SPD Chefin Nahles startet mit Dämpfer
Die Favoritin kassiert eines der schlechtesten Ergebnisse der Parteigeschichte
Wiesbaden Andrea Nahles ist am Ziel. Die SPD hat sie zur Vorsitzenden gewählt – als erste Frau in der 155-jährigen Geschichte der Partei. Doch damit sind die guten Nachrichten für die neue Chefin auch schon erzählt. Die weniger erfreuliche Erkenntnis des Parteitags für Nahles: Ein Drittel der Sozialdemokraten verweigert ihr die Gefolgschaft. Möglicherweise haben manche Genossen bei der Abstimmung das 100-Prozent-Ergebnis für Martin Schulz im Hinterkopf, das für den Ex-Chef im Bundestagswahlkampf mehr zur Bürde als zum Energieschub wurde. Vielleicht sind sie auch schlicht nicht überzeugt davon, dass ausgerechnet Nahles die Dauermisere beenden und einen Neuanfang verkörpern kann – schließlich gehört sie schon seit vielen Jahren zum Establishment der SPD.
In ihrer kämpferischen Bewerbungsrede auf dem Wiesbadener Parteitag geht sie auf solche Bedenken ein und betont, im Erneuerungsprozess dürfe man zumindest gedanklich „keinen Stein auf dem anderen lassen“. Nahles will ihre eigene Geschichte erzählen, die Geschichte eines langen Wegs bis ganz nach oben. So etwas mögen die Genossen. „Katholisch, Arbeiterkind, Mädchen, Land – es war nicht unbedingt logisch, dass ich in der SPD Karriere machen werde“, sagt die Bewerberin. Sie grüßt vom Rednerpult ihre Mutter und verspricht zu beweisen, dass die Neuerfindung der Partei auch an der Regierung gelingen kann.
Bei der geheimen Wahl bekommt die Favoritin dann aber nur 66,35 Prozent der gültigen Stimmen. Seit dem Zweiten Weltkrieg hat nur Oskar Lafontaine einmal ein schwächeres Ergebnis erzielt. Allerdings kann man das nur bedingt vergleichen, schließlich trat er 1995 spontan gegen den damaligen Amtsinhaber Rudolf Scharping an.
Und doch ist nun also die Zeit von Andrea Nahles gekommen. Sie löst Olaf Scholz ab, der den Vorsitz nach dem Schulz-Rücktritt vorübergehend übernommen hatte. Die 47-Jährige ist da, wo sie so lange hinwollte. Doch statt Rückenwind bekommt sie einen schweren Rucksack mit auf den weiteren Weg.
Der Chef der Linkspartei hat dafür eine Erklärung: „Erneuerung der SPD hieße, Kurs auf soziale Gerechtigkeit zu nehmen. Doch Scholz und Nahles stellen sich in die Tradition von Basta-Schröder und beharren auf der Agenda-Politik. So wird aus Hartz IV bestenfalls Nahles I“,
„Katholisch, Arbeiterkind, Mädchen, Land – es war nicht unbedingt logisch, dass ich in der SPD Karriere machen werde.“
Andrea Nahles
sagt Bernd Riexinger im Gespräch mit unserer Zeitung. „Wie die Erneuerung der SPD zu einer Politik des Weiter-so in der schwarz-roten Bundesregierung passt, ist fraglich“, konstatiert der Linken-Chef.
Optimistischer äußert sich ein politischer Konkurrent, den mit Nahles eine Art Hassliebe verbindet: Alexander Dobrindt hat sich schon heftige Wortgefechte mit der SPDKollegin geliefert, hinter den Kulissen arbeiten die beiden aber konstruktiv zusammen. „Andrea Nahles hat die Durchschlagskraft, die SPD wieder zu ordnen. Trotzdem: Ihre Herausforderung ist riesengroß“, sagt der CSU-Politiker unserer Zeitung und fügt hinzu: „Den Abwärtstrend der SPD zu stoppen, erfordert ein hohes Maß an Reformbereitschaft und den Willen, alte Zöpfe abzuschneiden.“
Im Leitartikel schreibt Bernhard Junginger über die Herausforderungen, vor denen die neue SPD-Vorsitzende nun steht. In der Politik erfahren Sie mehr über den historischen Parteitag in Wiesbaden.