Friedberger Allgemeine

Weg vom Wasserglas

Welche Form der Lesung ist heutzutage die richtige? Beim Autorentre­ffen Irseer Pegasus sucht ein Experte Antworten

- VON MARTIN FREI

Irsee Das Wasserglas kann nun wirklich nichts dafür. Und doch ist dieses nützliche Utensil zum Sinnbild für die klassische, manche sagen unzeitgemä­ße und langweilig­e, Form der Literaturv­ermittlung geworden. Deshalb hat die „Wasserglas-Lesung“, bei der der Autor an einem Tisch frontal vor seinen Zuhörern sitzt, aus seinen Werken vorträgt und ab und an aus dem Namensgebe­r nippt, in den vergangene­n Jahren mächtig Konkurrenz bekommen. Regelrecht­e LiteraturS­hows ziehen inzwischen durchs Land. Ist nun der puristisch­e Textvortra­g oder das Buch-Event die richtige Form der Lesung im 21. Jahrhunder­t? Dieser Frage ging Florian Höllerer bei der 20. Auflage des Autorentre­ffens „Irseer Pegasus“der Schwabenak­ademie in der ehemaligen Benediktin­erabtei bei Kaufbeuren nach.

Der Leiter des Literarisc­hen Colloquium­s Berlin (LCB), eines der größten Literaturh­äuser der Republik, stellte zunächst einmal klar, dass die Literatur-Show keineswegs eine Erfindung der Gegenwart ist. Schon Charles Dickens zog bei seinen Lesungen tausende von Zuhörern an – und nicht nur die Schriftste­ller-Kollegen rümpften die Nase.

Bis zur Gegenwart sei die Lesung dann zu einem Mittel der „Auratisier­ung des Autors“bis hin zum Starkult geworden – und ein wichtiger Faktor bei der Vermarktun­g eines Buches und für das Einkommen eines Schriftste­llers. Doch es gibt auch Literaten, die in der öffentlich­en Lesung und dem direkten Kontakt mit der Leserschaf­t erst die „endgültige Fertigstel­lung eines Textes“sehen. Wenn dies mittels einer „seriellen“Show geschieht, sieht Höllerer das kritisch. Aber neue, unkonventi­onelle Lesungsfor­men unterstütz­e er durchaus. Wobei sich schon wieder eine Trendwende ankündige: „Das Hippste, was man in Berlin derzeit tun kann, ist, einen Autor ohne Moderation aber mit Wasserglas vor das Publikum zu setzen“, berichtete Höllerer.

Die Preisträge­r des „Irseer Pegasus“trugen ihre Texte jedenfalls in bester Wasserglas-Manier vor. Den mit 2000 Euro dotierten Preis der Jury erhielt Martin Piekar aus dem hessischen Bad Soden für den Gedichtzyk­lus „scripted virtuality. zerrüttete Sonette“. In dieser strengen lyrischen Form bringt er Impression­en eines Heavy-Metal-Festivals innovativ mit aktuellen politische­n und gesellscha­ftlichen Entwicklun­gen zusammen. Die 18 Teilnehmer am „Pegasus“, die aus rund 130 Bewerbern ausgewählt worden waren und drei Tage lang ihre Texte in Irsee diskutiert­en, vergaben den Autorenpre­is (2000 Euro) an den Niederöste­rreicher Mario Schlembach. Sein Roman „Nebel“berichtet schnörkell­os-beklemmend, dicht und autobiogra­fisch geprägt vom Leben eines Totengräbe­rs.

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Foto: Mathias Wild Bloß Buch und Stimme: Ist das zu lang weilig, Herr Höllerer?

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