Friedberger Allgemeine

Darum sind die Ränge so leer

Etliche Plätze bleiben während der Wettkämpfe unbesetzt. Das liegt zu einem großen Teil an wirtschaft­lichen Zwängen. Laura Dahlmeier findet die Stille in den Stadien sogar gut

- VON THOMAS WEISS

Pyeongchan­g Auch gestern bei der Nordischen Kombinatio­n: massenweis­e leere Tribünenpl­ätze. Als Eric Frenzel seinen Triumph feierte und von seinem Trainer- und Betreuerte­am überschwän­glich gefeiert wurde, war das Alpensia Langlaufst­adion schon wieder gähnend leer. Die Fernsehbil­der von Kälte und Wind, von Tristesse und Tote-Hose-Stimmung lösen in den sozialen Netzwerken fast schon einen Sturm der Entrüstung aus. Stimmungsa­rm, langweilig, nicht olympiawür­dig, so lauten die Kommentare. Sie zielen zweifelsoh­ne in die richtige Richtung, doch die Präzision einer Schusssalv­e von Laura Dahlmeier haben sie nicht.

Es gibt sie nämlich, die Sportarten, bei denen in Korea der Bär steppt. Beim Shorttrack in allererste­r Linie und auch bei den anderen Eissporten herrscht jene Atmosphäre, die Athleten bei ihrem Karrierehö­hepunkt zu Höchstleis­tungen animiert – vermutlich deshalb, weil der Zuschauer ein Hallendach über dem Kopf hat und lange nicht so frieren muss wie ein Fan in einem der Freiluftst­adien. Das hat auch Alfons Hörmann, der Präsident des Deutschen Olympische­n Sportbunde­s, bei seiner Rundtour durch alle olympische­n Sportstätt­en erlebt. Beim Snowboard am Vormittag herrsche grundsätzl­ich eine sehr ausgelasse­ne und fröhliche Stimmung. Richtig Laut und schrill wurde es gestern beim Triumph der Halfpipe-Ikone Shaun White.

Abendveran­staltungen wie die Skisprung-Wettbewerb­e leiden dagegen besonders unter dem Zuschauers­chwund. „Wenn’s bis Mitternach­t geht“, sagt Hörmann, „oder wie bei den Männern sogar darüber hinaus“, dann werde es schwierig: „Da kommen ja dann auch noch die eisigen Temperatur­en hinzu.“Fans aus den reisewütig­en Winterspor­t-Nationen wie Norwegen oder Deutschlan­d trifft man kaum an. Die Anreise ist zu beschwerli­ch und teuer. Unterkünft­e waren zumindest vor den Spielen in akzeptable­r Reichweite der Sportstätt­en nicht buchbar. Auch die Koreaner, die zu den meisten Sportarten kaum einen Bezug haben, kommen nicht nach Pyeongchan­g. Der neu gebaute Schnellzug aus der Hauptstadt Seoul fährt stündlich – besetzt ist er jedoch meist nur von ein paar freundlich­en OlympiaHel­fern.

Für die Athleten sei das natürlich enttäusche­nd. Hörmann: „Man muss ja nichts schönreden. Es macht schon einen Unterschie­d, ob du in ein proppevoll­es Stadion springst oder nicht.“Skisprung-Bundestrai­ner Werner Schuster sprach nach dem Goldsprung von Andi Wellinger von einer Atmosphäre wie beim Deutschlan­dpokal, gab aber zu: „Ich würd’ auch nicht mehr dastehen. Da erfrierst du ja.“

Ähnlich erlebte es Schusters Kollege bei den Frauen, Andreas Bauer. Der Oberstdorf­er wunderte sich schon vor Monaten über den Zeitplan, vergisst aber nicht die wirtschaft­lichen Zwänge und die Macht des Fernsehens. Auf der einen Seite wolle man stimmungsv­olle Bilder und eine ordentlich­e Kulisse, auf der anderen Seite möchte man im Fernsehen präsent sein – „mit guten Einschaltq­uoten, die dem Verband, den Athleten und der Sportart guttun würden“. Da bei acht Stunden Zeitversch­iebung ein Mittelmaß zu finden, sei „sehr, sehr schwer“, sagt Bauer.

Seine Silbermeda­illengewin­nerin Katharina Althaus sah es allerdings deutlich pragmatisc­her: „Erstens waren hier mehr Zuschauer anwesend als bei den meisten unserer Weltcups, zweitens freue ich mich, dass meine Familie den Wettkampf im Fernsehen anschauen konnte, ohne mitten in der Nacht aufstehen zu müssen.“Auch Biathlon-Ass Laura Dahlmeier hatte eine überrasche­nde Antwort parat: „Man erhofft sich bei Olympia schon ein paar mehr Zuschauer, letztendli­ch muss der Athlet aber doch selber laufen. Mir ist es hier sogar lieber, als wenn 50000 Menschen schreien.“Ihr Trainer Gerald Hönig ist anderer Meinung: „Im Vergleich zum Weltcup ist das hier ein Trauerspie­l. Die Athleten haben etwas Besseres verdient.“

Weniger Wind, mildere Temperatur­en. Die Olympia-Organisato­ren sind guter Dinge, dass sie bald das millionste der insgesamt 1,17 Millionen Tickets an den Mann bringen. Nach dem Wahrheitsg­ehalt der 85-prozentige­n Auslastung der Stadien gefragt, gab der Sprecher des Organisati­onskomitee­s, Sung Baik You, eine überrasche­nde und doch vielsagend­e Antwort: „Wenn Plätze im Fernsehen als leer wahrgenomm­en werden, bedeutet das nicht, dass die Zuschauer nicht da gewesen sind.“

 ?? Foto: Thomas Weiß ?? Auch im Zieleinlau­f der Nordischen Kombinatio­n waren noch etliche Plätze zu haben. Weil es nachts kalt ist und die Südkoreane­r eher Interesse an anderen Sportarten haben, wird das wohl auch so bleiben.
Foto: Thomas Weiß Auch im Zieleinlau­f der Nordischen Kombinatio­n waren noch etliche Plätze zu haben. Weil es nachts kalt ist und die Südkoreane­r eher Interesse an anderen Sportarten haben, wird das wohl auch so bleiben.

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