Arme Sau, armer Jäger
Die Angst vor der Afrikanischen Schweinepest wächst auch in Bayern. In der Rolle des „Bösewichts“findet sich das Schwarzwild. Für die Jäger beginnt damit ein Teufelskreis
Augsburg/München Deutschlands Jäger sind im sogenannten Schweinezyklus gefangen. Auf der einen Seite sind die Waidmänner angehalten, immer mehr Wildschweine zu jagen. Auf der anderen Seite lohnt sich genau diese Arbeit aber immer weniger. Wegen der rasanten Vermehrung der Wildschweine wurden in einigen Bundesländern die Schonzeiten verkürzt oder aufgehoben, die Abschusszahlen stetig erhöht. Die Folge: Aufgrund des Überangebots sind die Preise für das Fleisch in den Keller gefallen. „Wegen des Geldes macht das keiner mehr“, sagt Hubert Aiwanger, Bundeschef der Freien Wähler, Landwirt und Jäger. „Für ein einzelnes Tier – ohne Innereien, aber mit Schwarte – bekommen Sie teilweise nur noch 60 Cent pro Kilo. Das sind nicht mal 50 Euro pro große Wildsau, die Sie mit zwei Mann hochwuchten müssen“, weiß Aiwanger.
Nun könnte sich die Situation noch weiter verschärfen. Seit aus Tschechien, Polen, Rumänien, der Ukraine und den baltischen Staaten immer mehr Fälle der Afrikanischen Schweinepest gemeldet werden, geht auch hierzulande die Angst vor der Seuche um. In der Rolle des „Bösewichts“, der die tödliche Krankheit auch in Deutschland verbreiten könnte, findet sich das Schwarzwild. Schon werden allerlei Szenarien diskutiert, wie man der drohenden Gefahr begegnen soll. Der Bauernverband hat gefordert, 70 Prozent der Wildschweine abzuschießen. Selbst Methoden wie Saufänge oder der Einsatz verbotener Nachtzielgeräte sind im Gespräch.
Längst unternehmen Jäger alles, um die wachsenden Wildschweinbestände zu reduzieren. Die Abschusszahlen in Bayern haben sich in den vergangenen 15 Jahren auf 60 845 Sauen im Jagdjahr 2016/2017 nahezu verdreifacht. Doch die Populationsraten gehen weiter nach oben. Der ehemalige Wildmeister Konrad Esterl, im oberbayerischen Schliersee zu Hause, nennt als Gründe für die rasante Entwicklung die landwirtschaftliche Nutzung der Felder, aber auch eine falsche Bejagung des Schwarzwildes. Wenn riesige Mais- und Rapsschläge bis an Wald und Straße gepflanzt würden, sei dies ein Eldorado für die Wildschweine. Gerade der Mais ziehe die Rotten magisch an.
14 Jahre lang arbeitete Esterl als
Berufsjäger im Ebersberger Forst, einem der besten SchwarzwildReviere. „Wir müssen lernen, mit den Sauen zu leben, wir müssen lernen, mit der Intelligenz der Tiere umzugehen“, sagt er. Kaum eine andere Wildart führe ein so ausgeprägtes
Ein falscher Abschuss kann fatale Folgen haben
Familienleben, kaum eine andere Wildart sei mit einem so feinen Sozialsystem ausgestattet. Der heute 81-Jährige hat während seiner Tätigkeit im Ebersberger Forst auch das Sozialverhalten der Sauen studiert. In einer intakten Rotte herrsche ein strenges Regiment, in der die Bache mit ihren Kindern „nicht gerade zimperlich“umgehe.
So habe er beobachtet, dass ein „vorwitziger Frischling, der alleine zur Kirrung, also zur Fütterung, zog, von der Mutter eine regelrechte Watschn bekam, die er mit lautem Quietschen quittierte und dann eiligst den Ort der Gefahr verließ“. Auch habe er erlebt, dass bei einer Ansitzjagd die Wildschweinrotte nach dem Schuss auf eine junge Sau in alle Himmelsrichtungen auseinanderstob. Später beobachtete er dann, dass die Frischlinge zur Bache zurückkehrten und die Mutter fast schon liebevoll mit einem Nasenkontakt begrüßten.
Jäger würden derweil immer wieder den Fehler begehen, Frischlingen ihr Muttertier „wegzuschießen“. Dieses „unwaidmännische Verhalten“stelle das ganze Sozialgefüge einer Rotte auf den Kopf. „Eine
führungslos marodierende Frischlingsbande ist dann der große Verursacher von Wildschäden“, sagt Esterl. Ein einziger falscher Abschuss könne später schlimme Folgen haben. Zumal sich als weiteres Problem herausstellt, dass führungslose Frischlinge sehr schnell rauschig, also paarungsbereit, würden. Tatsächlich ist es inzwischen so, dass schon einjährige Überläufer, gerade aus den Kinderschuhen entwachsen, Nachwuchs bekommen. Milde Winter und ein üppiges Nahrungsangebot im Wald und auf den Feldern führen zu teilweise zwei Würfen im Jahr. „Die Fruchtbarkeit des Schwarzwildes ist ja mit nichts oder kaum einer anderen Wildart zu vergleichen“, sagt Esterl. Für Jäger ist das eine gute und schlechte Nachricht zugleich.