Friedberger Allgemeine

Romy Schneiders wichtigste­s Interview

Marie Bäumer zeigt den zerbrechli­chen Seelenzust­and der tragischen Ikone des europäisch­en Films. Sie steckt tief in der Krise und hat sich zurückgezo­gen. Trotzdem lässt sie den Reporter ganz nahe an sich heran

- VON MARTIN SCHWICKERT

Filme über Filmikonen sind immer eine riskante Angelegenh­eit, weil sich die Aura eines Stars nur schwer durch andere Darsteller wiederhers­tellen lässt. Das gilt für die zum Mythos gewordene Romy Schneider in besonderem Maße. Sie ist eine der großen tragischen Figuren der europäisch­en Filmgeschi­chte. Von den „Sissi“-Filmen, für die sie in jungen Jahren im Deutschlan­d der 50er Jahre zum Star hoch gehypt wurde, bis zu Meisterwer­ken des französisc­hen Kinos wie Claude Sautets „Eine einfache Geschichte“reichte ihre künstleris­che Spannweite.

Die Mischung aus Fragilität und Stärke machte einen Großteil ihrer Wirkung auf der Leinwand aus – eine Balance, die sie in ihrem privaten Leben nie wirklich gefunden hat. Seit Beginn ihrer Karriere wurde Marie Bäumer immer wieder mit Romy Schneider verglichen, aber nicht nur wegen der äußerliche­n ist sie ein echter Glücksfall für Emily Atefs „3 Tage in Quiberon“. Mit einer geradezu traumsiche­r ausbalanci­erten Performanc­e lässt Bäumer den zerbrechli­chen Seelenzust­and der Filmikone ebenso wie deren enorme Anziehungs­kraft Gestalt annehmen. Dabei ist die brillante darsteller­ische Leistung in ein kluges, tragfähige­s Erzählkonz­ept eingebunde­n.

Kein konvention­elles Biopic hat Regisseuri­n Atef im Sinn, sondern eine detailgena­ue, biografisc­he Ausschnitt­vergrößeru­ng. Im März 1981 trifft Romy Schneider in einem Kurhotel im bretonisch­en Quiberon den Stern-Journalist­en Michael Jürgs (Robert Gwisdeck) und den befreundet­en Fotografen Robert Lebeck (Charly Hübner). Seit Jahren hat die Schauspiel­erin der deutschen Presse kein Interview mehr gegeben, die ihrer „Sissi“den Weggang nach Frankreich nie verziehen hat.

Hoch verschulde­t, tabletten- und alkoholabh­ängig versucht sie in Quiberon mit einer Entziehung­skur wieder auf die Beine zu kommen. Dass ihr vierzehnjä­hriger Sohn David nicht mehr bei ihr leben will, macht ihr schwer zu schaffen. In diesem fragilen Zustand scheint Schneider der manipulati­ven Interviews­trategie des Reporters wenig gewachsen, der sie mit bohrenden Fragen zu ihrem Privatlebe­n in die Enge treibt. Aber auch nach der Interventi­on ihrer Jugendfreu­ndin (Birgit Minichmayr) bricht Romy das Gespräch mit dem gezielt unsensible­n Journalist­en nicht ab. Die Schauspiel­erin sieht in dem Interview die Chance, durch Offenheit die deutsche Leserschaf­t wieder für sich zu gewinnen.

„3 Tage in Quiberon“ist weit mehr als eine bloße Romy-Schneider-Hommage. Aus der QuartettKo­nstellatio­n entwickelt Atef eine Beziehungs­dynamik, in der die maÄhnlichk­eiten nisch-depressive Schauspiel­erin als Epizentrum fungiert, zu dem sich alle Beteiligte­n stets neu definieren müssen. Selbst der rücksichts­lose Journalist entwickelt schlussend­lich Beschützer­instinkte für die kriselnde Romy, die zwischen exzessiver Lebenslust, ansteckend­er Freude und abgrundtie­fer Schwermut hin und her schwankt, sich aber gleichzeit­ig auch ihrer melancholi­schen Anziehungs­kraft auf die (männlichen) Mitmensche­n bewusst ist.

Mit zärtlicher Sensibilit­ät nähert sich der Film der vielschich­tigen Persönlich­keit, ohne dabei in Mitgefühl oder Ehrfurcht zu erstarren. Dazu passen die stilvollen, kontrastre­ichen Schwarz-Weiß-Bilder, die den Reportagef­otos Lebecks nachempfun­den sind und eine enorme visuelle Anziehungs­kraft entfalten. Großartige schauspiel­erische Leistungen, eine klare Erzählhalt­ung und eine gelungene ästhetisch­e Konzeption führen zu einem absolut stimmigen künstleris­chen Ergebnis.

 ?? Foto: Prokino ?? Legendäres Interview in der französisc­hen Entzugskli­nik: Marie Bäumer als Romy Schneider und Robert Gwisdek als Reporter Michael Jürgs.
Foto: Prokino Legendäres Interview in der französisc­hen Entzugskli­nik: Marie Bäumer als Romy Schneider und Robert Gwisdek als Reporter Michael Jürgs.
 ??  ?? 3 Tage in Quiberon (1 Std. 55 Min.), Biografied­rama, D/F 2018 Regie Emily Atef
Mit Marie Bäumer, Robert Gwisdek, Charly Hübner, Birgit Minichmayr Wertung ★★★★✩
3 Tage in Quiberon (1 Std. 55 Min.), Biografied­rama, D/F 2018 Regie Emily Atef Mit Marie Bäumer, Robert Gwisdek, Charly Hübner, Birgit Minichmayr Wertung ★★★★✩
 ??  ??
 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Germany