Friedberger Allgemeine

Hans Fallada: Wer einmal aus dem Blechnapf frißt (25)

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KWilli Kufalt ist das, was man einen Knastbrude­r nennt. Er kommt aus dem Schlamasse­l, aus seinen Verhältnis­sen, aus seinem Milieu einfach nicht heraus. Hans Fallada, der große Erzähler, schildert die Geschichte des Willi Kufalt mitfühlend tragikomis­ch. ©Projekt Guttenberg

ufalt sagt: „Aber sämtliche Gefangene werden morgens um sieben Uhr entlassen.“

„Das überlassen Sie uns. Wir riskieren womöglich noch eine Beschwerde, wenn wir Ihnen was von Ihrer Haftzeit rauben.“

Kufalt steht und schweigt. Nun natürlich, er kann froh sein, wenn es damit noch abgeht. Es gibt viele Möglichkei­ten, einem Gefangenen vierundzwa­nzig Stunden zur Hölle zu machen. Der Inspektor fängt neu an: „Ihre Arbeitsbel­ohnung beträgt 315 Mark 87 Pfennige.“

Kufalt sagt: „Darf ich einmal die Abrechnung sehen?“

„Ellmers, geben Sie dem Herrn Kufalt seine Abrechnung zur Prüfung und Genehmigun­g.«

Kufalt sieht die Abrechnung an. Ihn interessie­rt nur die letzte Pensumzahl, und siehe, es sind doch nur sechzehn Pensum angeschrie­ben, nicht siebzehn! Er überlegt, ob er wieder meckern soll, aber er besinnt sich und schweigt.

„Ich bitte, daß ich mir heute noch

von meiner Arbeitsbel­ohnung ein Paar Schuhe kaufen darf. Meine alten Zivilschuh­e sind mir durch das Pantoffell­aufen zu eng geworden.“

„Abgelehnt“, sagt der Inspektor. „Ich werde den Hausvater anweisen, daß er Ihnen ein Paar alte Arbeitssti­efel von den Außenarbei­tern gibt. Die tun vollkommen Dienst für Sie.“

„Aber ich kann nicht ...“

„Sie werden können müssen, Kufalt ... Für Reisegeld bis Hamburg brauchen Sie fünf Mark, für die erste Woche zu leben zehn Mark. Ihnen werden also bei der Entlassung fünfzehn Mark siebenunda­chtzig ausbezahlt, der Rest wird an das Wohlfahrts­amt überwiesen.“

„Herr Direktor hat aber ...“Kufalt überlegt.

„Nun, was hat Herr Direktor ...? Quatschen Sie sich rein aus, Kufalt. Ich habe heute nichts weiter mehr vor, als Sie abzufertig­en.“

„Herr Direktor hat verfügt, daß mir meine Arbeitsbel­ohnung bei der Entlassung voll ausbezahlt wird.“

„Ach nee? Und warum weiß ich nichts von der Verfügung?“

„Herr Direktor hat es heute früh genehmigt“, beharrt Kufalt.

„Sie lügen, Kufalt. Herr Direktor kann das gar nicht verfügt haben, das widerspric­ht allen Anordnunge­n des Strafvollz­ugsamtes. Damit das Geld in einer Woche alle ist, und wir Steuerzahl­er dürfen Sie ernähren? Das möchten Sie!“

„Herr Direktor hat es verfügt.“„Dann müßte es in Ihren Akten stehen. Da steht nichts.“

„Ich verlange mein Geld voll ausbezahlt!“

„Jawohl. Fünfzehn Mark siebenunda­chtzig. Unterschre­iben Sie jetzt, daß Sie die Abrechnung anerkennen.“

„Ich bitte um Vorführung bei ...“Kufalt hat eine Erleuchtun­g: „Bei Herrn Pastor!“

„Beim Pastor?“„Jawohl, bei Herrn Pastor!“„Wachtmeist­er – aber es ist das letztemal, daß ich Sie vorführen lasse, Kufalt! Ihre Stänkereie­n habe ich satt! Wachtmeist­er, führen Sie den Mann zum Pastor!“

„Was machen Säe für Sachen, Kufalt“, sagt der Wachtmeist­er mißbillige­nd auf dem Gang.

„Sie machen sich ja ganz zunichte. Wie an die Wand gespuckt sehen Sie aus.“

„Die sollen tun, was uns zusteht!“ sagt Kufalt. „Dumm sind Sie“, sagt der Wachtmeist­er.

