Erste Hilfe für die verletzte Seele
Ehrenamtliche stehen Menschen in den schwierigsten Momenten des Lebens bei. Was sie antreibt, sich in der Freizeit mit dem Leid anderer auseinanderzusetzen
Region Augsburg Die Szene kennt jeder aus Krimis im Fernsehen: Menschen in Uniform stehen vor der Haustür. Sie überbringen meist schlechte Nachrichten, zum Beispiel von einem tödlichen Unfall eines Angehörigen. Wie schwer es im echten Leben ist, so etwas mitzuteilen, wissen die Mitarbeiter der Krisenintervention Augsburg. Die Ehrenamtlichen stehen den Menschen in den ersten Stunden nach so einem Schock bei. Sie bleiben da, wenn Polizisten oder Rettungsdienst schon wieder zum nächsten Einsatz gehen mussten.
Marcus Jänke aus Bobingen ist einer der Helfer. Er hatte ein Schlüsselerlebnis, das ihn für diese Aufgabe motivierte. Er kam als Sanitäter mitten in der Nacht mit dem BRKRettungsdienst ins Haus zu einem seit 50 Jahren verheirateten Ehepaar. Die Koffer standen für eine Reise gepackt im Flur, doch in der Nacht vor der Abreise starb unerwartet die Frau. Das Gefühl, dass der verzweifelte Ehemann in so einer Situation alleine in den eigenen Wänden zurückgelassen wird, beschäftigte Jänke lange Zeit und festigte seinen Entschluss, sich für die Mitarbeit im Kriseninterventionsteam ausbilden zu lassen.
Es dauert lange, bis Ehrenamtliche eine Schicht im 24-Stunden-Bereitschaftsdienst übernehmen können. Anfänger fahren zunächst bei einem erfahrenen Kollegen mit. Voraussetzung seien eine gewisse Lebenserfahrung und Einfühlungsvermögen, betont Jänke. Davon brauchen die Männer und Frauen eine große Portion.
Das weiß auch Eva Bunz, die seit einigen Jahren mit „Feuer und Flamme“im Team ist. Sie habe bis heute großen Respekt vor dieser Aufgabe, da sie mit Menschen in großer Verletzlichkeit und in intimen Momenten zu tun habe. Eva Bunz wohnt in Holzara, ein Weiler bei Dinkelscherben. Da das Gebiet der Krisenintervention Augsburg die Stadt Augsburg und die Landkreis Augsburg und Aichach-Friedberg umfasst, kann es schon mal vorkommen, dass sie sich nachts für einen Einsatz auf den Weg bis nach Sielenbach hinter Aichach machen muss. Das sind immerhin rund 100 Kilometer hin und zurück. Die Alarmierung kommt über die Rettungsleitstelle am Handy. Das Rote Kreuz teilt sich die Arbeit mit der Notfallseelsorge der Kirche und dem Malteser Hilfsdienst.
