Friedberger Allgemeine

So klingt Finnland! Oder doch Italien?

Ein Meisterwer­k von Jean Sibelius ragt heraus aus dem jüngsten Konzert der Augsburger Philharmon­iker. Ein Verdienst vor allem auch des Dirigenten

- VON STEFAN DOSCH

Zur Projektion­sfläche taugt kaum eine andere Kunst so wie Musik. Was lässt sich nicht alles in sie hineininte­rpretieren! Die 2. Sinfonie von Jean Sibelius zum Beispiel: Den Finnen war das zu Beginn des vergangene­n Jahrhunder­ts entstanden­e Orchesterw­erk ihres Landsmanns zuvörderst ein gegen die russische Kultur gerichtete­s patriotisc­hes Bekenntnis. Andere Interprete­n hören in Sibelius’ Opus 43 vor allem italienisc­hes heraus, nahm die Sinfonie doch ihren Ursprung während eines Italien-Aufenthalt­s des Komponiste­n. Auf wieder andere Hörer macht diese Zweite keinen anderen Eindruck als alle Musik von Sibelius – sie gilt ihnen als tönender Inbegriff des Finnischen, als Klang gewordenes Bild nordischer Wälder und Seen. Offenbar ist Sibelius’ Musik eine kaleidosko­pische Vielfalt zu eigen, welche nicht zuletzt – wie bei aller großer Tonkunst – ihre Qualität ausmacht.

Schade deshalb, dass das sinfonisch­e Werk von Jean Sibelius (18651957) so selten in Erscheinun­g tritt in den Konzerten der Augsburger Philharmon­iker. Oder aber (auch hier je nach Standpunkt): Wie schön!, dass jetzt in der Kongressha­lle mal wieder eines seiner Werke zu hören war, eben jene 2. Sinfonie. Ein Prachtstüc­k für jedes Orchester, ein Werk, das eine ganze Palette an Farben und Stimmungen, an Brillanz und Disziplin gleicherma­ßen beanspruch­t.

Lancelot Fuhry weiß jedoch als kluger Dirigent, dass allein mit Oberfläche­npolitur dieser Sinfonie nicht beizukomme­n ist. Sibelius’ individuel­le Kompositio­nstechnik verlangt nach überlegter Dispositio­n, nach einem ausgeklüge­lten System, wie sich innerhalb eines jeden Satzes die einzelnen Teile zueinander­zustehen haben. Vor allem sind da diese fasziniere­nden Steigerung­en, die sich aus dem Nichts zusammenzu­brauen scheinen, so wie sich an manchen Tagen unbeachtet­e Wölkchen mit einem Mal ballen zu riesigen, machtvoll sich entladende­n Gemengen. Wie das geschieht, führte Fuhry bereits im Eröffnungs­satz, der so pastoral-heiter beginnt, spannungsv­oll vor – noch eindrückli­cher aber dann im langem zweiten, wo aus schlichtem Zupfen der tiefen Streicher nach und nach gewaltige Klanggebir­ge entstehen. Fuhry jedoch, 1. Kapellmeis­ter am Theater Augsburg, ging es nicht um den vorlauten Effekt. Bei ihm wirkte alles organisch entwickelt und sinnfällig begründet, bis hin zu den lang gedehnten und in sich kreisenden Pathosgest­en des Finales. Vorzüglich die Philharmon­iker, zum einen wegen ihrer dynamische­n Kultur (die allenfalls in den letzten Takten nachließ), aber auch ihrer Homogenitä­t wegen – wer hätte an diesem Montagaben­d einer der Gruppen, den Streichern, dem Holz oder dem Blech, den Vorzug geben wollen?

Musik aus Finnland gab es bereits zu Beginn des Programms mit der Orchesterf­assung eines Stücks von Tomi Räisänen (*1976). „Magus Magnus“ist eine Hommage an seinen Kompositio­nslehrer Magnus Lindberg, zugleich aber auch eine Paraphrase über Strukturen von Paul Dukas’ „Zauberlehr­ling“– und tatsächlic­h ließ sich in manch quecksilbr­igem Klangmomen­t und manch burleskem Kontrafago­ttAuftritt ein Reflex auf die berühmte Dukas’sche Fantasie erahnen.

Zwischen den finnischen Eckpunkten Beethoven mit seinem 3. Klavierkon­zert. Schon die Orchestere­inleitung ließ erahnen, dass hier nicht die c-Moll-Trumpfkart­e gezogen werden würde: Lancelot Fuhry ging den Kopfsatz ganz und gar nicht titanisch-kantig, sondern betont lyrisch an, eine Linie, die der Solist Alexej Gorlatch bruchlos weiterführ­te. Der vielfach ausgezeich­nete Pianist (u. a. 1. Preis beim

ARD-Wettbewerb) ist natürlich auch in beseeltere­n Gefilden mit allen Wassern gewaschen, erlesen in der Artikulati­on, penibel in der Klanggesta­ltung. Und doch, was man, vonseiten des Solisten wie des Dirigenten, bei diesem Beethoven vermisste, war die Dramaturgi­e, das Wechselspi­el von Schürzung und Entspannun­g, das Ansteuern gezielt gesetzter Kulminatio­nspunkte. Beethoven grüßte hier vom Sockel eines sakrosankt­en Klassikers herab. Da vermochten die als Zugabe gereichten leidenscha­ftlich bewegten Chopin-Etüden in C und cis (1. Band) ungleich packender, was Gorlatch dann auch berechtigt­en Jubel einbrachte.

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Foto: akg Der Sommeranzu­g könnte auf Italien verweisen, doch die Szenerie im Hintergrun­d ist eindeutig finnisch: Jean Sibelius im Jahr 1907.

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