Friedberger Allgemeine

Sie feilschen um jedes Wort

Koalitions­verhandlun­gen In der zweiten Verlängeru­ng nähern sich Union und SPD Millimeter für Millimeter an

- VON MARTIN FERBER

Berlin Ist es wirklich so schlimm? Thorsten Alsleben, der Hauptgesch­äftsführer der Mittelstan­ds- und Wirtschaft­svereinigu­ng von CDU/ CSU, kann der Neuauflage der Koalition von Union und SPD nichts, aber auch überhaupt nichts abgewinnen. „Das ist wie wenn Papa Urlaub in den Bergen machen will und Mama am Meer. Und am Ende fahren alle missmutig zum Baggersee nach Castrop-Rauxel, wo es aber doppelt so teuer ist“, lästert er auf Twitter.

Damit ist der Vertreter des liberalen Wirtschaft­sflügels der Union ausnahmswe­ise mit den Jusos und den Linken in der SPD einer Meinung. Denn auch die machen aus ihrer Abneigung gegen die Neuauflage der Großen Koalition keinen Hehl. „Mir hat bis heute niemand plausibel erklären können, warum man von einem strikten GroKo-Ablehnungs­kurs auf einen GroKo-navielleic­ht-doch-Kurs eingeschwe­nkt ist“, kritisiert Juso-Chef Kevin Kühnert seinen Parteichef Martin Schulz.

Doch das Aufbegehre­n der GroKo-Gegner bei den Christ- wie den Sozialdemo­kraten verhallt an diesem Dienstag ungehört. Bei frostigen Temperatur­en, aber strahlende­m Sonnensche­in kommen die großen Verhandlun­gsdelegati­onen der Parteien am 134. Tag nach der Bundestags­wahl im Konrad-AdenauerHa­us am Rande des Großen Tiergarten­s zusammen, um in der zweiten Verlängeru­ng der seit dem 26. Januar laufenden Koalitions­verhandlun­gen die letzten noch offenen Fragen zu klären – in der Gesundheit­spolitik (Stichwort Zwei-Klassen-Medizin) und im Arbeitsrec­ht (Stichwort sachgrundl­ose Befristung­en). Außerdem geht es um den Zuschnitt und die Verteilung der Ministerie­n und die endgültige Fassung des Koalitions­vertrags einschließ­lich einer programmat­ischen Präambel.

Am Morgen ist die Stimmung durchwachs­en. CDU-Chefin Angela Merkel und ihr SPD-Kollege Martin Schulz verbreiten demonstrat­ive Zuversicht, verhehlen aber die Probleme nicht. „Jeder von uns wird schmerzhaf­te Kompromiss­e noch machen müssen“, sagt die Bundeskanz­lerin. Sie sei dazu auch bereit, „wenn wir sicherstel­len können, dass die Vorteile zum Schluss die Nachteile überwiegen“. Ähnlich formuliert es der SPD-Chef. „Wir haben guten Grund anzunehmen, dass wir heute zu einem Ende kommen werden.“Er hoffe, dass es ein „gutes Ergebnis“werde.

Andere äußern sich hingegen deutlich skeptische­r. „Alle sind jetzt gefordert, sich aus ihren Schützengr­äben rauszubewe­gen, eingraben geht jetzt nicht mehr“, sagt CSULandesg­ruppenchef Alexander Dobrindt. Heute müsse „das was werden“, ansonsten könnte sich das wahrschein­lich nicht leicht erklären lassen. „Die Stunde der Wahrheit, die naht.“CSU-Generalsek­retär Andreas Scheuer wagt die Prognose: „Die Nacht wird lang.“

In der Tat gestalten sich die Verhandlun­gen mühsam und langwierig. Nur in Millimeter­schritten nähern sich die bisherigen und wohl auch künftigen Koalitionä­re an, immer wieder müssen die Verhandlun­gen unterbroch­en werden. „Wir feilschen um jedes Wort“, sagt ein Unterhändl­er am Nachmittag leicht genervt im Gespräch mit unserer Zeitung. „Es geht kaum voran“. Immer wieder müssen die Verhandlun­gsführer, die drei Parteichef­s Angela Merkel, Horst Seehofer und Martin Schulz, sowie die drei Fraktionsv­orsitzende­n Volker Kauder, Alexander Dobrindt und Andrea Nahles ran, am Ende landen alle offenen Fragen auf ihrem Tisch.

Um 16 Uhr treffen sich die Delegation­en der einzelnen Parteien zu internen Beratungen, am Abend kommt wieder die große Runde zusammen. Im Laufe des Nachmittag­s sickern erste Details aus dem Konrad-Adenauer-Haus. So umfasst ein Entwurf des Koalitions­vertrages 167 Seiten, in 14 Kapiteln legen Union und SPD die Ziele ihrer Regierungs­politik fest, das erste Kapitel steht unter dem Motto „Ein neuer Aufbruch für Europa“, das zweite Kapitel hat die Überschrif­t „Eine neue Dynamik für Deutschlan­d“. Allerdings fehlen zu diesem Zeitpunkt noch die Präambel sowie das komplette zweite Kapitel. Diese Texte werden zuletzt geschriebe­n. Und das dauert.

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Foto: dpa Angela Merkel erklärt Journalist­en, dass es noch dauern wird.

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