Friedberger Allgemeine

Der Tag, an dem er die AfD verließ

Vor fünf Jahren hat Thomas Lis die Augsburger AfD mitgegründ­et. Doch dann kam alles anders als erwartet

- VON MICHAEL STIFTER

Augsburg Thomas Lis sitzt im Café seines Vertrauens und nimmt noch einen Schluck Latte macchiato. „Nein“, sagt er dann, „Schuldgefü­hle habe ich keine.“Vor fünf Jahren hat er die Augsburger AfD gegründet, obwohl er eigentlich nie in die Politik wollte. Es ist der Beginn einer Erfolgsges­chichte mit unschönem Ende. Lis wird Chef der neuen Stadtratsf­raktion und steigt sogar zum Parteivize in Bayern auf. Die AfD ist damals die Stimme der Wirtschaft­sprofessor­en, die sich gegen die vermeintli­ch alternativ­lose Euro-Rettungspo­litik auflehnen.

Bernd Lucke und Hans-Olaf Henkel geben den Ton an. Es ist ein Ton, der Lis gefällt. Noch ahnt er nicht, dass die Gründungsv­äter der AfD bald Geschichte sein werden. Schon früh versuchen Wutbürger vom rechten Flügel, die junge Partei zu kapern. „Wir waren damals viel zu naiv und der Auseinande­rsetzung mit Ellbogen und Intrigen nicht gewachsen“, sagt Lis, wenn er an diese Zeit zurückdenk­t. Nach und nach seien die vernünftig­en Leute von radikalen Kräften herausgedr­ängt worden, die den politische­n Kampf besser beherrscht­en. Anfangs versucht die bayerische AfD noch dagegenzuh­alten. Sie initiiert Parteiauss­chlussverf­ahren gegen Alexander Gauland und Björn Höcke, die Galionsfig­uren des rechten Randes. „Aber wir hatten keine Chance“, erinnert sich Lis.

Er fühlt sich damals immer unwohler, wird von den eigenen Leuten angefeinde­t: „Irgendwann war ich nur noch der Linksliber­ale – und das galt in der sich wandelnden AfD ja schon als Schimpfwor­t.“Gauland hat nicht vergessen, dass Lis und andere ihn hinauswerf­en wollten. Auf Parteivera­nstaltunge­n begrüßt er den Augsburger jetzt als „Feind aus Bayern“. Längst geht das nicht mehr als lockerer Spruch unter Parteifreu­nden durch. Der Ton in der AfD verschärft sich, die Positionen werden radikaler. Im Sommer 2015 ist die Sache für Thomas Lis gelaufen. Er ist live dabei, als der rechte Flügel – angeführt von Frauke Petry – Lucke auf dem Essener Parteitag vom Hof jagt. „Das war ein brüllender Mob“, erzählt der 55-Jährige. Noch heute schüttelt er den Kopf, wenn er über die Wut spricht, die dem Parteigrün­der und seinen Unterstütz­ern entgegensc­hlug. „In diesem Moment habe ich gewusst, dass ich die AfD verlassen muss“, sagt er. Noch vor dem Ende des turbulente­n Parteitags fährt er nach Hause. Kurz darauf tritt er aus der Partei und der Augsburger Stadtratsf­raktion aus.

Seitdem verfolgt Lis die Entwicklun­g der AfD aus der Distanz und mit gemischten Gefühlen. Er erlebt, wie Petry ausgerechn­et von jenen Leuten weggeputsc­ht wird, die sie selbst erst stark gemacht hat. Wie der einstige Wirtschaft­sliberale Jörg Meuthen sich selbst radikalisi­ert, um an der Spitze zu bleiben. Und wie sein Intimfeind Gauland als Fraktionsv­orsitzende­r im Bundestag zum wütenden Gesicht der AfD wird. Wie es so weit kommen konnte, ist für Lis noch immer schwer zu erklären. „Diese Leute waren einfach härter als wir“, sagt er. Gauland verfolgt aus seiner Sicht vor allem ein Ziel: „Er will sich an der CDU rächen.“Und Parteichef Meuthen? „Der genießt die große Bühne. Dafür sind ihm alle Mittel recht“, sagt Lis und gibt zu, dass es auch für ihn selbst ein gutes Gefühl gewesen ist, plötzlich im Mittelpunk­t zu stehen. Es sei schwer, dagegen anzukämpfe­n.

„Ich habe geholfen, ein Monster zu schaffen“, hat Hans-Olaf Henkel einmal über die AfD gesagt. Lis versteht gut, dass sein einstiger Mitstreite­r verbittert ist. Er selbst scheint aber seinen Frieden gemacht zu haben, auch wenn einige Narben geblieben sind. Mit dem einzig verblieben­en AfD-Mann im Stadtrat würde er jedenfalls kein Bier mehr trinken gehen – „auf keinen Fall“.

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Archivfoto: Anne Wall Thomas Lis ist im Jahr 2015 aus der AfD ausgetrete­n.

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