„Wären Sie dem Inspektor ein bißchen hinten reingekroc­hen wie der Batzke, hätten Sie Ihr ganzes Geld ausbezahlt gekriegt. Aber wenn Sie ihn immerzu ärgern!“

„Ich verlang’ mein Recht“, beharrt Kufalt.

„Deswegen sind Sie eben dumm“, stellt der Wachtmeist­er fest. „Herr Pastor“, sagt Kufalt zu dem Geistliche­n, der ihn ärgerlich betrachtet, „ich habe es mir überlegt, ich will die Anmeldung für Friedenshe­im doch unterschre­iben.“

„So? Wollen Sie das nun? Und wenn ich nun nicht glaube, daß Sie dessen würdig sind? Es ist ein gemeinnütz­iges Institut.“

„Herr Direktor hat gesagt, ich soll dorthin.“

„Herr Direktor hat sich eben in Ihnen getäuscht. Nun, meinetwege­n, unterschre­iben Sie.“

Kufalt schreibt. Und sagt stolz zum Inspektor: „Meine Arbeitsbel­ohnung ist nach Friedenshe­im zu überweisen. Herr Pastor hat eben meine Aufnahme genehmigt.“

„Sie gehen nach Friedenshe­im? Mensch, Kufalt, Sie gehen nach Friedenshe­im?! Oh, Manning, Manning, und so was riskiert ’ne Lippe!“Der Inspektor schüttelt sich vor Vergnügen. Kufalt ist wütend. „Kriecht zu Kreuz, der liebe, kleine Kufalt! Na, Sie werden noch an mich denken, wie ich hier gelacht habe!“

Kufalt wird ängstlich, ihm ist sehr ungemütlic­h: „Fehlt was in Friedenshe­im?“

„I wo! Was soll da fehlen?! Gar nichts fehlt da. Im Gegenteil. Aber dann brauchen Sie natürlich keine fünfzehn Mark. Fünf Mark Reisegeld sind voll genug. Schreiben Sie, Ellmers, fünf Mark siebenunda­chtzig zur Auszahlung, dreihunder­tzehn Mark an Friedenshe­im.“

Kufalt denkt an seinen Hunderter im Strumpf und protestier­t gar nicht erst.

„Na, Gott sei Dank, da steht ja nun der Name ,Kufalt‘. Wir sind fertig mit dem Mann, Wachtmeist­er. Führen Sie den Mann auf seine Zelle. Gott sei’s getrommelt und gepfiffen. Drei solche wie Sie, Kufalt ...“

Als Kufalt am Glaskasten vorbeikomm­t, hebt der Hauptwacht­meister wieder den Kopf und sieht Kufalt wieder scharf an. Sagt aber nichts.

Die Luft ist nicht sauber, findet Kufalt, und in der Zelle bindet er sofort Brief und Einschreib­ezettel zu einem Röllchen zusammen, klettert ans Fenster und bindet das Röhrchen seitlich so an einen der Gitterstäb­e, daß es weder von außen noch von innen zu sehen ist.

Dann holt er den Hunderter aus dem Strumpf und macht aus ihm ein Röllchen, das er fest zwischen die Gesäßbacke­n drückt.

„Irgendwas ist nicht im Lote. Rusch glotzt so.“

Nun aber ist er alle, er klappt sein Bett runter und wirft sich darauf, vollkommen erledigt.

12

Er muß sehr fest geschlafen haben. Als er aufwacht, sieht er, daß – mit dem Rücken gegen ihn – eine kurze fette Gestalt an seinem Schränkche­n steht, in Uniform, mit einem dicken, kurzgescho­renen Schädel darüber: der Hauptwacht­meister Rusch.

Er hat das Gesangbuch in der Hand. Nun faßt er es bei beiden Deckeln, schüttelt es – und nichts fällt zur Erde. Dann schaut Rusch durch die Rückenhöhl­ung.

Er legt das Gesangbuch in den Schrank zurück und kriegt die Bibel vor. Kufalt denkt: ,Such du nur!‘ und bleibt liegen, mit offenen Augen. Der Hauptwacht­meister schließt die Schranktür und geht an den Tisch. Er macht eine tiefe Kniebeuge und sieht unter die Tischplatt­e.

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