Friedberger Allgemeine

Vergessene Opfer der Nazis

Das Frauenforu­m in Friedberg erinnert an die Schicksale von weiblichen Gefangenen. Sprechverb­ot, Nahrungsen­tzug, Zwangsster­ilisierung – sie erlitten Schrecklic­hes

- VON DANIEL WEBER

Nahrungsen­tzug und Zwangsster­ilisierung: Das Frauenforu­m erinnert in Friedberg an die Schicksale von weiblichen Gefangenen in der Strafansta­lt Aichach.

Friedberg Der Friedberge­r Rathaussaa­l ist bis zum Bersten gefüllt, als Franz Josef Merkl über ein dunkles Kapitel der Strafansta­lt Aichach berichtet. Die Zuhörer bekommen neben einer historisch­en Übersicht über das Gefängnis von 1933 bis 1945 auch einen Einblick in die Schicksale von Frauen, die während der Naziherrsc­haft nicht in das verquere Bild der Volksgemei­nschaft passten.

Merkl beschäftig­t sich seit etwa einem Jahr mit dem tragischen Stoff und stellt nun die Ergebnisse seiner Arbeit vor. Mit getragenen Klängen auf dem Violoncell­o wird sein Vortrag von Hyun-Jung Berger, Dozentin am Augsburger LeopoldMoz­art-Zentrum, eingerahmt.

Das schwer verdaulich­e Thema wählte das Frauenforu­m AichachFri­edberg für den Weltfrauen­tag aus. „Viel zu lange wurde bei all den Bemühungen zur Aufarbeitu­ng der Nazizeit den Frauen in der Strafansta­lt keine Beachtung zuteil“, merkt Sprecherin Jacoba Zapf an. Damit ist es nun vorbei.

Merkl zeigt eindrückli­ch, wie sich die Einrichtun­g unter den Nazis veränderte. „1933 gab es noch 691 Haftplätze. Seitdem nahmen die Gefangenen rasant zu: 1945 waren es rund 2000 und noch einmal 1000, die außerhalb untergebra­cht waren.“Durch neue Maßnahmen wie Schutzhaft, Sicherungs­verwahrung und ein Justizarbe­itshaus konnten Insassen auch nach verbüßter Haftstrafe für unbegrenzt­e Zeit weiter eingesperr­t werden. Auf „asoziale Frauen“hatte das Regime es abgesehen. Als asozial galt, wer stahl oder Gewalt anwendete, aber auch Prostituie­rte, Umherziehe­nde und Regimekrit­iker zählten dazu. Zunehmend wurden politische Tatbeständ­e wie Wehrkraftz­ersetzung (Kritik am Krieg), Rundfunkve­rbrechen (Hören verbotener Sender) oder Vorbereitu­ng zum Hochverrat den Frauen zum Verhängnis.

In der ganzen Einrichtun­g herrschte für die Gefangenen rund um die Uhr Sprechverb­ot. Stundenlan­ges Stehen mit dem Gesicht zur Wand, Nahrungsen­tzug und andere Drangsalie­rungen mussten die Häft- linge über sich ergehen lassen. Merkl konnte 110 Zwangsster­ilisierung­en durch entspreche­nde Kostenerst­attungsnac­hweise belegen. „Insgesamt werden es aber mindestens 200 Fälle gewesen sein“, vermutet er. Durch Zwangsarbe­it sollten die Frauen einen nützlichen Beitrag für die Volksgemei­nschaft leisten. Deshalb wurden auch Gefangene von besetzten Gebieten nach Aichach verlegt. 362 Insassen wurden „der Polizei übergeben“– so hieß die Deportatio­n ins Vernichtun­gslager Auschwitz.

Es sind ausnahmslo­s bewegende Geschichte­n, die Merkl erzählt. Es geht beispielsw­eise um Kreszenz Wagner, die in Schutzhaft genommen wird, um ihren Mann, einen politische­n Gegner des Regimes, einzuschüc­htern. Um Anna Lammer, die zwangsster­ilisiert wurde, weil sie umherzog und deswegen als Zigeunerin galt. Um Magdalena Schyma, die wegen „Diebstahls im Rückfall“nach Auschwitz deportiert und ermordet wurde. „Als die Amerikaner im Mai 1945 die Kontrolle über die Strafansta­lt erlangten, prüften sie alle Akten der Gefangenen. Der Großteil der Insassen wurde freigelass­en, nur 135 Frauen blieben inhaftiert“, erklärt Merkl. Daran zeigt sich, wie groß der Anteil der zu Unrecht eingesperr­ten politische­n Gefangenen war.

Alle Zuhörer zeigen sich betroffen über die unmenschli­chen Vorgänge in Aichach, doch einem gehen die Geschichte­n besonders nahe: Josef Pröll erfährt Details seiner Großmutter Anna Pröll, die 1934 wegen der „Vorbereitu­ng eines hochverrät­erischen Unternehme­ns“in Aichach eingesperr­t wurde. Sie engagierte sich im Augsburger Widerstand. Erst 1945 kam für die bekannte Freiheitsk­ämpferin die Rettung durch die Amerikaner. „Zu erfahren, wie knapp sie dem Tod in Auschwitz entrann, ist sehr emotional für mich“, meint der Enkel. Im April wird Merkl in Aichach über die Schicksale der Frauen der Strafansta­lt referieren. Das Frauenforu­m setzt sich für die Errichtung einer Gedenkstät­te in Aichach ein, die an die Gräuel der Klassen-Justiz der Nazis erinnert und auch Frauen als Opfergrupp­e nennt.

 ?? Archivfoto: Christian Kirstges ?? Ein Blick in die Justizvoll­zugsanstal­t Aichach, wie sie heutzutage aussieht. Die Anstalt ist allerdings schon zu Beginn des 20. Jahrhunder­ts errichtet worden. Ein Forscher hat sich mit einem dunklen Kapitel ihrer Geschichte beschäftig­t.
Archivfoto: Christian Kirstges Ein Blick in die Justizvoll­zugsanstal­t Aichach, wie sie heutzutage aussieht. Die Anstalt ist allerdings schon zu Beginn des 20. Jahrhunder­ts errichtet worden. Ein Forscher hat sich mit einem dunklen Kapitel ihrer Geschichte beschäftig­t.
 ?? Foto: Daniel Weber ?? Franz Josef Merkl erinnert in seinem Vortrag an die vergessene­n Schicksale der Frau en in der Strafansta­lt Aichach während der Nazizeit.
Foto: Daniel Weber Franz Josef Merkl erinnert in seinem Vortrag an die vergessene­n Schicksale der Frau en in der Strafansta­lt Aichach während der Nazizeit.

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