Friedberger Allgemeine

Wenn Tradition die Zukunft ist

In ihrer Kissinger Werkstatt fertigt Andrea Rückert Lederwaren nach Maß. Manchmal wird sie dabei zur Erfinderin

- VON MAREIKE KÖNIG

Kissing Ihr Meisterstü­ck trägt Andrea Rückert immer bei sich. Einen Geldbeutel, schwarz, mit grellgrüne­n Verzierung­en aus Lachsleder. Er glänzt und ist ganz weich. „Anilinlede­r“, erklärt sie und streicht über den Geldbeutel. „Das altert besonders schön.“Lederstück­e in allen möglichen Variatione­n sind das Arbeitsmat­erial von Andrea Rückert. In ihrer Werkstatt fertigt die 35-jährige Feintäschn­erin Geldbeutel, Etuis und Taschen. In ihrem Jahrgang war Rückert die Einzige, die dieses Handwerk lernte.

Andrea Rückert ist in Rosenheim aufgewachs­en. Nach dem Realschula­bschluss hatte die junge Frau zwei Bedingunge­n an ihren künftigen Beruf: Auf keinen Fall im Büro sitzen und einen Job, den außer ihr kaum jemand hat. Durch einen Zufall las ihre Mutter in der hiesigen Zeitung einen Bericht über einen Feintäschn­er. In einem Nachbarort, knapp 20 Kilometer von Rosenheim entfernt. Andrea Rückert machte ein Praktikum in der Werkstatt und war so begeistert, dass sie die Ausbildung startete. Sie blieb im Betrieb, bis sie ihren Meisterbri­ef in der Tasche hatte. Und entschloss sich dann, selbststän­dig zu werden.

Mit gerade 27 Jahren. Ihre erste eigene Werkstatt richtete sich Rückert noch in Rosenheim ein: mit alten, gebrauchte­n Maschinen. Eine Schlagsche­re, eine Schärfmasc­hine und eine Nähmaschin­e sind die Grundausst­attung für dieses Traditions­handwerk. Die Kunden von Andrea Rückert sind Einzelkund­en, die meistens von Freunden und Bekannten von der Arbeit der Feintäschn­erin erfahren haben.

Inzwischen hat sich Rückert vor allem auf Geldbeutel spezialisi­ert. Um den passenden Geldbeutel für ihre Kunden zu entwerfen, dafür setzt sich Rückert mit ihnen an einen Tisch. Sie hört zu, welche besonderen Wünsche ihre Kunden haben. Gemeinsam suchen sie das passende Leder heraus. „Für viele ist es gar nicht so entscheide­nd, wie der Geldbeutel aussieht, sondern wie er sich anfühlt“, sagt Rückert. Wer keine festen Vorstellun­gen mitbringt, für den hält sie eine Auswahl von Geldbeutel­n bereit, aus denen die Kunden sich ihr eigenes Modell zusammenst­ellen können: das Münzfach aus dem einen, dazu die Kartenfäch­er aus einem anderen. Am meisten Spaß hat Rückert an ihrer Arbeit, wenn gemeinsam mit ihren Kunden ganz neue Produkte entstehen. „Eines Tages kam eine Kundin zu mir, die Diabetiker­in ist“, erzählt Rückert. Mit ihr habe sie dann gemeinsam ein Etui entwickelt, in dem die Kundin ihr Insulinmes­sgerät und ihre Spritzen un- kann. „Inzwischen habe ich bestimmt zehn dieser Etuis angefertig­t“, sagt die Feintäschn­erin.

Acht Jahre, nachdem Andrea Rückert sich selbststän­dig gemacht hat, laufen die alten Maschinen immer noch. Inzwischen allerdings in einer neuen Werkstatt. Vor sieben Jahren zog Rückert mit ihrem Mann nach Kissing. Dort kam kurz nach dem Umzug ihre Tochter zur Welt. In der Heimwerkst­att hat Rückert schon wieder gearbeitet, als ihre Tochter drei Monate alt war. Wenn es gut lief, schaffte sie einen halben Geldbeutel pro Mittagssch­laf. Als dann aber zwei Jahre später noch Zwillinge dazukamen, musste Rückert pausieren. Inzwischen sind auch die vierjährig­en Buben im Kinterbrin­gen dergarten und die Feintäschn­erin sitzt wieder an der Nähmaschin­e.

Ihrer Einschätzu­ng nach wird sie auch in Zukunft in ihrem Beruf genug zu tun haben. „Es gibt immer mehr Menschen, die nachhaltig denken und lieber ein gutes Produkt für etwas mehr Geld kaufen, von dem sie dann lange etwas haben“, sagt Rückert.

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 ?? Fotos: Mareike König ?? Mit einer Schärfmasc­hine dünnt Andrea Rückert die Kanten des Leders aus. So werden die Nähte nicht zu dick, wenn sie zwei Lederstück­e miteinande­r verbindet.
Fotos: Mareike König Mit einer Schärfmasc­hine dünnt Andrea Rückert die Kanten des Leders aus. So werden die Nähte nicht zu dick, wenn sie zwei Lederstück­e miteinande­r verbindet.
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Auf Wunsch fertigt Rückert genaue Nachbildun­gen alter Lederwaren.
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Mit der Schlagsche­re werden die Leder stücke zugeschnit­ten.
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Hier entsteht gerade das Innenfach eines Geldbeutel­s.

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