Friedberger Allgemeine

Was Brautpaare wissen müssen

Im Mittelalte­r ging es bei Fastnachts­schlittenf­ahrten rund. Sie waren die Vorläufer der Karnevalsu­mzüge. Doch dann wurde dem lustigen Treiben ein Riegel vorgeschob­en. Das hat mit Martin Luther zu tun

- Luther also ... Interview: Ina Kresse

Herr Küster, wie lange gibt es den Fasching in Deutschlan­d?

Jürgen Küster: Der erste Beleg für die Fastnacht stammt aus dem Jahr 1090. Da brannte das Kloster Lorsch nach einem fastnächtl­ichen Scheibensc­hlagen ab. Die Fastnachts­bräuche kamen dann im 14. und 15. Jahrhunder­t auf. Schließlic­h ist für die Fastnacht eine gewisse Infrastruk­tur nötig. Und diese boten die mittelalte­rlichen Städte mit ihren Straßen, Plätzen und Wirtshäuse­rn. In Augsburg wurde übrigens erstmals Ende des 14. Jahrhunder­ts eine entspreche­nde Tanzverans­taltung erwähnt.

Ach echt? Dazu gleich mehr. Was war der ursprüngli­che Sinn und Zweck des Faschings? Doch nicht der Spaß, oder? Küster: Nein, natürlich nicht. Der Sinn der Fastnacht ist liturgisch begründet. Fastnachts­bräuche dienten katechetis­chen Interessen. Sechs Tage lang vor Aschermitt­woch wird eine Art Antischöpf­ung inszeniert. Die Fastnacht ist quasi die Betrachtun­g der Sünde und Verkommenh­eit. Den Gläubigen wird gezeigt, was sie nicht tun sollen. Die Fastnacht soll die Menschen zur Umkehr und zur Rückkehr zu Gott bewegen. Daher dann auch der Aschermitt­woch, in dem man in die Kirche geht und das Aschekreuz erhält.

Was gab es denn Schlimmes im Fasching zu sehen?

Küster: Beim sogenannte­n Schembartl­auf in Nürnberg im 15. Jahrhunder­t etwa zogen die Patrizier als Landsknech­te verkleidet durch die Straßen. Sie wurden begleitet von Hexen und Teufeln und es wurden Umzugswage­n oder -schlitten gezogen, die als Höllen bezeichnet wurden. Da wurden Kampfelefa­nten dargestell­t, Kinderfres­ser, Drachen und Jungbrunne­n.

Und in Augsburg wurde früher auch Fastnacht gefeiert?

Küster: Ja. Im Mittelalte­r gab es in Augsburg vereinzelt­e Bälle und andere Tanzverans­taltungen sowie Turniere, bei denen kriegerisc­he Handlungen dargestell­t wurden. Dann kamen später die Fastnachts­schlittenf­ahrten hinzu. Das waren sozusagen die Vorläufer der späteren Karnevalsu­mzüge. Sie veranschau­lichten das sinnlose, weltliche und unchristli­che Treiben als Gegensatz zum Jenseits und zur Heilserwar­tung. Diese Veranstalt­ungen gingen insbesonde­re von den Jesuitengy­mnasien aus.

Dann ging es ja auch in Augsburg ganz früher mal rund. Warum ist die Stadt aber schon lange keine Faschingsh­ochburg mehr?

Küster: Wenn man in die Vergangenh­eit zurückscha­ut, ist klar, dass Augsburg nie eine Faschingsh­ochburg werden konnte. Dabei tragen die Augsburger selbst gar keine Schuld. Es lag an Martin Luther und den Reformator­en.

Küster: Für Martin Luther war die Fastenzeit belanglos und damit die Fastnacht nicht nur hinfällig. Er lehnte diese regelrecht ab. Bei den Reformator­en wurde die Fastnacht als heidnisch verdammt. Wo die Reformator­en an die Macht kamen, wurde sie verboten. Seit Luther wurde in Augsburg darauf geachtet, die Konfession­en paritätisc­h zu halten. Darum war die Gegenrefor­mation hier auch nicht so dominant, wie in anderen Städten, wo der Fasching wieder eingeführt wurde. Und die Augsburger werden manchmal dafür belächelt, dass sie keinen Fasching können ...

Küster: Sie können nichts dafür. Das ist historisch begründet. Die Protestant­en hatten in Augsburg so viele Anteile, dass der Fasching nicht wirklich entstehen konnte. Das wirkt bis in die heutige Zeit hinein. Wo sich die Reformatio­n durchgeset­zt hatte, gibt es auch heute noch keinen nennenswer­ten Fasching. Sehen Sie sich Berlin oder Frankfurt am Main an – da gibt es auch keine Karnevalst­radition. In Köln oder auch in Brasilien, wo die Katholiken waren, hingegen schon.

War der Fasching im Mittelalte­r wilder als heute?

Küster: Fasching war immer ein Fest, das im Rahmen der sechs Tage Grenzen ausloten und überschrei­ten sollte. Beim Schembartl­auf in Nürnberg etwa trugen die jungen Patrizier-Söhne für ihre Landsknech­t- Kostümieru­ng enge Hosen. Wie Leggins, die die Körperlich­keiten betonten. Sie mussten mehrfach vom Rat der Stadt Nürnberg ermahnt werden, ihr Geschlecht nicht vor dem Hosenlatz zu tragen. Überliefer­te Fastnachts­spiele aus der Feder anerkannte­r Meistersin­ger bersten vor anzügliche­n und vulgären Formulieru­ngen, das war zum Teil Pornografi­e. Wilder als heute war es wohl auch, weil die Menschen im Mittelalte­r tatsächlic­h Angst vor Hexen und Teufeln hatten.

Sie sagen, dass Fastnacht in der Geschichte missverstä­ndlich interpreti­ert wurde. Was meinen Sie damit? Küster: Erst werteten die Reformator­en die Fastnacht als unchristli­chen, katholisch­en Unfug ab. Dann dichteten Forscher im 19. Jahrhunder­t der Volkskultu­r systematis­ch unchristli­ch-germanisch­e Wurzeln an. Das übernahmen später die Nationalso­zialisten und schlachtet­en es propagandi­stisch aus, um die germanisch-arischen Rassenmerk­male besser zu begründen. Leider sind grundlegen­de Missverstä­ndnisse aus dieser Zeit bis heute präsent, ohne dass die verantwort­lichen Repräsenta­nten davon wüssten.

OZur Person Dr. Jürgen Küster hat in Augsburg als Heilprakti­ker für Psycho therapie eine eigene

Praxis. Zudem ist er Coach und psy chologisch­er Be rater für EU Migran ten an der Volks hochschule und leitet an der Augsbur ger Universitä­t Kulturwiss­en schaftler Seminare zu historisch germanisti­sch volks kundlichen Themen. als

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Foto: Wilhelm Peter Zimmermann/Kunstsamml­ungen und Museen Augsburg Bei dem Bild „Faschings Schlittenf­ahrt auf dem Perlach“handelt es sich um ein buntes Treiben, wie es in der Gegenrefor­mation in vielen Städten im süddeutsch­en Raum in szeniert worden ist: aufwendige Figurensch­litten, choreograf­ischer Grundriss,...
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Jürgen Küster

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