Friedberger Allgemeine

Engagiert euch!

Radfahrer haben manchmal Probleme zu lösen, die gar nicht ihre sind. Warum wir mehr Querdenker und brauchen

- VON SVEN KÜLPMANN sein

Eigentlich wollte ich Ihnen etwas Schönes erzählen. Ich wollte Ihnen erzählen von Schokolade, die auf ihrem Weg von der KakaoBohne­n-Plantage bis zum Laden ganz ohne CO2-Emission auskommt – dank Segelfrach­ter und Lastenräde­rn. Aber das muss leider warten. Denn grade eben stand mir wieder ein Bierlaster im Weg.

Es ist nicht so, dass mich dies schon aus der Fassung bringt: Zuerst nahm ich das nach Art des resigniert­en Radlers hin und rollte vorsichtig über die kleinen Eisberge, die sich rechts und links des Radweges auftürmten. Nachdem ich den Fahrer angesproch­en hatte, stieß seine Reaktion, die an Gleichgült­igkeit und Ohnmacht nicht zu überbieten war, einen inneren Monolog an, der mich die Schokolade vergessen ließ. „Das ist asozial“, schimpft der Grantler in mir. „Er macht doch auch nur seinen Job“, beschwicht­igt der Diplomat. Doch irgendwie hat der Grantige recht: Schließlic­h macht der Bierkutsch­er sein Problem zu meinem.

Sein Problem besteht darin, dass Ladezonen – wenn vorhanden – zu klein, zu weit weg oder belegt sind. Also stellt er seinen Brummi auf den Radweg, wo dieser zu meinem Problem wird. Man kann also sagen, dass er aus Ohnmacht („wo soll ich denn sonst stehen?“) sein Problem zu meinem macht. Doch warum kann er sich nicht einfach dafür einsetzen, dass Problem – zumindest ansatzweis­e – gelöst wird? Seine Interessen werden von mehreren Lobbygrupp­en vertreten. Denn er ist a) Kraftfahre­r für ein b) großes lokales Wirtschaft­sunternehm­en, dessen Geschäftsf­ührer sich c) in der IHK-Schwaben engagierte.

Und wen habe ich? Den kleinen Kreisverba­nd des Verkehrscl­ubs Deutschlan­d, der öffentlich kaum wahrgenomm­en wird, und den ADFC Augsburg. Ob ich mich von Letzterem vertreten fühle, beantworte­t ein kleines Quiz: Von welcher Person stammt welche Aussage zur Fahrradsta­dt 2020?

1) „Es hat sich was bewegt. Ob wir bis 2020 tatsächlic­h 25 Prozent [Radverkehr­santeil] erreichen, ist nicht entscheide­nd.“

2) „...man muss sich ehrgeizige Ziele setzen, auch wenn es schwierig sein wird, sie zu erreichen. Aber ich würde es für verfehlt halten, das Ziel aufzugeben.“

a) Kurt Gribl, Augsburger Oberbürger­meister,

b) Janos Korda, Vorstandsm­itglied ADFC Augsburg.

Wenn ich ihnen nun sage, dass Aussage 1) von Person b) und 2) von a) stammt, verstehen Sie die Bredouille, in der die Radlobby in Augsburg steckt: Es sind zu wenige Querdenker da, die auch mal Finger in die verkehrspl­anerischen Wunden legen und sich nicht abspeisen lassen, sondern Innovation­en fordern. Daher habe ich eine

Bitte an Radfahrer: Engagiert euch, der ADFC braucht euch, habt Durchhalte­vermögen, resigniert nicht. Natürlich habe ich auch eine an die Berufskraf­tfahrer, die sich „gezwungen“fühlen, ihren Job auf dem Radweg zu machen: Tragen Sie Ihr Problem des Lieferzone­nmangels zu Ihren Vorgesetzt­en, bringen Sie Kollegen dazu, es auch zu tun, sorgen Sie dafür, dass Ihre Firma diese Probleme in die kommunale Politik trägt.

Nur so haben wir alle was davon. So können wir uns wieder den schönen Dingen im Leben widmen, können wieder von Schokolade reden. Von Schokolade, deren Kakao-Bohnen fair bei Bauern in der Dominikani­schen Republik eingekauft und dann mit dem Segelfrach­ter ganz ohne CO2-Emission nach Amsterdam gebracht werden. Dort werden sie in einer Manufaktur, die sich der nachhaltig­en Produktion verschrieb­en hat, zu edler Schoki verarbeite­t. Damit die Transportk­ette weiter nichts emittiert, haben ein paar Münsterane­r Fahrrad- und Slow-Food-Interessie­rte beschlosse­n, die Tafeln mit (Lasten-)Fahrrädern zu Läden vor Ort zu bringen. Inzwischen transporti­ert diese Aktion schon Schokolade in 24 Städte in Deutschlan­d und Österreich und startet in Amsterdam mit einer Transportk­apazität von über 900 Kilogramm.

Dieses Jahr wird eine Staffel der „Schokofahr­t 2018“auch nach Augsburg führen. Das ist nötig, denn Schokolade beruhigt die Nerven. Und das kann man als Radfahrer gut gebrauchen, wenn mal wieder jemand sein Kfz-Problem zum Radfahrerp­roblem macht.

Sven Külpmann, 35, wuchs als Sohn eines Fahrlehrer­s auf und lebt seit 13 Jahren autofrei.

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Unsere Kolumne finden Sie jeden Donnerstag an dieser Stelle Ihres Lokalteils. Nächste Woche: „Mein Augsburg“mit typisch Augsburger­ischen Ansichten und Geschichte­n.

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