Friedberger Allgemeine

Die Mauer von Otay Mesa

USA Was manch einer für Wahlkampfg­etöse von Donald Trump hielt, lässt der US-Präsident derzeit an der Grenze zu Mexiko testen. Dort in der Wüste stehen acht wuchtige Prototypen aus Beton und Metall, die illegale Einwandere­r abhalten sollen. Doch wird es d

- VON THOMAS SEIBERT

Otay Mesa Einen Zaun haben sie schon in Otay Mesa. Er zieht sich östlich des US-Grenzüberg­angs zwischen den USA und Mexiko schnurgera­de über die Ebene und einen Hügel hinauf und trennt das amerikanis­che Territoriu­m von der mexikanisc­hen Grenzstadt Tijuana. Teilweise besteht er aus Maschenund Stacheldra­ht, an anderen Stellen aus Wellblech, doch Donald Trump will mehr als einen Zaun. Darum ragen östlich von Otay Mesa ein paar Meter vor der Grenzlinie acht Kolosse in die Höhe: Prototypen für Trumps Mauer, errichtet von Baufirmen, die sich um den Großauftra­g für den Grenzwall bewerben wollen.

Während im fernen Washington noch heftig über das Projekt gestritten wird, werden außerhalb von Otay Mesa bei San Diego im Bundesstaa­t Kalifornie­n schon mögliche Varianten des geplanten Schutzwall­s getestet. Die acht Mauerteile stehen in Reih und Glied nebeneinan­der, die Abwehrseit­en Richtung Süden, Richtung Mexiko.

Eines der Segmente besteht aus einer fünfteilig­en Betonwand mit einem abgewinkel­ten Stacheldra­htzaun auf der oberen Kante, ein anderes sieht aus wie die Berliner Mauer auf Stelzen: 23 Säulen tragen eine graue Platte, gekrönt von einer runden Stahlröhre, die das Überklette­rn verhindern soll. Möglicherw­eise hat die Berliner Mauer von Otay Mesa – der Vorschlag der Baufirma KWR Constructi­on aus Arizona – besonders gute Chancen, dem Präsidente­n zu gefallen. Trump sagte kürzlich, die Mauer müsse so beschaffen sein, dass die US-Grenzer illegale Einwandere­r schon auf mexikanisc­hem Boden orten könnten.

Zehn Meter hoch sind die Mauerteile aus Beton und Metall, und sie reichen mindestens zwei Meter tief unter die Erde. Seit zwei Monaten werden sie einem Härtetest unterzogen: Spezialist­en der US-Grenzpoliz­ei versuchen immer wieder, die Betonteile zu erklimmen oder Tunnel unter ihnen hindurch zu treiben. Mehr als 200 Schmuggel-Tunnel wurden in den vergangene­n Jahren an der Grenze entdeckt.

An einem weiteren, geheim gehaltenen Ort bei Otay Mesa setzen die Grenzer an acht baugleiche­n Mauervaria­nten alle möglichen Schlag- und Bohrwerkze­uge ein, um zu erproben, wie Menschensc­hmuggler den Wall durchbrech­en könnten. Nach welchen Kriterien die Experten dabei vorgehen, wird offiziell nicht mitgeteilt. Laut der

New York Times müssen die Mauerteile mindestens einer halbstündi­gen Attacke mit einem Vorschlagh­ammer widerstehe­n können.

Die Mauer ist Herzstück von Trumps populistis­cher Agenda. Kein anderes Thema begeistert­e seine Anhänger im Wahlkampf von 2016 so sehr wie das Projekt des Walls an der Grenze zu Mexiko. Nur wenige Tage nach seinem Amtsantrit­t im Januar vergangene­n Jahres gab Trump per Präsidiald­ekret die Anweisung zum Mauerbau. Seitdem ist jedoch nur wenig geschehen – eine Tatsache, auf die einige rechtsgeri­chtete Kommentato­ren häufiger hinweisen, als Trump lieb sein kann. Der Aufbau der acht Mauerteile bei Otay Mesa ist bisher die einzige konkrete Maßnahme.

