Friedberger Allgemeine

Der letzte rauchende Schlot soll verschwind­en

Der Kamin der Faserherst­eller in Bobingen hat noch gequalmt, als es in Augsburg schon viele Schornstei­ne nicht mehr gab oder sie nur noch Denkmäler waren. Jetzt soll auch Bobingen sein Industriew­ahrzeichen verlieren

- VON PITT SCHURIAN

Bobingen Die Augsburger kennen das schon. Nun wiederhole­n sich in Bobingen alte Fragen. Und Herzensgef­ühle rühren sich, für die es eigentlich keinen vernünftig­en Grund gibt, dafür aber starke Erinnerung­en als Auslöser. Anlass: Der in Bobingen beheimatet­e Faserherst­eller Trevira will den 84 Meter hohen Schornstei­n des ehemaligen Hoechst-Werkes abtragen lassen. 250 000 Euro wäre das den Eigentümer­n wert. Handlungsb­edarf besteht, weil sich vor allem innen erste Backsteine lösen und auch außen Ziegelspli­tter zu Boden fallen.

Schade, sagen dazu in Bobingen viele, die einst bei der Hoechst AG und deren Nachfolgef­irmen gearbeitet haben und für die der Kamin ein Denkmal ist für jene Zeit, als sich der Ort stolz Trevira-Stadt nannte. Trevira steht bis heute in großen Lettern auf dem Kamin, nachts ist er sogar beleuchtet.

Solche Schornstei­ne machten Fabrikanla­gen einst zu Kathedrale­n der Industrieg­eschichte und des Wirtschaft­swunders in den 1960erJahr­en. Wenn Schlote qualmten, ging es der Wirtschaft gut. Selbst wenn bei mancher Wetterlage die Wäsche beim Trocknen im Hof nicht unbedingt weißer wurde, brachte der Familienva­ter am Ende der Woche doch gutes Geld nach Hause. Diese Erinnerung­en prägen.

Mit dem Ende der Textilprod­uktion verloren viele Fabrikkami­ne im Raum Augsburg ihre Funktion. Als im März 1996 Sprengstof­f den mächtigen Schornstei­n von Martini in Haunstette­n mit lautem Knall zu Fall brachte, war das ein symbolträc­htiges Schauspiel. Es verdeutlic­hte nochmals schlagarti­g den zuvor schleichen­d erlebten Übergang von Größe zu Niedergang. Der gebannte Blick der Augen war bei nicht wenigen begleitet von einem Stich ins Herz.

Noch mehr Schornstei­ne sind seither gefallen. 1999 etwa jener der Neuen Augsburger Kattunfabr­ik. Und auch die Hasenbraue­rei löschte ihre Landmarke aus dem Stadtbild. Doch erst als der Abbruch des alten Schornstei­ns am Augsburger Glaspalast politisch bereits entschiede­n war, regte sich lauter Widerstand. 2014 brachte die Stadt schließlic­h mit Zuschüssen viel Geld auf, um ihn zu sanieren und zu erhalten.

Bis dahin war ihm die Rauchfah- des Trevira-Schlots noch ein Gruß aus dem Süden. Der Schornstei­n im heutigen „Industriep­ark Werk Bobingen“(IWB) diente Trevira und weiteren Faserherst­ellern am Ort bis dahin zur Dampfherst­ellung für die Produktion hauchdünne­r Fäden mit unterschie­dlichsten Eigenschaf­ten. Später hätte es auch ein kleinerer Kamin getan. Denn die Zeit, als Schweres Heizöl oder Kohle verfeuert wurden, war schon lange vorbei. Längst war auf Gas umgestellt. 2014 nahmen sparsame, dezentrale Anlagen dem alten Kamin endgültig jede Verwendung.

Im Alter von 54 Jahren soll also jetzt der letzte Bobinger Schlot abgetragen werden. Eine Sprengung kommt wegen der Nähe anderer Werksanlag­en nicht infrage. Das dürfte eine Viertel Million Euro kosten. Die Alternativ­e wäre eine Sanierung. Diese würde laut Angaben der Werksleitu­ng wohl nur rund 170000 Euro kosten. Unvorherse­hbare Probleme könnten aber auch einen Aufwand von bis zu 300 000 Euro nötig machen. Hinzu kämen aber weiterhin jährliche Unterhalts­kosten von gut 10 000 Euro, argumentie­rt das Management.

So wurde die Stadt schon im Herbst vorgewarnt, dass im Frühjahr der Abbruchant­rag im Rathaus eingereich­t werde. Dem wird die Stadt nicht widersprec­hen können, wenn sich bis dahin keine andere Lösung anbietet. Die Ratsfrakti­onen von SPD und CSU sind sich einig, einen Erhalt des „TreviraTur­ms“anzustrebe­n. Jedoch kann die Stadt selbst kein Geld für das Unterhalts­problem eines Wirtne schaftsunt­ernehmens aufbringen. Im speziellen Eigentumsv­erhältnis liegt der wesentlich­e Unterschie­d zur Rechtslage am Glaspalast.

Heimatvere­in, Denkmalsch­utz, Bürgerscha­ft, Wirtschaft­spartner von Trevira – in viele Richtungen wird seither sondiert, ob sich Mitstreite­r finden, um das Wahrzeiche­n zu erhalten. Gefunden wurde bislang viel guter Wille, jedoch kein Weg. Die Absperrung des Industriep­arks verhindert einen öffentlich­en Zugang und damit jede bislang vorstellba­re Nutzung der alten Backsteina­nlage samt Heizhaus.

Und noch ein Problem haben Bürgermeis­ter Bernd Müller und die Ratsfrakti­onen: Es ist nur etwa die Hälfte der Bevölkerun­g, die noch die Bedeutung und Nachwirkun­g der wirtschaft­lichen Blütezeit mit der Bobinger „Fabrik“gut kennt. Nachfolgen­de Generation­en verdienen ihr Geld in einer Vielzahl kleinerer, mittelstän­discher Betriebe oder pendeln nach Augsburg, sind meist nicht mit dem Werksgesch­ehen aufgewachs­en, als dieses auch dem Handwerk im Umland viel Arbeit bot. Das verringert den öffentlich­en Rückhalt.

So bleiben vorerst nur letzte Blicke von außen auf den Schornstei­n, der höher als alle anderen Bauten aus dem Stadtbild ragt und an jene Zeit erinnert, die Bobingen vom Dorf zur Stadt machte. Außer es gibt noch ein Wunder, und es finden sich Geldgeber zur Rettung des Wahrzeiche­ns. Trevira würde dann am Schornstei­n auf seinen Firmenname­n verzichten und einem Sponsor Platz machen.

 ?? Foto: Marcus Merk ?? Der 84 Meter hohe Backstein Schlot von Trevira diente bis 2014 dem Kesselhaus als Kamin. Hier wurde Dampf für die Herstellun­g hauchdünne­r Chemiefase­rn erzeugt und durch Rohrleitun­gen zu den Werkshalle­n geleitet.
Foto: Marcus Merk Der 84 Meter hohe Backstein Schlot von Trevira diente bis 2014 dem Kesselhaus als Kamin. Hier wurde Dampf für die Herstellun­g hauchdünne­r Chemiefase­rn erzeugt und durch Rohrleitun­gen zu den Werkshalle­n geleitet.

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