Ein Stoß mit fatalen Folgen
Plädoyers im Fall um verstorbenen Senior
Ein Streit auf einem Parkplatz der Hessing-Kliniken. Ein Autofahrer stößt einen Fußgänger zu Boden, von dem er beschimpft wurde. Georg S., ein 88-jähriger Rentner, erleidet bei dem Sturz schwere Kopfverletzungen, er stirbt Monate später. Der 51-jährige Autofahrer, ein Familienvater aus dem Kreis Augsburg, hat sich der Körperverletzung schuldig gemacht. Darüber sind sich alle Beteiligten in dem Prozess einig. Aber ist er auch für den Tod des Mannes zu bestrafen?
Im Prozess, der vor der 8. Strafkammer des Landgerichts stattfindet, wird diese Frage von Staatsanwaltschaft und Verteidigung gänzlich unterschiedlich beurteilt. Nach drei Verhandlungstagen, an denen auch die Tochter des Verstorbenen, eine Augenzeugin des Vorfalls, aussagte, hat Staatsanwältin Kerstin Reitlinger mehr als vier Jahre Gefängnis für den angeklagten Autofahrer beantragt. Sie warf ihm vor, völlig unverständlich reagiert zu haben – und damit auch Siechtum und Tod des Opfers verschuldet zu haben. Anders sieht es Verteidiger Christoph Kühn. Der Anwalt hält eine Bewährungsstrafe für angemessen. Denn der Tod des Rentners sei auf ein „ungewöhnliches Zusammenspiel unglücklicher Umstände“zurückzuführen.
Es ist ein schöner Sommertag, als der 51-Jährige mit seiner Frau im offenen Porsche-Cabriolet auf den Parkplatz fährt. Der Fahrer sieht Georg S., der allem Anschein nach
Georg S. prallt mit dem Kopf auf den Asphalt
zum Kassenhäuschen will, jedoch stehen geblieben ist und in seiner Geldbörse kramt. Er sei „kurz aufs Gas gestiegen“, um auf sich aufmerksam zu machen, sagte der Angeklagte im Prozess. Der Rentner reagiert auf das aufheulende Motorengeräusch erschrocken, fängt an zu schimpfen. Die Tochter sieht, wie der Porschefahrer aus dem Auto springt und auf ihren Vater zustürmt. Als sich beide gegenüberstehen, schubst der Jüngere den Älteren mit beiden Händen von sich. Dieser fällt um. Der Autofahrer ist deutlich größer und mit 135 Kilo beinah doppelt so schwer wie sein Kontrahent. Georg S. prallt mit dem Kopf auf den Asphalt, er erleidet einen Schädelbasisbruch. Blut rinnt aus einem Ohr. „Ein klinisches Alarmsignal“sei das, sagte der Gerichtsmediziner Michael Bedacht im Prozess. Im Klinikum haben Ärzte die Gefahr erkannt. Georg S. wurde am Kopf operiert. Kleine Gefäße waren gerissen. Um das Blut abfließen zu lassen und damit den Druck abzubauen, legten sie ihm eine Drainage.
Für den 88-Jährigen sollten die nächsten Monate im Klinikum und im Therapiezentrum Burgau ein Leidensweg werden. Er wurde immer verwirrter, musste künstlich ernährt werden, konnte nicht mehr sehen und riechen. Vollends zum Pflegefall wurde Georg S., als er einen Hirninfarkt erlitt. Der Rentner starb im Februar 2017, ein halbes Jahr nach dem Zwischenfall am Parkplatz. Er musste, so empfindet es die Tochter, wegen einer „Lappalie“sterben. Wegen eines Streits, wie er wohl beinahe jeden Tag auf einem Parkplatz in Deutschland stattfindet.
Dem Angeklagten war im Prozess anzumerken, wie sehr ihm der Tod des Rentners nahegeht. Der 51-Jährige, der als Gabelstaplerfahrer für ein Logistikunternehmen arbeitet, befindet sich seither in psychiatrischer Behandlung. Den gebraucht gekauften Porsche, den er an jenem Tag erst zum dritten Mal fuhr, hat er verkauft. Die Strafkammer will ihr Urteil am 16. März verkünden.