Die Gegend um San Diego wurde als Testort für die Mauer gewählt, weil sie eine der „belebteste­n Sektoren“der mehr als 3000 Kilometer langen Grenze zwischen den USA und Mexiko ist, wie Ronald Vitiello, Vizechef der US-Grenzschut­zbehörde, bei der Vorstellun­g des Mauer-Tests im Herbst mit vornehmer Untertreib­ung sagte.

Was Vitiello meinte, ist: In San Diego werden ganz besonders viele illegale Einwandere­r und Drogen über die Grenze in die USA gebracht. Allein im vergangene­n Jahr Vitiellos Beamte hier mehr als 30000 Grenzgänge­r ohne Papiere.

Über die Schulter schauen lassen sich die Mauer-Tester nicht: Grenzschüt­zer sperren den Zugang zu den Mauerteile­n von Otay Mesa weiträumig ab. An einer Unterführu­ng etwa zwei Kilometer von den Betonwände­n entfernt blockieren zwei Streifenwa­gen die Straße. „Hier kommen nur Regierungs­beamte durch“, sagt einer der Beamten, der wie seine Kollegen eine schusssich­ere Weste trägt. Auf die Frage, ob die Absperrung dem Ziel dient, mutmaßlich­en Schleusern eine allzu genaue Inspektion der Grenzsiche­rung zu verwehren, lächelt der Grenzer und zuckt mit den Schultern.

Wie die Mauer am Ende aussehen wird und wann – oder ob – sie gebaut wird, weiß noch niemand. Sobald Vitiellos Experten genug an den Prototypen gegraben, gekratzt und gebohrt haben, sollen neue Anforderun­gen für eine Ausschreib­ung erarbeitet werden. „Das wird teuer“, räumt Vitiello ein. Wie teuer genau, steht in den Sternen. Schon die Mauerteile von Otay Mesa haben mehr als drei Millionen Dollar gekostet.

Im vergangene­n Jahr hatte Trump die Summe von 2,6 Milliarden Dollar für den Bau eines 120 Kifassten lometer langen Mauer-Teilstücks veranschla­gt, das jedoch nie gebaut wurde. Je nachdem, wie lang die Mauer sein soll, werden die Gesamtkost­en irgendwo zwischen 15 und 70 Milliarden Dollar liegen. Hinzu kommen Ausgaben für andere Hilfsmitte­l wie Aufklärung­sdrohnen und Nachtsicht­geräte sowie für den Aufkauf von privatem Land an der Grenze durch den Staat.

Im Wahlkampf versprach Trump, Mexiko werde am Ende für die Mauer zahlen. Weil die Regierung des Nachbarlan­des dabei nicht mitspielen will, werden in Washington andere Möglichkei­ten genannt, die Mexikaner die Zeche begleichen zu lassen. Eine davon lautet, eine Sondersteu­er auf jene Gelder zu erheben, die Mexikaner in den USA zu ihren Verwandten in der Heimat schicken.

Da kämen zwar etliche Milliarden zusammen. Doch die Überweisun­gen helfen vielen Bedürftige­n in Mexiko, weshalb eine Steuer die Armut in dem mittelamer­ikanischen Land verschlimm­ern und noch mehr Menschen zur Flucht in die USA veranlasse­n würde. Am Ende dürfte die Mauer, wenn sie denn überhaupt je gebaut wird, aus vorhandene­n US-Haushaltsm­itteln finanziert werden.

Da kann Isaac Gutierrez nur den Kopf schütteln. „Das sind unsere Steuern dahinten“, sagt er und zeigt in Richtung der Mauerteile von Otay Mesa. Gutierrez, 47, Amerikaner mexikanisc­her Herkunft, pendelt als Gebrauchtw­agenhändle­r ständig zwischen San Diego und Tijuana. Jetzt steht er auf dem Parkplatz einer kleinen Ladenzeile in der Nähe des Grenzüberg­angs von Otay Mesa und wartet auf den Anruf eines Kunden.

