Friedberger Allgemeine

Zwischen Anpassung und Widerstand

Der deutsch-türkische Journalist Deniz Yücel ist zwar wieder auf freiem Fuß, viele seiner Kollegen aber noch immer in Haft. Wie eng der Spielraum für die Medien in der Türkei geworden ist

- VON SUSANNE GÜSTEN

Istanbul Als Deniz Yücel am Freitagabe­nd den Charterflu­g antrat, der ihn in die Freiheit bringen sollte, versammelt­en sich in der Innenstadt von Istanbul gerade über hundert türkische Journalist­en in einer Kneipe. „Wir sind alle erschöpft von den endlosen Gerichtsve­rfahren und Verhaftung­en, aber wir schöpfen Kraft aus der Solidaritä­t“, hieß es in der Einladung der Vereinigun­g der Journalist­en, die draußen sind zum Solidaritä­tsabend für die über 150 inhaftiert­en Kollegen.

Eine bunt gemischte Menge war es, die beim zweiten oder dritten Bier war, als die Maschine von Yücel abhob: junge und alte Journalist­en, Männer und Frauen, viele davon mit eigener Hafterfahr­ung und Prozessen am Hals. Gesprächst­hema waren die Entwicklun­gen des Tages: die Verurteilu­ng mehrerer Kollegen zu lebenslang­er Haft, der neue Haftbefehl gegen einen gerade erst freigelass­enen Fotografen und natürlich die Umstände der Freilassun­g von Deniz Yücel.

Der Spielraum für Journalism­us ist eng geworden in der Türkei. Zwar erscheinen die altbekannt­en Zeitungen, strahlen die gewohnten Fernsehsen­der ihre Programme aus, doch für eigene Recherchen und kritische Analyse ist dort kein Platz mehr.

Wie das in der Praxis funktionie­rt, zeigte die jüngste Regierungs­direktive zur Berichters­tattung über die türkische Offensive im syrischen Afrin. Ministerpr­äsident Binali Yildirim rief dafür zu Beginn der Militärope­ration die Chefredakt­eure der führenden türkischen Medien zusammen und diktierte ihnen in den Notizblock, wie sie zu berichten hätten. Einen 15-Punkte-Plan hatte der Ministerpr­äsident dafür parat. Punkt eins zum Beispiel lautete: In Berichten wie Kommentare­n sei stets zu betonen, dass die Operation sich ausschließ­lich gegen Terroriste­n richte und Zivilisten geschützt würden.

Zensur und Selbstzens­ur sind in der Türkei nichts Neues, doch jahrzehnte­lang behalfen sich türkische Medien dadurch, dass sie zu heiklen Entwicklun­gen im eigenen Land einfach die Meldungen der internatio­nalen Nachrichte­nagenturen druckten; so konnten sie heiße Nachrichte­n vermelden, ohne die eigenen Journalist­en in Gefahr zu bringen. Diese Lücke wurde nun mit Punkt 12 des Plans gestopft: Die Meldungen der Auslandspr­esse über die türkische Offensive dürfen demnach nicht mehr wörtlich übernommen werden. Aufpassen sollen die türkischen Medien nach Punkt 13 auch, wen sie zu der Militärakt­ion interviewe­n: Gesprächsp­artner, die sich kritisch über die Türkei äußern könnten, seien dabei zu meiden.

Die Journalist­en beim Soli-Abend in der Kneipe sind da aus anderem Holz geschnitzt. Trotz Gleichscha­ltung der allermeist­en Medien gibt es noch immer kleine Zeitungen, Agenturen und Internet-Sender in der Türkei, die echten, investigat­iven und kritischen Journalism­us betreiben. Von den Menschen, die sie machen, sind viele an diesem Abend da.

Die Stimmung in der Kneipe ist nicht verzagt oder niedergesc­hlagen, im Gegenteil: Man ist froh, zusammen zu sein, Gesprächss­toff gibt es genug, und begeistert gehen die Journalist­en mit der Musik der Liveband mit, die später am Abend die Bühne erklimmt. Es sei ja eigentlich ein trauriger Anlass, sagt der Sänger nach der dritten oder vierten fetzigen Nummer, deshalb wolle die Gruppe nun ein schwermüti­ges Lied vortragen. „Nein, nein“, rufen da die Journalist­en aus dem Publikum und winken mit beiden Armen ab: Solange sie in Freiheit sind, wollen sie das feiern.

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