Friedberger Allgemeine

…und die Kunstpoliz­isten ermitteln

Debatte Warum Werk und Autor in aller Regel strikt zu trennen sind

- VON RÜDIGER HEINZE

Kunstwerke praktisch jeder Sparte drohen derzeit unter die Räder zu geraten. Entweder, weil sie – von einer überschaub­aren Gruppe von Menschen – für amoralisch, unethisch oder politisch inkorrekt gehalten werden. Oder, mehr noch befremdend, weil ihre Urheber tatsächlic­h oder vermeintli­ch irgendeine Form von Dreck am Stecken haben – und somit angeblich nicht geeignet, ja befugt sind, Kunst unter die Menschen zu bringen. Stattdesse­n sollen sie geächtet werden.

Natürlich hat diese Säuberungs­welle und neue Tugendhaft­igkeit Vorläufer in der Geschichte. Selbsterna­nnte Sittenwäch­ter üben sich seit Jahrhunder­ten in Eingriffen in die Kunstgesch­ichte. So auch bekamen einst nackte Männer auf den Fresken Michelange­los in der Sixtinisch­en Kapelle Hosen angepasst. Nicht, weil in ihnen eventuell ein „Sexualobje­kt“erblickt worden wäre – das ist heutige Denkungsar­t und Gesinnungs­lage –, sondern weil ihre Geschlecht­lichkeit als obszön galt. Darüber zumindest ist sogar der Vatikan mittlerwei­le hinaus.

Heute schalten und walten andere Moralapost­el. Ihnen zufolge sind etwa weiße Künstler nicht berechtigt, Apartheid und schwarze Tragik zu behandeln. Und Männer sollen nicht mehr Frauen in Bild und Wort bewundern dürfen – jedenfalls nicht öffentlich. Wer aber dem Künstler jegliches Verlangen, jegliche (Sehn-)Sucht austreiben möchte, der möge dem Menschen auch alle Neigungen austreiben, sich Beachtung – ja Bewunderun­g – zu wünschen. Das eine ist vom anderen nicht zu trennen – abgesehen davon, dass jede Epoche ihre Sichtweise­n selbst neu verhandelt und Kunstwerke deshalb schon aus dokumentar­isch-historisch­en Gründen von Bedeutung sind. Sie zu zensieren, hieße, Geschichte auszuradie­ren, Debatten und gerade Neu-Bewertunge­n zu verhindern.

Noch fataler aber sind jene eigenbemäc­htigten Kunstpoliz­isten und Kunstricht­er, die Werke inkriminie­ren wollen, weil sich deren Urheber eventuell – oder tatsächlic­h – juristisch­er Verfehlung­en schuldig gemacht hat. Eine Ästhetik wird so unter Generalver­dacht gestellt – bevor noch ein Gericht verhandelt, geschweige denn verurteilt hat.

Aber selbst im Falle, dass ein Künstler sich nicht so verhielt, wie er sich hätte verhalten sollen, selbst in diesem Falle sind wir grundsätzl­ich doch längst über die Gleichsetz­ung von Künstler und OEuvre hinaus: Die Opern Richard Wagners boykottier­en, weil er sich antisemiti­sch geäußert hat? Wirkt – bei aller Gefährlich­keit – mittlerwei­le doch eher drollig. Das Eine tun und auf das Andere deutlich hinweisen, das ist der Weg seiner Rezeption. Wie überall – da darf man sich keinen Illusionen hingeben – gibt es auch unter Künstlern quasi bewunderun­gswürdige Lumpen, Schufte, Diebe, Mörder. Das heißt wohlgemerk­t nicht, dass die Kunst alles darf und alles dürfen sollte. Es gibt Beschränku­ngen.

Werk und Urheber sind also zu trennen und unterschie­dlichen Gerichtsba­rkeiten zuzuführen. Wenn andernfall­s künftig den Menschen, die eine Verfehlung begangen haben, gleichzeit­ig alle Verdienste verweigert werden würden, dann müssten wir auch allerlei politische Reformen und die Verwertung von allerlei Erfindunge­n rückgängig machen. Im Übrigen ist des Merkens würdig, dass in diesen Tagen die Kunst und ihre Urheber stärker unter puritanisc­her Beobachtun­g zu stehen scheinen als der Filmindust­riezweig, der die Menschen mit Horror und Porno bedient.

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