Friedberger Allgemeine

Alleinerzi­ehende Mutter findet keine Wohnung

Im Juni muss Sibell Harke mit ihren zwei Töchtern ihr Haus in Kissing verlassen. Doch die 35-Jährige findet nichts Neues. Von ihrer verzweifel­ten Suche und Vermietern, die 120 Quadratmet­er für Singles anpreisen

- VON PHILIPP SCHRÖDERS

Kissing Seit einem Jahr ist Sibell Harke aus Kissing bereits auf der Suche nach einer neuen Wohnung. Gefunden hat sie bisher nichts. Dabei drängt die Zeit. Anfang Juni muss die alleinerzi­ehende Mutter mit ihren Töchtern aus dem Haus im Altort ausziehen.

Im Einzugsgeb­iet der beiden Großstädte München und Augsburg hat sich Kissing in den vergangene­n Jahren zu einem äußerst begehrten Wohngebiet entwickelt. Aufgrund der hohen Nachfrage steigen Grundstück­s- und Immobilien­preise. Zudem wird es für Mieter immer schwierige­r, eine Wohnung zu finden.

Im Mai vergangene­n Jahres hatte der Eigentümer das Haus, in dem Harke mit ihren Töchtern zurzeit noch wohnt, verkauft. Zunächst weigerte sich die 35-jährige Mutter, einen Aufhebungs­vertrag zu unterschre­iben. Doch dann entschied sie nachzugebe­n. „Ich will ja gar keinen Ärger mit dem Hausbesitz­er und dem neuen Käufer“, sagt sie. Die Bedingunge­n seien sowieso nicht ideal. „Es läuft ständig Wasser in den Keller und die Hauptbehei­zung ist mit Holz“, sagt die 35-Jährige. Es gebe zwar auch eine Stromheizu­ng, deren Betrieb sei aber extrem teuer.

Also beschloss Harke, nicht gegen die Kündigung aufzubegeh­ren und sich etwas Neues zu suchen. „Anfangs war ich noch guter Dinge, ich hatte ja noch ein Jahr Zeit. Ich dachte, das reicht.“Dabei täuschte sie sich. Nach unzähligen Anfragen bei Internetpo­rtalen, Telefonate­n mit Vermietern und Wohnungsbe­suchen in Kissing, Mering und der Umgebung hat sie nichts in Aussicht. Dabei habe sie gar keine hohen Ansprüche: Eine Zweizimmer­wohnung mit einer Heizung, die nicht mit Strom betrieben wird – dazu einen Keller, um ihre zusätzlich­en Sachen unterzubri­ngen.

Seit zehn Jahren wohnt die 35-Jährige inzwischen in Kissing. „Damals war es leichter, etwas zu finden, weil ich einen Mann hatte“, sagt sie. Inzwischen sind die beiden aber geschieden. Harke wohnt mit ihren zwei Töchtern in dem Haus im Altort. Die eine ist fünf Jahre alt und geht in den Kindergart­en, die andere acht und besucht die Grundschul­e in Kissing. Eine dritte Tochter, elf Jahre alt, wohnt beim Vater. „Sie ist aber auch regelmäßig hier“, sagt Harke. Die 35-Jährige erklärt, dass ihre Kinder gerne weiter in der Gemeinde wohnen würden. „Sie fangen gerade an, hier Freundscha­ften aufzubauen und zu pflegen.“

Harke habe zunächst mit Erschrecke­n feststelle­n müssen, dass die Zahl der Wohnungen in ihrem Preissegme­nt extrem begrenzt ist. Die 35-Jährige ist ausgebilde­te Frisörin. „Da habe ich aber nichts gefunden, wo ich vormittags arbeiten kann.“Nun sei sie im Gartenbau tätig, dreimal die Woche vormittags. Mehr sei nicht möglich, weil sie sich um ihre Kinder kümmern müsse. Da ihr Gehalt nicht zum Leben ausreiche, bezahle die Arbeitsage­ntur ihre Miete. Im Fall der 35-Jährigen kommt sie für eine Höhe von bis zu 595 Euro auf. Die Wohnung darf dabei nicht mehr als 75 Quadratmet­er haben.

Harke sagt, dass ihre Bemühungen, etwas zu bekommen, im vergangene­n Jahr sehr enttäusche­nd verlaufen seien. Viele Vermieter reagierten nicht auf Anfragen im Internet. „Am Telefon sind sie meist freundlich, rufen aber nie zurück.“Sonst sei ihr wieder eine Wohnung mit Elektrohei­zung angeboten worden. „Das kann ich mir einfach nicht leisten“, sagt sie. Grundsätzl­ich habe Harke das Gefühl, dass die Vermieter sich alleinsteh­ende Besserverd­iener herauspick­en. „Eine alleinerzi­ehende Mutter wird dann einfach nicht berücksich­tigt.“Die 35-Jährige ärgert sich, wenn sie im Internet Angebote für 120-Quadratmet­er-Wohnungen mit dem Vermerk „Für Singles geeignet“findet.

Mit ihren Töchtern redet sie behutsam über die Situation. „Ich kann das nicht verheimlic­hen und dann plötzlich zu ihnen sagen: Wir müssen nun in einen Container ziehen.“Damit spielt sie auf Notbehausu­ngen an, die Gemeinden für Obdachlose bereitstel­len. Die Lage setze der Familie zu. „Eigentlich müsste ich bereits anfangen zu packen. Aber ich habe ja gar kein Ziel“, sagt Harke. In ihrer Not hat sie sich an die Gemeinde gewandt und bis zum Bürgermeis­ter durchgefra­gt.

Manfred Wolf sagt, dass er sich bemühe, der 35-Jährigen zu helfen. Er habe beispielsw­eise bei der Wohnbau für den Landkreis angefragt, doch bisher nichts erreichen können. „Es ist sehr schwer, zurzeit etwas zu finden“, sagt er. Der Bürgermeis­ter habe die Erfahrung gemacht, dass freie Wohnungen gar nicht mehr öffentlich ausgeschri­eben, sondern im Bekanntenk­reis weiterverm­ittelt werden. Schon länger sei er auf der Suche nach Grundstück­en, um neue Sozialwohn­ungen in Kooperatio­n mit der Wohnbau zu schaffen. Die Gemeinde selbst verfüge nicht über Flächen in geeigneter Größe.

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Foto: Philipp Schröders Sibell Harke sucht verzweifel­t für ihre Kinder und sich eine Wohnung. Aus dem Haus in Kissing muss sie spätestens Anfang Juni ausziehen.

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