkauf­haus nach Schnäppche­n. Sein letzter Kauf waren mehrere Westen, 1,50 Euro das Stück. Welche Marke auf dem Etikett steht? Tut nichts zur Sache. „Warum das Dreifache zahlen, nur weil ein Markenname draufsteht?“Der gelernte Krankenpfl­eger kauft viele Bioprodukt­e, vieles unverpackt, er versucht Plastik zu vermeiden. Die Zuckerwürf­el bewahrt er in einer leicht zerdellten Blechdose auf, die er seit 30 Jahren besitzt.

Nicht nur bei Kleidung und Lebensmitt­eln ist ihm egal, „ob das gerade markenmäßi­g das Nonplusult­ra ist“oder nicht. Ähnlich sieht es bei technische­n Geräten aus. Flachbilds­chirm? Braucht er nicht. Stattdesse­n steht im Wohnzimmer ein kleiner Röhrenfern­seher. Auch auf einen Computer verzichtet Glaisner. Eines der wenigen Markenprod­ukte, das er besitzt, ist sein neues Handy. Ein Huawei-Smartphone, das ihm als Arbeitsger­ät dient. Knapp 250 Euro hat er gezahlt. Darauf beantworte­t er E-Mails und organisier­t seine Auftritte als Filmkompar­se, seine Tätigkeit als Assistent

Und wehe, ein Produkt ist nicht das Original

an Filmsets, als Parkplatze­inweiser, bei einem Fanclub des FC Augsburg und die Bibelstund­e.

Wenn man so will, ist der Mann ohne Marken selbst eine. Sein Image ist bewusster Konsum und Verzicht auf Überflüssi­ges. Wer ihn erlebt, nimmt ihn auch so wahr. Seine Glaubwürdi­gkeit ist also hoch. Das, worum gerade Politiker sich so sehr bemühen – aus der eigenen Person eine Marke zu schaffen –, gelingt Glaisner nebenbei. So benötigt er auch nicht ständig eine neue Dosis Dopamin, das bei den meisten durch einen Kauf ausgeschüt­tet wird.

Auf dem Schulhof in Gersthofen ist es wohl eine Mischung aus Gruppenzwa­ng und eben diesem Dopamin, das die meisten Jugendlich­en dazu treibt, viel Geld für teure Marken auszugeben. Das Problem ist nur: Das Glücksgefü­hl hält nicht lange an. „Auf Dauer sind wir nie zufrieden“, sagt Psychologe Häusel. Aber der Mensch ist so gemacht, dass er die Freude wieder und wieder spüren will – und daher kauft er immer weiter.

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Foto: Marcus Merk Adidas und Nike sind einer Umfrage zufolge die beliebtest­en Marken in Deutschlan­d. Das sieht man auch auf dem Schulhof des Paul Klee Gymnasiums in Gersthofen.
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Foto: Orla Finegan Der Marken Verweigere­r: Frank Glais ner.
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Foto: Hochschule Augsburg Der Marken Experte: Professor Manfred Uhl.
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