So klingt Finnland! Oder doch Italien?
Ein Meisterwerk von Jean Sibelius ragt heraus aus dem jüngsten Konzert der Augsburger Philharmoniker. Ein Verdienst vor allem auch des Dirigenten
Zur Projektionsfläche taugt kaum eine andere Kunst so wie Musik. Was lässt sich nicht alles in sie hineininterpretieren! Die 2. Sinfonie von Jean Sibelius zum Beispiel: Den Finnen war das zu Beginn des vergangenen Jahrhunderts entstandene Orchesterwerk ihres Landsmanns zuvörderst ein gegen die russische Kultur gerichtetes patriotisches Bekenntnis. Andere Interpreten hören in Sibelius’ Opus 43 vor allem italienisches heraus, nahm die Sinfonie doch ihren Ursprung während eines Italien-Aufenthalts des Komponisten. Auf wieder andere Hörer macht diese Zweite keinen anderen Eindruck als alle Musik von Sibelius – sie gilt ihnen als tönender Inbegriff des Finnischen, als Klang gewordenes Bild nordischer Wälder und Seen. Offenbar ist Sibelius’ Musik eine kaleidoskopische Vielfalt zu eigen, welche nicht zuletzt – wie bei aller großer Tonkunst – ihre Qualität ausmacht.
Schade deshalb, dass das sinfonische Werk von Jean Sibelius (18651957) so selten in Erscheinung tritt in den Konzerten der Augsburger Philharmoniker. Oder aber (auch hier je nach Standpunkt): Wie schön!, dass jetzt in der Kongresshalle mal wieder eines seiner Werke zu hören war, eben jene 2. Sinfonie. Ein Prachtstück für jedes Orchester, ein Werk, das eine ganze Palette an Farben und Stimmungen, an Brillanz und Disziplin gleichermaßen beansprucht.
Lancelot Fuhry weiß jedoch als kluger Dirigent, dass allein mit Oberflächenpolitur dieser Sinfonie nicht beizukommen ist. Sibelius’ individuelle Kompositionstechnik verlangt nach überlegter Disposition, nach einem ausgeklügelten System, wie sich innerhalb eines jeden Satzes die einzelnen Teile zueinanderzustehen haben. Vor allem sind da diese faszinierenden Steigerungen, die sich aus dem Nichts zusammenzubrauen scheinen, so wie sich an manchen Tagen unbeachtete Wölkchen mit einem Mal ballen zu riesigen, machtvoll sich entladenden Gemengen. Wie das geschieht, führte Fuhry bereits im Eröffnungssatz, der so pastoral-heiter beginnt, spannungsvoll vor – noch eindrücklicher aber dann im langem zweiten, wo aus schlichtem Zupfen der tiefen Streicher nach und nach gewaltige Klanggebirge entstehen. Fuhry jedoch, 1. Kapellmeister am Theater Augsburg, ging es nicht um den vorlauten Effekt. Bei ihm wirkte alles organisch entwickelt und sinnfällig begründet, bis hin zu den lang gedehnten und in sich kreisenden Pathosgesten des Finales. Vorzüglich die Philharmoniker, zum einen wegen ihrer dynamischen Kultur (die allenfalls in den letzten Takten nachließ), aber auch ihrer Homogenität wegen – wer hätte an diesem Montagabend einer der Gruppen, den Streichern, dem Holz oder dem Blech, den Vorzug geben wollen?
Musik aus Finnland gab es bereits zu Beginn des Programms mit der Orchesterfassung eines Stücks von Tomi Räisänen (*1976). „Magus Magnus“ist eine Hommage an seinen Kompositionslehrer Magnus Lindberg, zugleich aber auch eine Paraphrase über Strukturen von Paul Dukas’ „Zauberlehrling“– und tatsächlich ließ sich in manch quecksilbrigem Klangmoment und manch burleskem KontrafagottAuftritt ein Reflex auf die berühmte Dukas’sche Fantasie erahnen.
Zwischen den finnischen Eckpunkten Beethoven mit seinem 3. Klavierkonzert. Schon die Orchestereinleitung ließ erahnen, dass hier nicht die c-Moll-Trumpfkarte gezogen werden würde: Lancelot Fuhry ging den Kopfsatz ganz und gar nicht titanisch-kantig, sondern betont lyrisch an, eine Linie, die der Solist Alexej Gorlatch bruchlos weiterführte. Der vielfach ausgezeichnete Pianist (u. a. 1. Preis beim
ARD-Wettbewerb) ist natürlich auch in beseelteren Gefilden mit allen Wassern gewaschen, erlesen in der Artikulation, penibel in der Klanggestaltung. Und doch, was man, vonseiten des Solisten wie des Dirigenten, bei diesem Beethoven vermisste, war die Dramaturgie, das Wechselspiel von Schürzung und Entspannung, das Ansteuern gezielt gesetzter Kulminationspunkte. Beethoven grüßte hier vom Sockel eines sakrosankten Klassikers herab. Da vermochten die als Zugabe gereichten leidenschaftlich bewegten Chopin-Etüden in C und cis (1. Band) ungleich packender, was Gorlatch dann auch berechtigten Jubel einbrachte.