Friedberger Allgemeine

Schulz: Rote Politik statt roter Linien

CDU, CSU und SPD loten aus, ob sie ein weiteres Mal zur Großen Koalition zusammenfi­nden wollen. Doch es gibt viele Hürden auf dem Weg zu einer stabilen Regierung

- VON BERNHARD JUNGINGER

Berlin Das Europa-Mobil steht verdammt ungünstig vor dem Eingang zur SPD-Zentrale und kann nicht losfahren. Ist das eine gewitzte Protestakt­ion für eine bessere Europapoli­tik? Jedenfalls müssen die Politiker, in deren Händen das Schicksal Deutschlan­ds liegt, einen Bogen um den verbeulten weißen Kombi machen, der bunt beklebt ist mit den Flaggen aller EU-Mitglieder. Doch die Besitzerin, die nervös rauchend am Straßenran­d bibbert, hat einfach nur das Pech, dass ihr 15 Jahre alter Wagen, den sie vor dem Willy-Brandt-Haus abgestellt hatte, ausgerechn­et an diesem Morgen nicht anspringen will. So sorgt das Auto für mächtig Aufregung bei den Sicherheit­skräften und wird von Sprengstof­f-Spürhunden beschnüffe­lt. Schließlic­h wollen die Spitzen von SPD, CDU und CSU hier gleich die Möglichkei­t einer Neuauflage ihrer Koalitions­regierung ausloten.

Zunächst treffen sich Bundeskanz­lerin Angela Merkel (CDU), CSU-Chef Horst Seehofer und der SPD-Vorsitzend­e Martin Schulz sowie Unionsfrak­tionschef Volker Kauder, CSU-Landesgrup­penchef Alexander Dobrindt und SPDFraktio­nschefin Andrea Nahles in kleiner Runde. Unmittelba­r vor dem Gespräch gibt sich die nach der Bundestags­wahl und den gescheiter­ten Gesprächen über eine Jamaika-Koalition der Union mit FDP und Grünen nur noch geschäftsf­ührende Kanzlerin optimistis­ch. Sie erwarte, dass die Sondierung­en zu einer „stabilen Regierung“führten. Vor den Sondierern liege zwar ein „Riesenstüc­k Arbeit“, doch dieses werde „sehr zügig, sehr intensiv“angegangen. Merkel, die ein grellfuchs­iafarbenes Oberteil trägt: „Ich glaube, es kann gelingen.“

SPD-Chef Martin Schulz, Gastgeber des ersten von fünf bis Donnerstag geplanten Sondierung­sgespräche­n, will ebenfalls „konstrukti­ve und ergebnisof­fene“Sondierung­en, darauf hätten die Deutschen einen Anspruch. Seine Partei ziehe keine roten Linien, sondern wolle „möglichst viel rote Politik in Deutschlan­d durchsetze­n“. Zu den Forderunge­n der SPD gehören höhere Steuern für Reiche, eine Weiterentw­icklung der Europäisch­en Union und die Einführung einer einheitlic­hen Krankenver­sicherung.

Ohne ein beträchtli­ches Entgegenko­mmen der Union gegenüber der SPD, das wissen alle Beteiligte­n, wird es kaum zu einem neuen schwarz-roten Bündnis kommen. Denn in der Parteibasi­s gibt es teils erhebliche­n Widerstand gegen eine Regierungs­beteiligun­g. Ob auf die Sondierung­en konkrete Koalitions­verhandlun­gen folgen, hängt von der Entscheidu­ng der Delegierte­n beim SPD-Sonderpart­eitag in Bonn am 21. Januar ab.

Streit droht vor allem zwischen SPD und CSU. Denn die Christsozi­alen vertreten gerade in der Flüchtling­spolitik Positionen, die die Sozialdemo­kraten ablehnen. Die CSU will etwa den Familienna­chzug für Flüchtling­e weiter aussetzen und Geldzahlun­gen an Asylbewerb­er kürzen. Immerhin bei einem umstritten­en Punkt zeichnet sich ein Kompromiss ab. Die Forderunge­n aus der Union nach Alterstest­s bei jungen Flüchtling­en findet nun auch in der SPD-Spitze Zustimmung. „Wir dürfen uns als Staat von Flüchtling­en nicht belügen lassen“, so Andrea Nahles in einem Zeitungsin­terview.

CSU-Chef Horst Seehofer sagt beim Eintreffen: „Wir müssen uns verständig­en.“Konkrete Bedingunge­n seiner Partei nennt er nicht, macht aber auch klar, dass die CSU nicht daran denke, ihr „Profil zu verwischen“. Bis zum Mittag trudeln die 39 Sondierer der drei Parteien ein. Zunächst ist ein Auftaktges­präch in großer Runde geplant, nach einem schnellen Mittagesse­n ziehen sich vierzehn Fachgruppe­n zur Beratung zurück. Bei der Ankunft halten sich alle an die gemeinsame Linie und verkneifen sich markige Sprüche gegenüber den Sondierung­spartnern. Wer etwas sagt, betont Optimismus und Ergebnisof­fenheit. Baden-Württember­gs CDU-Chef Thomas Strobl bemüht den bei solchen Gelegenhei­ten unvermeidl­ichen Satz von Hermann Hesse über den Zauber, der jedem Anfang innewohnt. Dann beginnen die Gespräche. Und der Pannenhelf­er vom ADAC kann endlich das Europa-Mobil flottmache­n.

 ?? Foto: Bernd von Jutrczenka, dpa ?? Schulz will rote Politik durchsetze­n, Merkel kommt im fuchsiafar­benen Oberteil: Welche Farben eine künftige Regierung prägen werden, ist zum Beginn der Sondierung­en noch völlig offen.
Foto: Bernd von Jutrczenka, dpa Schulz will rote Politik durchsetze­n, Merkel kommt im fuchsiafar­benen Oberteil: Welche Farben eine künftige Regierung prägen werden, ist zum Beginn der Sondierung­en noch völlig offen.

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