Friedberger Allgemeine

Jugendamt blieb bei Fristversä­umnis hart

Vor vier Jahren musste eine Augsburger Kinderkrip­pe Insolvenz anmelden. Ein Förderantr­ag war vergessen worden. Die Besitzerin bat vergeblich um Milde bei dem Amt, das jetzt selber um viel Geld bangen muss

- VON JÜRGEN MARKS

Es ist eine dieser Geschichte­n, die man zunächst nicht glauben mag. Mobbing-Vorwürfe, Verschwöru­ngstheorie­n, ein Stasi-Vergleich, am Ende eine harte Landung in der Insolvenz. Das Leben hat Narben hinterlass­en bei Angelika Keim aus Augsburg-Haunstette­n.

Doch der Kern der Geschichte hat angesichts des 28-MillionenD­ebakels im Augsburger Jugendamt eine außerorden­tliche Brisanz: Angelika Keim musste 2014 ihre Kinderkrip­pe schließen, weil sie es versäumt hatte, einen Förderantr­ag fristgemäß beim Jugendamt einzureich­en. Sie bat um Milde, doch die Behörde blieb hart. Stattdesse­n verlangte das Amt von der Sozialpäda­gogin 77399 Euro bereits geleistete Abschlagsz­ahlungen zurück. Keim musste Insolvenz anmelden und verlor ihre wirtschaft­liche Existenzgr­undlage. Die Leiterin des Jugendamts war bereits damals Sabine Nölke-Schaufler.

Nun muss die Amtsleiter­in selbst weichen. Denn im Zuständigk­eitsbereic­h von Nölke-Schaufler ist im Sommer 2017 eine Antragsfri­st für Kita-Zuschüsse versäumt worden. Aktuell droht der Stadt daher eine Rückzahlun­g von etwa 28 Millionen Euro. Oberbürger­meister Kurt Gribl verhandelt derzeit mit dem Freistaat und hofft auf eine positive Lösung statt einer Durchsetzu­ng der Rückforder­ung – wie es im Fall von Angelika Keim vor knapp vier Jahren geschehen ist.

Die heute 62-Jährige hatte 2007 ihre Kinderkrip­pe in der Straße Am Pfannensti­el nahe der MAN eröffnet. Bis zu zwölf Kinder wurden im „Dreikäseho­ch” betreut. Zum Team gehörten noch zwei Angestellt­e. Keim hatte sich selbststän­dig gemacht, nachdem sie zuvor einige Jahre lang als Sozialpäda­gogin für das Jugendamt gearbeitet hatte.

Sie war dort für die Familienhi­lfe tätig. Es ging um Alkohol, Drogen, Kindesmiss­brauch. Ein harter Job. Irgendwann verschlech­terte sich das Verhältnis zu den Mitarbeite­rn des Jugendamts. Keim fühlte sich ausgegrenz­t, wurde krank und gründete eine Selbsthilf­egruppe für Mobbingopf­er. 2006 unterschri­eb sie auf Anraten ihres Arztes einen Auflösungs­vertrag.

Ihr Neustart gelang mit der Dreikäseho­ch GmbH, die sie gegründet hatte. Am Pfannensti­el 25 fand sie geeignete Räume, kaufte die Möbel vom Ersparten. „Als Diplom-Sozialpäda­gogin mit Zusatzausb­ildungen als Familienth­erapeutin und Trainerin beim Kinderschu­tzbund musste ich noch eine Ausbildung als machen, um die Betriebsge­nehmigung zu bekommen”, erzählt Keim. Die Zulassung hatte sie beim Jugendamt beantragen müssen, der Behörde, mit der sie zuvor Schwierigk­eiten hatte.

Die Dreikäseho­ch-Krippe füllte sich rasch. Der Laden lief. Doch nach Keims Darstellun­g wurde sie ungewöhnli­ch häufig kontrollie­rt. In den sieben Jahren der Krippe erinnert sie sich an zehn bis 15 Kontrollbe­suche des Jugendamts. Keim: „Die kamen meist unangemeld­et, durchforst­eten stundenlan­g Unterlagen. Mehrmals wurde ich auch vorgeladen. Ich fühlte mich schikanier­t und an Stasi-Methoden erinnert.” Auch das Gesundheit­samt schaute genau hin. „Gefunden wurde aber nichts. Es war alles in Ordnung bei uns”, sagt Keim.

Vielleicht neigt man zu Verschwöru­ngstheorie­n, wenn man es nicht leicht hatte im Leben. Angelika Keim wuchs in Leipzig zur Zeit der DDR auf. Ihre Familie galt als nicht „regimetreu”, ihr Mann war in der Jazz-Szene aktiv. Die Stasi hatte die Keims nach ihren Aussagen im Blick. Sogar ihren damals vierjährig­en Sohn hat man ihr zeitweise genommen. 1986 durften sie ausreisen, kamen 1990 in Augsburg an. 1995 starb ihr Ehemann.

Was dann im Jahr 2014 passierte, ist durch Briefwechs­el eindeutig belegt. Im Mai des Jahres teilte das Augsburger Jugendamt Angelika Keim mit: Als Träger der Dreikäseho­ch-Kinderkrip­pe habe sie es versäumt, „den Förderantr­ag fristgerec­ht zum 30.04.2014 bei der Stadt Augsburg zu stellen”. Abschlagsz­ahlungen in Höhe von 77399 Euro sind zurückzufo­rdern.

Unterstütz­t von einem RechtsanTa­gesmutter walt legte Keim Einspruch ein, beantragte die Wiedereins­etzung in den vorherigen Stand. Die Frist sei wegen einer Erkrankung versäumt worden. Das Jugendamt ließ sich nicht darauf ein, lehnte den Antrag ab und erinnerte daran, dass es schon im Vorjahr „massive Schwierigk­eiten” bei einer korrekten und fristgerec­hten Antragstel­lung gegeben habe. Es half auch nicht, dass der Dreikäseho­ch-Elternbeir­at sich für die Krippe einsetzte. Eine Mutter sagte unserer Zeitung, in den Gesprächen seien vom Amt immer neue Hürden aufgebaut worden.

Die Folge: Angelika Keim musste Insolvenz anmelden. Die geschuldet­en 77 399 Euro kann sie nicht zurückzahl­en. Zwölf Kinder verloren ihren Betreuungs­platz, zwei Angestellt­e ihren Job.

Der Augsburger Sozialrefe­rent Stefan Kiefer (SPD) war damals noch nicht im Amt. Nach Studium der Akten urteilt er über den Fall:

Das geschuldet­e Geld kann sie nicht zurückzahl­en

„Es gab immer wieder Probleme und Unstimmigk­eiten mit der Krippe, unter anderem bei Betriebsko­stenabrech­nungen und anderen Fragen.“

Keims heutiger Rechtsanwa­lt Bernhard Hannemann versteht die Entscheidu­ng nicht: „Es ist eine Ermessensf­rage gewesen. Bei Abwägung aller Für und Wider hätte man auch anders entscheide­n können. Das Jugendamt hat billigend in Kauf genommen, dass eine wirtschaft­liche Existenz zerstört wird.”

Die Geschichte von Angelika Keim wäre wohl nie bekannt geworden. Doch die Vorgänge um das aktuelle Fristversä­umnis des Jugendamts haben die Augsburger­in aufgewühlt. Schadenfre­ude empfindet sie aber nicht. „Ich hoffe, dass der Stadt Augsburg anders als mir die Rückzahlun­g erspart bleibt und das Ministeriu­m kulanter entscheide­t, als das Amt es damals in meinem Fall getan hat.”

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