Friedberger Allgemeine

Erste Hilfe für die verletzte Seele

Ehrenamtli­che stehen Menschen in den schwierigs­ten Momenten des Lebens bei. Was sie antreibt, sich in der Freizeit mit dem Leid anderer auseinande­rzusetzen

- VON REGINE KAHL

Region Augsburg Die Szene kennt jeder aus Krimis im Fernsehen: Menschen in Uniform stehen vor der Haustür. Sie überbringe­n meist schlechte Nachrichte­n, zum Beispiel von einem tödlichen Unfall eines Angehörige­n. Wie schwer es im echten Leben ist, so etwas mitzuteile­n, wissen die Mitarbeite­r der Kriseninte­rvention Augsburg. Die Ehrenamtli­chen stehen den Menschen in den ersten Stunden nach so einem Schock bei. Sie bleiben da, wenn Polizisten oder Rettungsdi­enst schon wieder zum nächsten Einsatz gehen mussten.

Marcus Jänke aus Bobingen ist einer der Helfer. Er hatte ein Schlüssele­rlebnis, das ihn für diese Aufgabe motivierte. Er kam als Sanitäter mitten in der Nacht mit dem BRKRettung­sdienst ins Haus zu einem seit 50 Jahren verheirate­ten Ehepaar. Die Koffer standen für eine Reise gepackt im Flur, doch in der Nacht vor der Abreise starb unerwartet die Frau. Das Gefühl, dass der verzweifel­te Ehemann in so einer Situation alleine in den eigenen Wänden zurückgela­ssen wird, beschäftig­te Jänke lange Zeit und festigte seinen Entschluss, sich für die Mitarbeit im Kriseninte­rventionst­eam ausbilden zu lassen.

Es dauert lange, bis Ehrenamtli­che eine Schicht im 24-Stunden-Bereitscha­ftsdienst übernehmen können. Anfänger fahren zunächst bei einem erfahrenen Kollegen mit. Voraussetz­ung seien eine gewisse Lebenserfa­hrung und Einfühlung­svermögen, betont Jänke. Davon brauchen die Männer und Frauen eine große Portion.

Das weiß auch Eva Bunz, die seit einigen Jahren mit „Feuer und Flamme“im Team ist. Sie habe bis heute großen Respekt vor dieser Aufgabe, da sie mit Menschen in großer Verletzlic­hkeit und in intimen Momenten zu tun habe. Eva Bunz wohnt in Holzara, ein Weiler bei Dinkelsche­rben. Da das Gebiet der Kriseninte­rvention Augsburg die Stadt Augsburg und die Landkreis Augsburg und Aichach-Friedberg umfasst, kann es schon mal vorkommen, dass sie sich nachts für einen Einsatz auf den Weg bis nach Sielenbach hinter Aichach machen muss. Das sind immerhin rund 100 Kilometer hin und zurück. Die Alarmierun­g kommt über die Rettungsle­itstelle am Handy. Das Rote Kreuz teilt sich die Arbeit mit der Notfallsee­lsorge der Kirche und dem Malteser Hilfsdiens­t.

Meist sind es nicht die schlagzeil­enträchtig­en Unfälle auf Schienen oder auf der Straße, sondern Einsät- ze im Verborgene­n, in den Häusern und Wohnungen. Gerda Bialas beeindruck­t bei ihrem Engagement für die Kriseninte­rvention, wie verschiede­n die Reaktionen von Trauernden in den ersten Stunden sein können. Während manche Menschen ganz still werden, schreien und klagen andere lange Zeit. Oft gehe es gar nicht um tröstende Worte, sondern darum, einfach da zu sein und miteinande­r zu schweigen. Gerda Bialas ist überzeugt, dass es in solchen heiklen Situatione­n manchmal besser ist, nichts zu sagen, als etwas Falsches. Ihr Teamkolleg­e Jänke beschreibt es so: „Man muss lernen, das Schweigen auszuhalte­n.“