Meist sind es nicht die schlagzeilenträchtigen Unfälle auf Schienen oder auf der Straße, sondern Einsät- ze im Verborgenen, in den Häusern und Wohnungen. Gerda Bialas beeindruckt bei ihrem Engagement für die Krisenintervention, wie verschieden die Reaktionen von Trauernden in den ersten Stunden sein können. Während manche Menschen ganz still werden, schreien und klagen andere lange Zeit. Oft gehe es gar nicht um tröstende Worte, sondern darum, einfach da zu sein und miteinander zu schweigen. Gerda Bialas ist überzeugt, dass es in solchen heiklen Situationen manchmal besser ist, nichts zu sagen, als etwas Falsches. Ihr Teamkollege Jänke beschreibt es so: „Man muss lernen, das Schweigen auszuhalten.“
Trotz der großen Tragik in vielen Fällen berührt Gerda Bialas, wie viel Kraft in der schweren Situation die Familie gibt. Sie erinnert sich an einen Besuch bei einer Großfamilie, die nach einem tödlichen Unglück des Opas mit dem Traktor gemein- sam im Wohnzimmer zusammenkam und sich gegenseitig stützte. Den Angehörigen hilft die Gemeinschaft weiter. Die Mitarbeiter des Kriseninterventionsteams geben häufig ganz praktische Hilfe für die ersten Schritte nach einem Todesfall. Gerda Bialas rät, die Aufgaben auf mehrere Schultern in der Familie zu verteilen. Der Blick einer Person von außen, die nicht emotional mit der Familie verwoben ist, helfe in dieser Situation der Überforderung oft ganz gut. Im Kern gehe es um die Menschlichkeit, beschreibt Gerda Bialas ihre Aufgabe. „Wir hören zu, ganz ohne Rechnung und ohne auf die Uhr zu schauen.“Wichtig sei den Ehrenamtlichen die Wertschätzung aller Menschen, egal ob sich der Einsatz in einer EinZimmer-Wohnung in Oberhausen abspielt oder in einer Villa in Göggingen, betont Eva Bunz. Der Tod sei für alle Menschen gleich tragisch. „Durch müssen die Leute selbst, wir fangen aber zumindest ein Stück weit auf.“
Wie kommt man dazu, sich in seiner Freizeit mit dem Leid anderer zu konfrontieren? Was treibt an, sich in der Nacht aus dem Schlaf reißen zu lassen und viele Kilometer zu
„Man muss lernen, das Schweigen auszuhalten.“Marcus Jänke vom Kriseninterventionsteam
fahren, um fremden Menschen zu helfen? „Man bekommt so viel an Dank zurück“, sagt Gerda Bialas. Das gebe ihr das Gefühl, ihre Zeit sinnvoll eingesetzt zu haben. Auch Marcus Jänke spricht von „einer sehr erfüllenden Aufgabe“. Ihn beeindruckt, wie viel Vertrauen ihm als Fremden geschenkt werde. Jänke zieht viel aus dieser Arbeit. „Jeder Einsatz erdet mich.“Ihm werde bewusst, was für ihn die wirklich wichtigen Dinge im Leben sind: die Gesundheit und die Familie.
Die Mitarbeiter der Krisenintervention lernen zwar, eine schützende Distanz für sich zu wahren, doch mit einigen Erlebnissen kommen sie alleine nicht zurecht. Dazu gehört zum Beispiel, Eltern nach dem plötzlichen Kindstod beizustehen oder Angehörige nach dem Suizid eines Familienmitglieds zu trösten. Gespräche im Team helfen den Ehrenamtlichen weiter. Wegen der Schweigepflicht können sie nicht mit der eigenen Familie über das Belastende reden. Jänke gibt der Zusammenhalt unter den Kollegen Halt: „Ich weiß, ich kann auch nachts um drei jemanden anrufen, wenn ich nach einem Einsatz Unterstützung brauche.“ Krisenintervention
● Dreier Team Im Großraum Augs burg sind für diese Unterstützung drei Organisationen zuständig: das Bayerische Rote Kreuz, der Malte ser Hilfsdienst und die Notfallseelsor ge.
● Kontakt Ansprechpartner bei den Maltesern ist Matthias Schaumlöf fel, Leiter Krisenintervention Augs burg Stadt und Land. Beim Roten Kreuz hat Dieter Lenzenhuber das Team gegründet. Leiterin des etwa 20 köpfigen Teams beim BRK ist heute Andrea Amador. Viele der Ehrenamtlichen waren vorher schon einige Jahre als Rettungssanitäter im Einsatz.
● Alarmierung Über den Einsatz des Kriseninterventionsteams ent scheidet das vor Ort eingesetzte Per sonal von Polizei, Feuerwehr und Rettungsdienst. Die Alarmierung der Ehrenamtlichen übernimmt die Leitstelle.
● Finanzierung Die Kriseninterven tion ist ein Ehrenamt. Die Kran kenkasse zahlt für die Einsätze nicht. Ein großer Teil der Finanzierung läuft über Spenden. (kar)