Andeutungen und Abgründe
Jüdische Tradition prägt die Malerei von Ilana Lewitan und Yury Kharchenko
Er ist 1986 in Moskau geboren, studierte von 2004 bis 2008 Malerei an der Akademie Düsseldorf, danach Philosophie in Potsdam. Zuletzt nahm er an der Ausstellung „Luther und Avantgarde“in Wittenberg teil. Sie ist 1961 in München geboren, wo sie auch lebt. Nach dem Studium arbeitete sie in New York als Architektin und Designerin, stieg dann auf das Malerei-Studium um und stellte zuletzt in der Flughafen-Galerie München aus.
Die Schau in der Galerie Noah spannt die beiden Künstler unter dem Titel „Poesie & Pathos“zusammen. Was haben Ilana Lewitan und Yury Kharchenko gemeinsam? Sie sind geprägt von der jüdischen Tradition. Sie halten die Malerei hoch, wozu beider Ausbildung bei Markus Lüpertz entscheidenden Anstoß gegeben hat. Ihre Bilder vereinen Figuration und Abstraktion, verfahren dabei auch mit Witz und Ironie. Trotz alledem: Die Unterschiede fallen stärker ins Auge.
Yury Kharchenko steht für den Titel-Part „Pathos“, man könnte auch sagen: für eine, wenngleich gebrochene, Erhabenheitsästhetik. Der philosophisch und kulturhistorisch beschlagene Künstler packt Zitate, Anspielungen und ironische Schlenker in seine Ölbilder. Sigmund Freud verpasst er eine knallrote Fliege, lässt das Halbporträt aus rötlich-erotischer Farbigkeit emporsteigen, nicht ohne ihm linksseitig den schwarzen Seelenabgrund zuzugesellen.
Oder der Dichter Paul Celan: Der Blauton ruft das Gedicht „Mandorla“und sein Schlüsselwort „königsblau“auf, die wie ein Strichregenfall herabrinnende Farbe erinnert an das bei Celan zentrale Wortfeld von Wasser/Tränen. Der französische Staatsmann und Kardinal Richelieu erscheint als malerische Größenfantasie mit Kleinkopf, dafür ironischerweise mit Engelsflügeln und Heiligenschein.
Die Bilder verstecken eine Forderung: Entdeckt und lest meine Andeutungen! Auch die knallige Farbigkeit setzt einem zu, zumal sie mit dem Figuralen eine heikle Verbindung eingeht („Amy Winehouse mit Tefillin“, das sind jüdische Gebetsfäden; „Geburt Jesu“).
Eindrucksvoll hingegen das Porträt des (jüdischen) Malers Mark Rothko, auf der Grenze von erscheinend und verschwindend balancierend, überdies gebettet in eine zurückhaltende Braunskala. Am meisten überzeugt Kharchenkos „Haus“-Serie (2016/2018), konturierte, spitzgiebelige Gehäuse, in denen sich die transparente, dann wieder pastose, spontane, dann wieder linear gebundene Malerei auslebt in Variation und Vibration („House of Jazz“).
Was ist innen, was außen? Was ist wirklich, was Traum? Fragen, die die Mischtechniken und Ölbilder Ilana Lewitans der Jahre 2013 bis 2018 an uns richten. Ihre Eltern waren nach der Shoa auf der Flucht, und die Künstlerin sagt, dass ihr deswegen bis heute eine gewisse Rastlosigkeit anhängt. Ihre Malerei verführt zu einem träumerischen Gleitflug. Die meist nur angerissenen Motive lassen die Bilder in viele Richtungen ausschlagen, zumal Lewitan die Bildebenen verschränkt, Räume verwischt und Perspektiven verunsichert.
Kugeln schweben, oder sind es Seifenblasen? Übergroße Hände greifen – ins Leere, ins Unbekannte? Der Torso einer Schwangeren verschwistert sich, getragen von Blautönen, mit phallischen Pilzformen. Menschenwinzlinge stehen und schauen – wohin? Wer wirft die Würfel? Düstere Waldausschnitte schieben sich ins Bild – und erscheinen wie eine apokalyptische Erinnerung auf dem Smartphone. Aus Buchsen hängen Kabel und Verbindungen und enden im Nirgendwo. Eine Figur mit einer Art Totenkopf spielt selbstverliebt in einem Bottich mit dem Handy, unbekümmert um alles drumherum.
Lewitan malt Übergänge, Durchblicke, Überfahrten ins Verborgene, zum Teil über bedrohlichen Abgründen („Was erwartet mich?“, „Lebensfreude“). Das hat in der Durchlässigkeit und Überblendung eine surreale Anmutung, und es hält – siehe Steckdosen und Kabel, zudem Titel wie „www.waldpoesie.il“– gewitzt-ironische Distanz zum Neue-Medien-Komplex.
Dass die Motive gerade nicht ins Beliebige laufen, ist der souveränen Malerei Ilana Lewitans zu danken. Selten sehen wir Primärfarben, stattdessen eine verhaltene, mitunter flackernde Farbigkeit, mal mit stumpfen, mal mit aus der Tiefe leuchtenden Partien, Fahlgelb-, Blau- und Grünschattierungen, die einen poetischen Seh- und Empfindungsraum aufspannen.
Frage: Wenn Innenwelt und Außenwelt zusammenfallen, wo situiert sich dann der Betrachter? O Bis 18. März im Glaspalast; Dienstag bis Donnerstag 11 – 15, Freitag bis Sonntag 11 – 18 Uhr. Kataloge liegen auf.