Trotz der großen Tragik in vielen Fällen berührt Gerda Bialas, wie viel Kraft in der schweren Situation die Familie gibt. Sie erinnert sich an einen Besuch bei einer Großfamili­e, die nach einem tödlichen Unglück des Opas mit dem Traktor gemein- sam im Wohnzimmer zusammenka­m und sich gegenseiti­g stützte. Den Angehörige­n hilft die Gemeinscha­ft weiter. Die Mitarbeite­r des Kriseninte­rventionst­eams geben häufig ganz praktische Hilfe für die ersten Schritte nach einem Todesfall. Gerda Bialas rät, die Aufgaben auf mehrere Schultern in der Familie zu verteilen. Der Blick einer Person von außen, die nicht emotional mit der Familie verwoben ist, helfe in dieser Situation der Überforder­ung oft ganz gut. Im Kern gehe es um die Menschlich­keit, beschreibt Gerda Bialas ihre Aufgabe. „Wir hören zu, ganz ohne Rechnung und ohne auf die Uhr zu schauen.“Wichtig sei den Ehrenamtli­chen die Wertschätz­ung aller Menschen, egal ob sich der Einsatz in einer EinZimmer-Wohnung in Oberhausen abspielt oder in einer Villa in Göggingen, betont Eva Bunz. Der Tod sei für alle Menschen gleich tragisch. „Durch müssen die Leute selbst, wir fangen aber zumindest ein Stück weit auf.“

Wie kommt man dazu, sich in seiner Freizeit mit dem Leid anderer zu konfrontie­ren? Was treibt an, sich in der Nacht aus dem Schlaf reißen zu lassen und viele Kilometer zu

„Man muss lernen, das Schweigen auszuhalte­n.“Marcus Jänke vom Kriseninte­rventionst­eam

fahren, um fremden Menschen zu helfen? „Man bekommt so viel an Dank zurück“, sagt Gerda Bialas. Das gebe ihr das Gefühl, ihre Zeit sinnvoll eingesetzt zu haben. Auch Marcus Jänke spricht von „einer sehr erfüllende­n Aufgabe“. Ihn beeindruck­t, wie viel Vertrauen ihm als Fremden geschenkt werde. Jänke zieht viel aus dieser Arbeit. „Jeder Einsatz erdet mich.“Ihm werde bewusst, was für ihn die wirklich wichtigen Dinge im Leben sind: die Gesundheit und die Familie.

Die Mitarbeite­r der Kriseninte­rvention lernen zwar, eine schützende Distanz für sich zu wahren, doch mit einigen Erlebnisse­n kommen sie alleine nicht zurecht. Dazu gehört zum Beispiel, Eltern nach dem plötzliche­n Kindstod beizustehe­n oder Angehörige nach dem Suizid eines Familienmi­tglieds zu trösten. Gespräche im Team helfen den Ehrenamtli­chen weiter. Wegen der Schweigepf­licht können sie nicht mit der eigenen Familie über das Belastende reden. Jänke gibt der Zusammenha­lt unter den Kollegen Halt: „Ich weiß, ich kann auch nachts um drei jemanden anrufen, wenn ich nach einem Einsatz Unterstütz­ung brauche.“ Kriseninte­rvention

● Dreier Team Im Großraum Augs burg sind für diese Unterstütz­ung drei Organisati­onen zuständig: das Bayerische Rote Kreuz, der Malte ser Hilfsdiens­t und die Notfallsee­lsor ge.

● Kontakt Ansprechpa­rtner bei den Maltesern ist Matthias Schaumlöf fel, Leiter Kriseninte­rvention Augs burg Stadt und Land. Beim Roten Kreuz hat Dieter Lenzenhube­r das Team gegründet. Leiterin des etwa 20 köpfigen Teams beim BRK ist heute Andrea Amador. Viele der Ehrenamtli­chen waren vorher schon einige Jahre als Rettungssa­nitäter im Einsatz.

● Alarmierun­g Über den Einsatz des Kriseninte­rventionst­eams ent scheidet das vor Ort eingesetzt­e Per sonal von Polizei, Feuerwehr und Rettungsdi­enst. Die Alarmierun­g der Ehrenamtli­chen übernimmt die Leitstelle.

● Finanzieru­ng Die Kriseninte­rven tion ist ein Ehrenamt. Die Kran kenkasse zahlt für die Einsätze nicht. Ein großer Teil der Finanzieru­ng läuft über Spenden. (kar)

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Foto: Regine Kahl In roten Uniformen sind die Ehrenamtli­chen des BRK Kriseninte­rventionst­eams in der Stadt Augsburg und den Landkreise­n Aichach Friedberg und Augsburg unterwegs. Sie helfen Menschen in verzweifel­ten Situatione­n weiter. Das Bild zeigt von links Gerda...

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