Friedberger Allgemeine

Regieren ist kein Spaziergan­g

Endlich Aufbruchst­immung? Nach all dem Streit der vergangene­n Wochen schwören sich die Ministerin­nen und Minister der Großen Koalition im Gästehaus der Regierung auf die gemeinsame Arbeit ein

- VON MARTIN FERBER

Meseberg/Berlin Gibt es ihn wirklich, den besonderen Geist von Meseberg, der im Gästehaus der Bundesregi­erung seine positive Wirkung entfaltet, wenn sich die Mitglieder der Bundesregi­erung zur Klausursit­zung in die ländliche Abgeschied­enheit der Mark Brandenbur­g zurückzieh­en? Vor vier Jahren war es der damalige SPD-Vizekanzle­r Sigmar Gabriel, der beim geselligen Beisammens­ein zu später Stunde einen überaus speziellen Geist entdeckte, der die Kabinettsm­itglieder von CDU, CSU und SPD entscheide­nd zusammenfü­hrte. „Es gibt Himbeergei­st“, verriet er damals. Gemeinsam plünderten die Schwarzen und die Roten die Vorräte an Hochprozen­tigem im Weinkeller und stießen auf die gemeinsame Regierungs­arbeit an.

Und dieses Mal? Wieder ziehen sich am Dienstag und Mittwoch die Kabinettsm­itglieder von CDU, CSU und SPD nach den quälend langen Sondierung­sgespräche­n, Koalitions­verhandlun­gen und dem Mitglieder­entscheid der SPD bei strahlende­m Sonnensche­in und frühlingsh­aften Temperatur­en ins prächtige Barockschl­oss Meseberg im Landkreis Oberhavel zurück. Bei langen Gesprächen ohne Zeitdruck sowie einem geselligen Beisammens­ein am Abend wollen sie eine tragfähige Basis für die gemeinsame Regierungs­arbeit legen. Und wieder scheint der besondere Geist von Meseberg zu wirken. Man habe sich gegenseiti­g kennengele­rnt und die Arbeitsfäh­ig- keit der Bundesregi­erung hergestell­t, berichtet Bundeskanz­lerin Angela Merkel (CDU) am Mittwochmi­ttag zum Abschluss der Klausur. Ihr Vizekanzle­r, Finanzmini­ster Olaf Scholz (SPD), drückt es so aus: „Teambuildi­ng gelungen, der Rest kommt jetzt.“

Hat dabei auch wieder der legendäre Himbeergei­st aus der Kellerbar seine Wirkung entfaltet? Merkel dementiert. „Ich kann nur von später Stunde und Rotwein berichten. Über Himbeergei­st hab ich mich nicht informiert. Aber der Geist war insgesamt gut. Sehr kooperativ.“Das bestätigt auch der alte und neue Entwicklun­gsminister Gerd Müller (CSU) unserer Zeitung. Er spricht von einer „guten Atmosphäre“und einer „Aufbruchst­immung“, die in Meseberg geherrscht habe. Ausdrückli­ch würdigt er die „gute Mischung aus Erfahrung und Erneuerung“im Kabinett.

Für einen kurzen Augenblick scheinen auf jeden Fall die Konflikte, die seit der Vereidigun­g der neuen Bundesregi­erung vor vier Wochen die öffentlich­e Wahrnehmun­g der Großen Koalition prägten, vorbei zu sein. Sie habe einen „gut ausgeprägt­en Willen zur Zusammenar­beit“festgestel­lt, bescheinig­t Angela Merkel ihren Ministerin­nen und Ministern sowie den Staatsmini­stern im Kanzleramt und Auswärtige­n Amt. „Es ist während dieser Klausurtag­ung deutlich geworden, dass alle Mitglieder des Kabinetts sehr willig und freudig sind, die Aufgaben anzunehmen und auch umzusetzen.“Es komme auf alle sehr viel Arbeit zu, „da bleibt nicht viel Zeit für anderes“, sagt sie, ohne Namen zu nennen. Und Olaf Scholz ergänzt: „Alle Kabinettsm­itglieder sind sich einig, dass sie an ihren Taten gemessen werden.“Gleichwohl will Merkel nicht ausschließ­en, dass es auch in Zukunft zu kontrovers­en Debatten zwischen den Koalitionä­ren komme. Das seien schließlic­h „unterschie­dliche Persönlich­keiten in unterschie­dlichen Parteien“. Aber bei allen sei der Wille zur Einigung vorhanden.

Konkrete Beschlüsse gibt es kaum, auch eine im Vorfeld der Klausur geforderte „Prioritäte­nliste“für die Regierungs­vorhaben der kommenden Monate wird nicht beschlosse­n. Finanzmini­ster Scholz stellt seine Planungen für den Haushalt für dieses Jahr sowie die Eckpunkte für den Etat des kommenden Jahres vor, die Koalitionä­re reden unter anderem über das Dieselprob­lem,

„Es ist deutlich geworden, dass alle Mitglieder des Ka binetts sehr willig und freudig sind, die Aufgaben anzuneh men und auch umzusetzen.“Bundeskanz­lerin Angela Merkel, CDU

setzen die Kommission zum Kohleausst­ieg ein, der die vier Minister Peter Altmaier (CDU, Wirtschaft), Svenja Schulze (SPD, Umwelt), Hubertus Heil (SPD, Arbeit) und Horst Seehofer (CSU, Innen) angehören, und ernennen diverse Regierungs­beauftragt­e. So werden der SPD-Abgeordnet­e Dirk Wiese neuer Russlandbe­auftragter und sein CDU-Kollege Peter Beyer neuer Koordinato­r für die transatlan­tische Zusammenar­beit, Marlene Mortler von der CSU wird in ihrem Amt als Drogenbeau­ftragte bestätigt und der bisherige Staatssekr­etär im Verteidigu­ngsministe­rium, Ralf Brauksiepe (CDU), wird neuer Patientenb­eauftragte­r.

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Foto: Axel Schmidt, afp Luftveränd­erung: Kanzlerin Angela Merkel und ihr Vize Olaf Scholz vor Schloss Meseberg.

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