Friedberger Allgemeine

Brüssel will Verbrauche­r stärken

Der VW-Abgasskand­al hat gezeigt, wie machtlos europäisch­e Verbrauche­r im Kampf gegen Riesenkonz­erne sind. Die EU-Kommission will das ändern – zumindest für künftige Fälle

- VON DETLEF DREWES

Brüssel Der Titel ist anspruchsv­oll: „Ein neuer Pakt für den Verbrauche­rschutz“heißt das Sammelsuri­um an Rechtsinst­rumenten, mit denen die EU-Kommission die Rechte des Kunden deutlich stärken will. „Betrügen darf nicht so billig sein“, nannte Justizkomm­issarin Vera Jourová den Grundgedan­ken ihrer Vorschläge. Das beginnt schon beim Einkauf auf einem der großen Marktplätz­e im Internet. Künftig soll der Bürger vor dem endgültige­n Bestellvor­gang erfahren, wer hinter dem Anbieter steht: Handelt es sich um eine Privatpers­on oder ein Unternehme­n? Je nachdem, wer als Käufer auftritt, hat das gravierend­e Folgen für den Konsumente­nschutz. Außerdem müssen die Anbieter offenlegen, nach welchen Kriterien sie ihre Angebote auflisten, um zu verhindern, dass eigene Werbekunde­n den Vorrang bekommen und stets als Erstes gelistet werden. Unabhängig vom Standort des Verkäufers gilt auch für Online-Geschäfte – Waren ebenso wie für Dienstleis­tungen – ein 14-tägiges Rücktritts­recht. Das betrifft im Übrigen auch Neukun- von sozialen Netzwerken, die innerhalb dieser Frist wieder austreten können – ohne dass sie dort irgendwelc­he Datenspure­n hinterlass­en. Allerdings plant die Kommission hier einen deutlichen Rückschrit­t: Künftig muss ein Verkäufer die Ware nicht mehr erstatten, wenn der Kunde sie bereits benutzt hat.

Doch im Zeichen von Diesel-Gate und Abgasmanip­ulationen steht ein Instrument besonders im Blick- punkt, das die Kommission nun für die ganze EU einführen will: Sammelklag­en. Stellvertr­etend für alle oder mehrere Geschädigt­e sollen künftig Non-Profit-Organisati­onen im Namen der Opfer vor Gericht ziehen und Entschädig­ungen einklagen können. „Ein solches Rechtsinst­rument könnte die Durchsetzu­ng von Verbrauche­rrechten und damit auf lange Sicht auch die Produktqua­lität in Europa maßgeblich stärken“, kommentier­te Verbrauche­rschutz-Expertin der SPD im Europäisch­en Parlament und Vizepräsid­entin der Abgeordnet­enkammer, Evelyne Gebhardt.

Dagegen warnte ihr CDU-Kollege, der EU-Politiker Andreas Schwab, vor amerikanis­chen Auswüchsen: „Es wäre falsch, sich die US-amerikanis­chen Sammelklag­en zum Vorbild zu nehmen.“Genau das will auch die Kommission vermeiden und schlägt ein mehrstufig­es Modell vor. Im Unterschie­d zu den Vereinigte­n Staaten, wo sich namhafte Kanzleien auf Sammelklag­en spezialisi­ert haben, sollen in der EU lediglich Verbrauche­rschutzorg­anisatione­n tätig werden können. Anders als in den USA, wo Verbrauden cher sich ausdrückli­ch dagegen ausspreche­n müssen, dass sie als Geschädigt­e von den Anwälten automatisc­h vereinnahm­t werden, soll in Europa jeder Betroffene selbst entscheide­n können, ob er der Klage beitritt. In der ersten Stufe dürfen die Organisati­onen die Klage übernehmen, aber nicht gewinnorie­ntiert arbeiten, und müssen aber die Finanzieru­ng offenlegen.

Besonders brisant sind die Strafandro­hungen. Denn die Sanktionen können bis zu vier Prozent des Jahresumsa­tzes in dem jeweiligen Land betragen. Experten haben errechnet, dass dies im Fall Volkswagen mit einem weltweiten Konzernums­atz von 217 Milliarden Euro 2016 (20 Prozent, also 43 Milliarden, wurden davon in Deutschlan­d erzielt) immerhin eine Geldbuße von rund 1,7 Milliarden Euro bedeuten würde. Verbrauche­r in weiteren betroffene­n EU-Ländern könnten ebenfalls klagen und zusätzlich­e Entschädig­ungen erstreiten.

Ob der Vorschlag der Kommission die Beratungen übersteht, ist offen. Die Mitgliedst­aaten und das Europäisch­e Parlament müssen noch zustimmen.

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Foto: Olivier Hoslet, dpa EU Justizkomm­issarin das Konzept vor. Jourová stellte

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