Trauerfeier für Prügelopfer
Familie und Freunde nehmen bei Passau von dem 15-Jährigen Abschied, der nach einer Schlägerei gestorben ist. Ein Psychologe sieht einen bedrohlichen Wandel in der Streitkultur
Obernzell Am Eingang der Pfarrkirche St. Maria Himmelfahrt in Obernzell bei Passau steht eine schwarz gekleidete Frau, in ihrer Hand ein Stapel Karten. Mit einem Nicken drückt sie jedem Gottesdienstbesucher eine in die Hand. Auf der Karte sind zwei Fotos von Maurice K. abgebildet, einem blondhaarigen Jugendlichen mit Kopfhörern im Ohr. „Pfiat Eich… bis späda! Eia Maurice“, steht in kursiver Schrift daneben. Manchen Trauernden huscht beim Anblick des 15-Jährigen ein Lächeln über das Gesicht. Aber viele können die Fotos kaum anschauen, sie legen die Karte verkehrt herum auf die Kirchenbank vor ihnen.
Die Pfarrkirche in Maurice’ Heimatgemeinde ist am Samstagnachmittag rappelvoll. Familie, Freunde und Nachbarn drängen sich auf den Bänken. Einige müssen stehen. Die Urnenbeisetzung war schon am Vormittag im engsten Kreis. Nun wollen sie bei einem Trauergottesdienst in aller Öffentlichkeit Abschied nehmen von Maurice. Der Schüler hatte sich am vergangenen Montagabend mit einem Gleichaltrigen an einer Unterführung in Passau verabredet, um einen Streit auszutragen. Die Situation eskalierte. Maurice ging verletzt zu Boden und starb wenig später im Krankenhaus. Fünf Tatverdächtige im Alter von 15, 17, 21 und 25 Jahren sitzen in Untersuchungshaft. Für einen 14-Jährigen ordnete ein Haftrichter die Unterbringung in einer geschlossenen pädagogischen Einrichtung an. Allen wird Körperverletzung mit Todesfolge vorgeworfen.
„Ein blühendes Leben verschwand, wurde buchstäblich zu Boden getrampelt“, sagte Pfarrer Josef Remberger zu Beginn seiner Predigt. „Die Frage nach dem Warum kann niemand erklären.“Nach der Predigt ist es mucksmäuschenstill. Zwei Freundinnen des 15-Jährigen wagen sich nach vorne, sie haben ein Gedicht geschrieben: „Dear Maurice, ich will nur noch zu dir…“, sagt eine der beiden mit brüchiger Stimme.
Anlässlich der Tragödie in Passau hat sich der Münchner Psychologe Klaus Neumann zu einem seiner Ansicht nach deutlichen Wandel in der Streitkultur hin zu mehr Brutalität geäußert. Auch in Zeiten des Internets sei nicht ungewöhnlich, dass Streitereien persönlich ausgetragen werden. Jedoch: Wenn früher Streitende handgreiflich wurden, habe man aufgehört, wenn einer zu Boden ging, und man sei fair geblieben. Das habe sich in den vergangenen 30 bis 40 Jahren zunehmend verändert, sagte Neumann, Beauftragter für Kindeswohl und Kinderrechte im Berufsverband Deutscher Psychologen (BDP).
Der Psychologe spricht von Maßlosigkeit, Grenzenlosigkeit und Regellosigkeit. Als einen der Gründe für diese Entwicklung sieht Neumann die zunehmende Besinnung des Einzelnen auf sich selbst.