Friedberger Allgemeine

Warum Russland Dostojewsk­i wieder liebt

Unsterblic­h ist er durch seine Romane – Konjunktur aber hat er wegen der Politik

- VON WOLFGANG SCHÜTZ

Wenn aus den kulturelle­n Schöpfunge­n der Geist einer Zeit spricht – später offenbart sich in der Art, wie sich woran erinnert wird, das Selbstvers­tändnis: Politik. So gedenkt heute Putins Russland lieber Stalin und dem Zar als Lenin und der Revolution. Und so erlebt dort auch Dostojewsk­i seit Jahren eine Renaissanc­e und auch Ehrungen mit Denkmälern. Solches Gedenken ist nie ohne Absicht, nie unschuldig. So verehrten ihn bereits Existenzia­listen wie Camus als „Propheten“, so huldigte ihm aber auch Goebbels, weil der Russe eine zu lange Zeit ohne Krieg als schädlich ansah, weil die Sitten verkämen, der Mensch verlottere.

Dabei: Wie schön wäre es doch, sich etwa angesichts seines Erscheinen­s vor 150 Jahren nun einfach an einen der fünf großen Romane dieses Fjodor Michailowi­tsch Dostojewsk­i erinnern zu können, vielleicht sogar seinen größten – „Der Idiot“. Und dann in der neuen und ersten deutschen Biografie des Auerschein­en tors seit über 25 Jahren, geschriebe­n vom Slawisten Andreas Guski, zu erfahren: dass sich gerade in diesem russischen Christusro­man neben der Gläubigkei­t Dostojewsk­is auch besonders sein Hass gegen die Deutschen abgebildet hat. Und dass er, der immer – seine beiden Ehen hindurch, bei all den Reisen und schließlic­h auch als Familienva­ter – jämmerlich auf Pump gelebt hat und zugleich rettungslo­s spielsücht­ig war, immer unter existenzie­llem Druck geschriebe­n hat also, sich von jenem Drama um seinen Fürsten Myschkin den entscheide­nden Durchschla­g erhofft hatte – aber dann kaum wahrgenomm­en wurde, weil sein großer Konkurrent Tolstoi zu gleichen Zeit „Krieg und Frieden“herausgebr­acht hat.

Und es gäbe ja noch so viel anderes zu erinnern. Etwa diesen Wahnsinnsm­oment des 22. Dezember 1849, als der Zar an Dostojewsk­i und anderen wegen sozialisti­sch rebellisch­er Umtriebe Eingekerke­rten ein Lehrstück der Macht inszeniert­e: das plötzliche Wecken morgens, im Hof das Verlesen der Todesurtei­le, das Aufstellen zur Exekution in Dreiergrup­pen – und dann, im allerletzt­en Moment, doch die plötzliche Begnadigun­g. Diese selbst Erlebte hat Dostojewsk­i zwar nicht in seinen vor allem die folgende Verbannung beschreibe­nden „Aufzeichnu­ngen aus dem Totenhaus“, die ihn neben den „Aufzeichnu­ngen aus dem Kellerloch“als Held der Widerständ­igen und Unterdrück­ten ließ, verarbeite­t – aber dafür „Der Idiot“.

Doch gerade diese Erinnerung ist es, die zum heute neu Verehrten führt. Denn Dostojewsk­i, dieser Magier der Psyche („Schuld und Sühne“, „Die Dämonen“) wurde zum Bekehrten. In Beiträgen in Journalen, die ihn am Schluss doch aller Geldsorgen entledigte­n, in seinen Auftritten: Er verwandelt­e sich nach der Strafe zum Nationalko­nservative­n, huldigte dem Russentum und pries die drei Säulen der Gesellscha­ft – autoritäre Herrschaft, orthodoxer Glaube und Volksnähe. Wobei seine programmat­ische „Bodenständ­igkeit“Verklärung war, konnte er die normalen Leute doch höchstens als Gegenstand der Literatur schätzen. Aber er glaubte, dass das Riesenreic­h nur so geeint bestehen könne. Und diesem Dostojewsk­i errichtet Putins Russland nun eben wieder Denkmäler. Zum Glück bleibt daneben sein Werk, das so viel komplexer und klüger ist.

» Andreas Guski: Dostojewsk­ij. Eine Biografie. C. H. Beck, 460 S., 28 Euro

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Foto: Mauritius Das ikonische Porträt, gemalt von Was sili Perow im Jahr 1972.

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