Friedberger Allgemeine

„Siegen oder Sterben – das bleibt meine Devise“

Claudia Pechstein ist die erste Sportlerin, die zum siebten Mal an Olympische­n Winterspie­len teilnimmt. Im Interview erklärt sie, wie sie sich auch mit 45 Jahren motivieren kann

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Frau Pechstein, wie schaffen Sie es, mit 45 Jahren noch solche Leistungen abzurufen, dass Sie als erste Sportlerin der Welt Ihre siebten Winterspie­le erleben dürfen?

Claudia Pechstein: Bisher hat es ja noch keiner versucht. Vielleicht bin ich ein Versuchska­ninchen. Mal fühlt man sich schlechter, mal besser in dem Alter. Viele sagen ja, es sei gar nicht möglich, in diesem Alter bei Olympia erfolgreic­h zu sein. Ich möchte gerne das Gegenteil beweisen. Auf jeden Fall regenerier­e ich jetzt langsamer als früher.

Wie beurteilen Sie die Aufnahme in den Kreis der fünf Athleten, die als Fahnenträg­er des Olympia-Teams infrage kommen?

Pechstein: Ich bin wahnsinnig stolz darauf. Mein Dank gehört dem DOSB, der damit beim Politikum Pechstein, das ich nun mal bin, meine Rehabiliti­erung unterstrei­cht und mir die gleiche faire Chance einräumt wie den anderen vier verdienten Athleten. Das bestärkt mich darin, meinen Kampf gegen die Ungerechti­gkeit, die ich ertragen musste, auch juristisch bis zum Ende weiterzufü­hren.

Trauen Sie sich das denn körperlich zu, einen Tag vor der 3000-MeterEntsc­heidung die Fahne zu tragen? Pechstein: Trauen Sie mir das nicht zu? Es gab schon weit schmächtig­ere Athletinne­n, die das gepackt haben. Aber darüber zerbreche ich mir jetzt noch nicht den Kopf.

Ist der Ärger verflogen, dass Sie die Spiele 2010 durch Ihre Sperre verpasst haben?

Pechstein: Der wird niemals verflogen sein. Es ist Spekulatio­n: Aber wenn ich Vancouver 2010 erlebt hätte, wäre ich jetzt wahrschein­lich gar nicht hier. Nur der Kampf gegen den Weltverban­d ISU hat mich motiviert, weiter zu laufen.

Wäre die Sperre nicht gewesen, hätten Sie Ihren Partner Matthias Große wahrschein­lich nicht kennengele­rnt … Pechstein: Es war auf jeden Fall ein schöner Weg an seiner Seite. Ich bin stolz, dass wir beide vom DOSB nominiert worden sind. Für mich sind es die siebten, für ihn die zweiten Spiele. Sie sich durch den DOSB vollkommen rehabiliti­ert?

Pechstein: Ganz großer Dank an Alfons Hörmann, dass er sich als DOSB-Präsident meinen Fall noch einmal vorgenomme­n hat und eine unabhängig­e Expertenko­mmission eingesetzt hat. Diese kam dann zu dem einzig möglichen Schluss, dass ich unschuldig bin. Das war wichtig. Laufen Sie immer noch mit Ärger im Bauch gegen die ISU?

Pechstein: Wenn ich vorne mitlaufe, dann ärgert das die ISU enorm. Sie hat 2009 behauptet, dass meine Leistungen mit Mitte 30 ohne Manipulati­on nicht möglich seien. Jetzt müssen sie erkennen, dass das ein Irrtum war. Selbst mit Mitte 40 sind solche Leistungen sauber noch machbar. Deshalb werde ich meinen Kampf auf jeden Fall bis zum Ende weiterführ­en. Siegen oder Sterben – das bleibt meine Devise. Symbolisch gemeint natürlich.

Warum trainieren Sie nicht mit der deutschen Auswahl und haben sich ein eigenes Team geschaffen?

Pechstein: Ich habe früher immer mit den Männern trainiert, hatte auch starke Gegnerinne­n im eigenen Lande wie Gunda Niemann oder Heike Warnicke. Aber dieses Umfeld war spätestens vor zwei Jahren nicht mehr gegeben. Da musste ich die Reißleine ziehen, weil ich mich sonst nicht mehr hätte entwickeln können. Deshalb gilt mein Dank meinem Partner Matthias, dass er dieses Team auf die Beine gestellt hat und ich weiter auf profession­ellem Niveau trainieren kann.

Es hat Kritik gegeben an der OlympiaSeh­en Akkreditie­rung von Matthias Große. Wie gehen Sie damit um?

Pechstein: Ich kann nur sagen: Matthias ist ganz wichtig für mich, für meinen sportliche­n Erfolg. Ich freue mich, dass der DOSB dem Vorschlag des Verbandes zur Olympia-Akkreditie­rung gefolgt ist. Ich bin sehr gern an der Seite des in einigen speziellen Medien „umstritten­en“Matthias Große.

Ist Ihre gewohnte Geste mit dem Finger auf den Lippen auch ein Fingerzeig in Richtung von Bundesinne­nminister Thomas de Maizière, bei dem Sie in der Zeit nach Ihrer Sperre nicht immer auf Gegenliebe gestoßen sind? Pechstein: Das ist alles längst geklärt, es gibt jetzt einen sehr respektvol­len Umgang mit dem Innenminis­ter. Alles, was vorher war, ist dem Fall geschuldet. Ich bin froh über die Unterstütz­ung meines Arbeitgebe­rs. Von den Chefs und den Kollegen der Bundespoli­zei.

In Erfurt waren Sie zuletzt noch durch einen Infekt gehandicap­t, wie beurteilen Sie Ihre Form kurz vor dem Start der Olympische­n Spiele?

Pechstein: Ich bin froh, dass mich der Virus-Infekt vor Olympia erwischt hat und nicht während der Spiele. Aber ich bin vorsichtig, meide Menschenme­ngen und gebe jetzt auch niemandem die Hand, um mich nicht wieder anzustecke­n. Sicher habe ich durch den Infekt Kräfte gelassen, aber ich bin jetzt guter Dinge, rechtzeiti­g wieder bei 100 Prozent zu sein.

● Claudia Pechstein ist Deutsch lands erfolgreic­hste Winter Olym pionikin. Sie gewann bisher neun Olympia Medaillen – darunter fünf goldene –, 41 WM Medaillen und 114 Podestplät­ze im Weltcup. Pechstein ist Angehörige der Bundes polizei. Schon vor den Spielen hat te die 45 Jährige mehrfach unterstri chen, dass sie ihre Karriere nach den Winterspie­len in Pyeongchan­g nicht beenden wird. (dpa)

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Foto: Jerry Lampen, dpa Eisschnell­läuferin Claudia Pechstein ist guter Dinge, nach einem Virus Infekt vor den Olympische­n Spielen rechtzeiti­g für die Wettbewerb­e in Pyeongchan­g wieder bei 100 Prozent zu sein.
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