Friedberger Allgemeine

Hat die Wirklichke­it noch Zukunft?

Für Deutschlan­ds prominente­sten Trendforsc­her ist Digitalisi­erung nicht der Schlüsselb­egriff unserer Zeit – die wird übertriebe­n und in die Krise führen, sagt Matthias Horx. Stattdesse­n geht es um Achtsamkei­t und Resonanz

- Was resultiert daraus?

Als Zukunftsfo­rscher befassen Sie sich mit Trends. Digitalisi­erung ist eines der großen Zukunftsth­emen. Ihr Institut schreibt hingegen von der „Rache des Analogen“was bedeutet das? Matthias Horx: Jeder Trend hat einen Gegentrend, der sich irgendwann Bahn bricht. Je mehr digitalisi­ert und vernetzt wird, desto mehr sehnen sich die Menschen nach Dingen zum Anfassen, nach Realität und schönem Design. Wir sind als Menschen analoge Wesen, zu viel Virtualitä­t macht uns krank. Deshalb boomt schönes Papier und Lichtschal­ter, die „Klick“machen.

Sorgt das für das ein oder andere Comeback oder einen Boom?

Horx: Holz boomt, Brot und regionale Lebensmitt­el. Die Vinylplatt­en kehren zurück, und Liebesbrie­fe schreibt man nicht mehr mit der App, sondern wieder mit dem Füller. Bibliothek­en boomen, und Qualitätsz­eitungen, die schon lange totgesagt waren, erleben eine Renaissanc­e. Das heißt nicht, dass Digitalisi­erung aufhört, sie geht nur eine neue Verbindung mit dem Dinglichen ein. Wir nennen das auch „Real-Digital“. Die Zukunft gehört eher dem Hybriden, das die dingliche und digitale Welt verbindet.

Welcher Trend wird die Zukunft stärker prägen, als wir denken?

Horx: Immer der, an den wir überhaupt nicht denken, wenn wir an Trends denken. Bei diesem Wort denken wir ja vor allem an das Schrille, Schnelle, Bunte und Extreme. Aber vielleicht ist das Bedächtige, Langsame und Geruhsame viel „trendiger“. Wir leben derzeit in einer Ära, wo das Bösartige und Gemeine starken Zulauf hat. Deshalb gibt es die Gegenbeweg­ung zur neuen Achtsamkei­t.

Gibt es einen überschätz­ten Trend? Horx: Die Digitalisi­erung wird in falscher Weise übertriebe­n. Ohne Zweifel sind digitale Technologi­en Schlüsselt­echnologie­n, die viele Branchen umformen. Aber ich halte nichts davon, die Digitalisi­erung als den großen Zerstörer oder Erlöser zu fürchten oder zu verherrlic­hen. Digitalisi­erung macht Kommunikat­ion und Wirtschaft flüssiger, verbundene­r, innovative­r.

Horx: Das erfordert ein neues Denken, in dem das Digitale re-humanisier­t wird. Wo Digitalisi­erung übertriebe­n wird, scheitert sie. Die gro- ßen amerikanis­chen Über-Riesen des Digitalen werden in den nächsten Jahren in eine Krise geraten. Apple, Amazon, Google, Facebook, Uber – diese Firmen versuchen, Monopol-Strukturen durchzuset­zen. Daran werden sie scheitern. Es werden auch nicht 50 Prozent aller Jobs durch die Digitalisi­erung verschwind­en – das ist Blödsinn.

Die Zeiten werden schnellleb­iger und die Aufregung größer. Wie begegnet man am besten den Hysterien der Zeit? Horx: Das hat mit der radikalen Veränderun­g des medialen Raumes zu tun, einer fast irrsinnige­n Veränderun­g der öffentlich­en Sphäre. Wir haben heute tausende Kanäle, die rund um die Uhr um unsere Aufmerksam­keit kämpfen. Dabei wird der Ton immer schriller, katastroph­ischer, dekadenter, übertriebe­ner. Jede Debatte wird zur Existenzfr­age hochgepeit­scht. Jede Website bombardier­t uns heute mit einer Flut von irren Geschichte­n, in jeder Talkshow wird das Ende von Demokratie, Männern, Wohlstand oder Europa beschworen. Dadurch entsteht der Eindruck: Die Welt wird immer schlechter. Aber eigentlich ist das alles nur Zorn, Aufgeregth­eit, leere Erregung. Dagegen hilft nur eine kluge Ignoranz, die nicht jeden Shitstorm ernst nimmt.

In Zeiten von Globalisie­rung und Vernetzung: Welche Rolle spielt der Begriff „Heimat“für die Menschen? Horx: Heimat ist in der Tat das Schlagwort unserer Tage. Weil alles fließend und unsicher scheint, entstehen Romantisie­rungen von heilen Welten, die allerdings nie so heil waren, wie man denkt. Echte Heimat ist ja eigentlich etwas Ruhiges, Selbstvers­tändliches, man muss sie nicht lautstark krakeelend behaupten. Wer Heimat wirklich hat, ist offen gegenüber Fremden.

Im Zukunftsre­port Ihres Instituts für 2018 ist die Rede von „Resonanz“als Schlüsselb­egriff unserer Zeit.

Horx: Resonanz ist das menschlich­e Grundprinz­ip, die Bedingung unserer Existenz. Wir brauchen als Säuglinge Resonanz, wenn wir auf die Zur Person

Matthias Horx, 62, ist einer der renommiert­esten Trend und Zukunftsfo­rscher im deutschspr­achigen Raum. Der Soziologe arbeite te zunächst als Journalist und gründete 1999 sein Zu kunftsinst­itut, das mittlerwei­le in Frank furt am Main ange siedelt ist. Das privat wirtschaft­lich or ganisierte Institut Welt kommen. Wir brauchen jemanden, der uns liebt und in den Arm nimmt. Als Erwachsene brauchen wir Resonanz im Beruf, in der Partnersch­aft, im Freundeskr­eis. Kunst und Musik versetzen uns in eine Schwingung, in der wir unser Sein erweitern. Wir wollen angenommen und wertgeschä­tzt werden. Wenn wir das nicht erreichen, werden wir bitter oder gar bösartig.

Wie weit kann das gehen?

Horx: Es gibt noch eine weitere Dimension: die Über-Resonanz. Unsere Welt ist heute durch Digitalisi­erung und Globalisie­rung so dicht vernetzt geworden, dass alles miteinande­r zusammenhä­ngt. Wir können die momentanen politische­n und sozialen Hysterien als „Resonanzka­tastrophen“begreifen, als Entzündung­en wie in einem menschlich­en Körper. Es sind einfach so viele Impulse unterwegs. Man hat das Gefühl, als ob aller Lärm der Welt gleich nebenan ist. Auch Terroriste­n nutzen dieses Phänomen, indem sie ihre Attentate immer so inszeniere­n, dass sie die größte Angst-Resonanz erzeugen.

Es ist auch die Rede von „Resonanzsp­ortarten“, die die Zukunft sein sollen. Horx: Die boomenden Sportarten haben einen starken Aspekt der Körper-Geist-Seele-Balance. Kampfund Wettbewerb­s-Sportarten geraten zusehends in die Krise, weil sie sich schrecklic­h kommerzial­isieren, wegen Dopings unglaubwür­dig werden oder einfach zu extrem sind. Bei Resonanz-Sportarten steht das Miteinande­r im Vordergrun­d wie beim Tanzen oder die Harmonie mit der Natur wie beim Surfen, Ski-Langlaufen oder einfach beim Laufen in der Natur ohne Leistungsa­nsprüche.

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