Offen sein und kritisch bleiben
Zum Auftakt des Jubiläums im Ökumenischen Lebenszentrum spricht Hans-Joachim Vieweger über die „schöne, neue Medienwelt“
Ottmaring Die Feiern zum 50-jährigen Bestehen des Ökumenischen Lebenszentrums Ottmaring haben mit dem traditionellen Neujahrsempfang begonnen, an dem rund 90 Gäste aus Politik, Kirche und Wirtschaft teilnahmen.
Andrea Rösch von der FokolarBewegung erinnerte dabei an die Anfänge: „Am Anfang stand die Inspiration: In einer Zeit, in der sich die Kirchen noch ziemlich unbeweglich gegenüberstanden, wollten beide Gemeinschaften nicht in dieser Abgrenzung verharren.“Auf die Inspiration folgte nach ihren Worten die Vision: Einen Ort schaffen, wo Christen gemeinsam Zeugnis geben für die Einheit, ohne die eigene Prägung zu verleugnen.
Die Realisierung erfolgte zunächst in kleinen Schritten, und nach den ersten Jahren der Begeisterung folgte eine Durststrecke: „Das Gemeinsame blieb, aber die Unterschiede traten auf einmal sehr deutlich hervor“, berichtete Rösch. Doch die Krisenzeit erwies sich als Reifungszeit. Daraus erwuchs eine gegenseitige Wertschätzung, die Achtung vor der Identität der anderen Gemeinschaft und das Wissen darum, dass alle einander brauchen. Offen bleiben für Neues ist das derzeitige Stichwort. Inzwischen lebt bereits die dritte Generation in Ott- maring. „Das Erbe der Gründer ist lebendig und will heute umgesetzt werden“, sagte Rösch und nannte zwei Beispiele: Nöte sehen und gemeinsam handeln: So haben die Bewohner für einige Monate unbegleitete minderjährige Flüchtlinge aufgenommen und aktuell leben zwei syrische Familien bei ihnen. Und seit längerer Zeit werden Programme für Schulklassen aus Augsburg und München gestaltet, die zu Tagen religiöser Orientierung kommen. „Dazu gehört, dass wir uns offen und ehrlich allen Fragen der Schüler stellen“, so Andrea Rösch.
Gastreferent bei diesem Neujahrsempfang war Hans-Joachim Vieweger, Journalist und Mitglied der Landessynode der EvangelischLutherischen Kirche in Bayern. „Schöne neue Medienwelt – Wahrheit ade?“war sein Thema. „Heute nutzen knapp 80 Prozent der über 14-Jährigen ein Smartphone, die Steigerungen der letzten Jahre kamen vor allem von den über 70-Jährigen. Die technischen Errungenschaften ermöglichen auf der einen Seite einen freien Zugang zu allen Informationen, andererseits fördern sie auch die Gefahr, dass jede gesellschaftliche Gruppe unter sich bleibt, ohne den Diskurs mit Andersdenkenden zu suchen, eine Grundlage für die Demokratie.
Sehr problematisch wird es nach Ansicht Viehwegers, wenn Falschmeldungen ins Spiel kommen. „In den drei Monaten vor der US-Präsidentschaftswahl waren in den Sozialen Netzwerken unter den zehn meistverbreiteten Nachrichten mehr falsche als wahre Nachrichten. Die 20 bekanntesten Falschmeldungen erreichten in dieser Zeit eine höhere Reichweite als die 20 erfolgreichsten Artikel etablierter Medien“, berichtete er.
Diese Entwicklung betreffe jedoch nicht nur die Medien, sondern die Gesellschaft als Ganzes. „Wie gehen wir mit der Wahrheit um? Erkennen wir überhaupt noch an, dass es Wahrheit gibt? Richtig oder falsch?“, fragte Vieweger und schloss seine Ausführungen mit den Worten: „Ich glaube, dass wir in den Medien den Anspruch auf eine wahrheitsgemäße oder wahrhaftige Berichterstattung nicht aufgeben dürfen, bei allen Unzulänglichkeiten. Es gibt ein Richtig und ein Falsch und nicht einfach nur gleichberechtigte Meinungen nebeneinander.“