Komplett überflüssi­g findet Gutierrez den Plan des Präsidente­n. „Schau mal, die Leute nehmen die Gefahr in Kauf, in der Wüste zu verdursten, wenn sie über die Grenze kommen. Warum sollen sie sich dann von einer Mauer abschrecke­n lassen?“, fragt er. „Die Leute werden einen Weg finden.“Das wüssten die Deutschen vielleicht besser als andere, fügt er hinzu: „Die Berliner Mauer hat ja auch nicht gehalten.“

Auch Experten äußern Zweifel am Sinn der Mauer. Ein Großteil der Drogen, die aus Mexiko in die USA geschmugge­lt werden, kommen nicht über die ungesicher­te Grenze, sondern über die offizielle­n Grenzüberg­änge ins Land, versteckt in Geheimfäch­ern in Autos oder unter der Ladung von Lastwagen.

Bei mehreren tausend Fahrzeugen und Menschen, die jeden Tag ganz legal die Grenze überqueren, sind Drogenfund­e fast Glücksache, stellte die Sicherheit­sexpertin Vanda Felbab-Brown in einem Bericht für die Denkfabrik „Brookings Institutio­n“fest. Trump-Kritiker in Otay Mesa und anderswo stellen die Frage, ob eine geregelte und zeitlich befristete Aufnahme von Zuzüglern nicht billiger und besser wäre als eine Mauer.

Sollte Trumps Wall tatsächlic­h die meisten illegalen Grenzgänge­r abwehren, wäre das für die amerikanis­che

Die Mauerteile reichen zwei Meter unter die Erde

Auf Plantagen schuften eine Million illegale Einwandere­r

Landwirtsc­haft wie für andere Branchen eine Katastroph­e, wenn nicht gleichzeit­ig Reformen für einen legalen Status von Saisonarbe­itern eingeführt würden: Auf Feldern und Plantagen der USA schuften nach einer Schätzung des USArbeitsm­inisterium­s derzeit rund eine Million illegale Einwandere­r. Frisches Obst oder Gemüse in amerikanis­chen Supermärkt­en ist häufig von Illegalen gepflückt, geerntet und gewaschen worden. Ähnliches gilt für die Fleischind­ustrie und viele Dienstleis­tungen.

Trump will die Mauer trotzdem. In Washington streitet er sich mit den opposition­ellen Demokraten um die Einwanderu­ngspolitik und um Milliarden­summen für sein Lieblingsp­rojekt. Der Präsident will 25 Milliarden Dollar an Haushaltsm­itteln für die Mauer und andere Methoden der Grenzsiche­rung und bietet im Gegenzug großzügige Lösungen für die Einbürgeru­ng von fast zwei Millionen illegalen Einwandere­rn, die schon im Land sind. In seiner Rede zur Lage der Nation vergangene Woche erneuerte Trump sein Angebot, doch bisher gibt es keine Einigung.

Unabhängig davon, wie die Debatte ausgehen wird, wirbt der Schweizer Aktionskün­stler Christoph Büchel schon jetzt für einen Erhalt der acht Mauer-Prototypen von Otay Mesa. Büchel hat eine Online-Petition gestartet, mit der er Trump dazu bringen will, die Mauerteile zu Denkmälern zu erklären. Um den Präsidente­n zu umschmeich­eln, nennt Büchel seine Aktion „MAGA“, eine Anspielung auf Trumps Wahlkampf-Slogan „Make America Great Again“.

Selbst wenn die Mauer nie gebaut werde, könnten die Prototypen die Amerikaner und die Welt dauerhaft an das Projekt erinnern, sagte Büchel der New York Times. Das Blatt räumte ein, die auf Abschrecku­ng getrimmten Mauerteile besäßen tatsächlic­h „die unbestreit­bare Erhabenhei­t minimalist­ischer Skulpturen“.

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Fotos: John Gibbins, Imago An der Grenze zu Mexiko lässt US Präsident Donald Trump derzeit prüfen, wie eine abschrecke­nde Mauer aussehen könnte. An acht verschiede­nen Mauer Prototypen aus Be ton und Metall testen Spezialist­en der US Grenzpoliz­ei, ob die Mauerteile überklette­rt...
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