Wie Schüler ein Leben retteten
Im Juni vergangenen Jahres kippte ein Junge im Unterricht vom Stuhl – Herzstillstand. Weil alle schnell genug reagierten, ist der Bub heute wieder auf dem Damm. Für die Augsburger Schulen hat der Vorfall nun Folgen
Der 22. Juni vergangenen Jahres war ein heißer Sommertag. Die Siebtklässler am Maria-TheresiaGymnasium hatten Geschichte, als Niklas vom Stuhl kippte. Der damals 14-Jährige hat einen angeborenen Herzfehler – und an diesem Nachmittag hörte sein Herz unerwartet auf zu schlagen. Niklas Überlebenschancen waren gleich null, wären da nicht zwei couragierte Klassenkameraden und die Lehrerin gewesen. Es begann eine Rettungskette, wie sie wohl für eine Schule und für die Einsatzkräfte in Augsburg beispiellos war. Der Vorfall hat zudem die Aufmerksamkeit auf eine Vorrichtung gelenkt, die nun nach und nach in Augsburgs Schulen eingeführt werden soll.
„Die Jungs haben unserem Sohn das gute Leben gerettet. Das gute Leben, weil überleben allein heißt ja nicht, in welchem Zustand.“Robert und Regina Linse, die Eltern von Niklas, sind immer noch bewegt, wenn sie von diesem Schicksalstag erzählen. Der Tag, an dem ihr Sohn nur knapp dem Tod entrann, weil andere beherzt eingriffen. Alexandre Schleret und Gabriel Geyer, zu dem Zeitpunkt 14 und 13 Jahre alt, hatten ihren Schrecken schnell überwunden, als ihr Freund plötzlich auf dem Boden lag und nicht mehr atmete. Die beiden Freunde engagieren sich am Maria-TheresiaGymnasium (MTG) bei den Schulsanitätern. Bislang hatten die Jugendlichen noch keinen Ernstfall miterlebt, sondern nur geübt. Jetzt handelten sie umsichtig und schnell.
Während der Rettungsdienst gerufen wurde, schickten die Jungen ihre Mitschüler in ein Nebenzimmer. Alexandre legte bei Niklas sofort mit der Herzrhythmus-Massage los und beatmete ihn. Geschichtslehrerin Eva Oberndorfer reanimierte mit. „Diese schnelle Hilfe war entscheidend, weil Niklas dadurch rasch Sauerstoff bekam“, betont Vater Robert Linse. Sein Sohn hatte plötzlich eine HerzrhythmusStörung erlitten. Es kam zu einem Kammerflimmern, dann zum Herzstillstand. Auch die Umsicht von Niklas Eltern half bei der Rettung. Das Ehepaar hatte schon länger vorsorglich die Telefonnummer eines Herzspezialisten des Münchner Klinikums Großhadern als Ansprechpartner in der Schulverwaltung hinterlegt. Trotzdem kam der Vorfall für alle unerwartet. „Sein Kreislauf war immer stabil. Das war auch für uns ein unvorhersehbares Ereignis“, erzählt die Mutter.
Die funktionierende Rettungskette war beispiellos, sagt Schulleiter Jürgen Denzel heute. Vier Notärzte waren vor Ort, versorgten Niklas und hielten Verbindung mit dem Herzspezialisten in München. Die Beamten der PolizeiinspektionMitte, sagt Denzel, hätten geahnt, dass ein schneller Rettungsweg nötig ist. „Die Polizei riegelte alle Kreuzungen bis zum Klinikum ab, damit Niklas ohne Verzögerung dort hingebracht werden konnte.“Das Kriseninterventionsteam kümmerte sich anschließend um Schüler und Lehrer. Denzel sagt: „Dann brauchten wir Betreuung.“
Viele Klassenkameraden hätten geweint, erzählt Alexandre. Während der Wiederbelebung seines Freundes habe er selbst noch einen klaren Kopf gehabt. „Das war das Adrenalin.“Als ihn seine Mutter später von der Schule abholte, sei aber auch er down gewesen. Aufgrund des dramatischen Vorfalls am Maria-Theresia-Gymnasium im vergangenen Sommer, wurde die Schule jetzt mit einem Defibrillator ausgestattet. Es ist ein Pilotprojekt. Erst sollen die Lehrer im Umgang mit dem „Defi“geschult werden, dann die Schüler.
Laut Michael Schorer vom Schulverwaltungsamt werden in diesem Jahr 14 Schulen in Augsburg dieses Rettungsgerät bekommen. „Dann folgen weitere Schulen.“Dabei wird eng mit der Björn Steiger Stiftung zusammengearbeitet. Sie stellt nicht nur die Defis zur Verfügung, sondern auch Übungspuppen, an denen die Schüler die Herz-Lungen-Wiederbelebung lernen. Seit neun Jah- ren geht die Stiftung aus Winnenden mit ihrem Projekt „Retten macht Schule“bundesweit an Ausbildungsstätten. Ihr ist es ein Anliegen, dass jeder Schüler ab der siebten Klasse die wichtigen Schritte der Ersten Hilfe beherrscht. Bildungsreferent Hermann Köhler freut sich, dass nun auch Augsburg im Fokus steht. Man sei der Stiftung dankbar. Der Vorfall mit Niklas habe die Aufmerksamkeit auf das Thema Wie- derbelebung gelenkt. „Es ist ein wichtiger Schritt, um Unsicherheiten an Schulen zu nehmen.“
Niklas selbst wurde nach der ersten Versorgung im Klinikum Augsburg weiter nach Großhadern gebracht. Rund drei Wochen später konnte der Jugendliche wieder nach Hause. Er hatte keine bleibenden Schäden davongetragen. Niklas wollte gleich wieder in die Schule, erzählt die Mutter. Sogar bei dem Schulausflug ins Schwimmbad wenige Tage später kam er mit. Der Arzt gab dazu grünes Licht.
Alexandre und Gabriel waren auch dabei. Sie sind natürlich stolz, dass sie im vergangenen Jahr durch ihren Einsatz das Leben ihres Freundes gerettet haben. Und Niklas Vater bescheinigt den beiden Schülern: „Ihr habt einen Riesenjob gemacht.“
Der Vorfall kam für alle unerwartet