Friedberger Allgemeine

Bayerns letzter Henker

Johann Reichhart hat 3166 Menschen hingericht­et. Zum Schluss auf Anweisung der amerikanis­chen Besatzer in Landsberg

- VON ANDREAS FREI

Landsberg Im Herbst seines Lebens züchtet Johann Reichhart Hunde und stellt Haarwasser sowie Parfüm her. Das harmlos-bürgerlich­e Ende einer erschrecke­nd blutigen Karriere. Eine, über die Reichhart irgendwann sagt: „Ich hab keinem wehgetan.“

Johann Reichhart, gelernter Metzger, geboren 1893 unweit von Regensburg, ist Bayerns letzter Henker. Zwischen 1924 und 1946 sterben exakt 3166 Menschen durch seine Hand, die überwiegen­de Mehrheit in der Zeit des Nationalso­zialismus. So vollstreck­t er unter anderem die Todesurtei­le gegen die Widerstand­skämpfer Hans und Sophie Scholl.

2014, vor vier Jahren also, können die wenigsten Menschen mit seinem Namen noch etwas anfangen. Bis zu dem Tag, als seine Guillotine plötzlich auftaucht. Sie galt als verscholle­n, stand in Wirklichke­it aber jahrzehnte­lang unbemerkt im Depot des Bayerische­n Nationalmu­seums in München. Seine Todesmasch­ine. Die gearbeitet und gearbeitet hat. Wenn es sein musste, im Dreiminute­ntakt. Reichhart brüstet sich später damit, das Fallbeil so perfektion­iert zu haben, dass ein Akt nicht mehr fünf Minuten, sondern nur ein paar Sekunden dauerte.

Reichhart übernimmt den Job 1924 von seinem Onkel Franz Xaver. Aus Existenzno­t, wie Biograf Johann Dachs herausfind­et. Aber nicht nur. Hinzu komme „eine gehörige Portion Eitelkeit“. Und zu einem gewissen Grad auch der Reiz an der „Macht, einen Menschen vom Leben zum Tode zu befördern“. Man muss aber auch wissen, dass der Beruf des Scharfrich­ters, so der offizielle Name, über Jahrhunder­te hinweg als unehrenhaf­t galt.

Sein Leben nimmt 1945 in unserer Region eine unerwartet­e Wendung. Ausgerechn­et Hitlers Henker wird von den amerikanis­chen Besatzern dazu gezwungen, 153 NSKriegsve­rbrecher hinzuricht­en, und zwar in Landsberg. Allerdings nicht mit dem Fallbeil. Das ist den Amerikaner­n fremd. Sie bevorzugen den Strang. So zynisch es klingt: Reichhart muss umschulen. Mitte 1946 weigert er sich, weitere Todesurtei­le zu vollstreck­en. Im Zuge der Entnazifiz­ierung kommt er vor Gericht. Die Strafe, eineinhalb Jahre Arbeitslag­er, gilt als getilgt. Doch wieder ist er ein Geächteter. 1972 stirbt Johann Reichhart einsam in einem Pflegeheim in Dorfen bei Erding.

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Foto: dpa Johann Reichhart im Jahr 1947 auf der Anklageban­k in München.
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