„Er ist an der Freiheit gescheitert“
Im Donaumoos bei Neuburg hat Oliver Herbrich vor 30 Jahren einen Film mit und über Theo Berger gedreht. Jetzt läuft „Der Al Capone vom Donaumoos“im Kino und zeigt ein Stück bayerische Kriminal- und Heimatgeschichte
Sie waren 24 Jahre alt, als sie 1986 den Film über Theo Berger gedreht haben. Wie sind Sie als Münchner auf ihn aufmerksam geworden?
Oliver Herbrich: Ich war gerade fertig mit der Filmhochschule und hatte vorher einen Film über den Räuber Mathias Kneißl gedreht. Bei den Recherchen bin ich auf Theo Berger gestoßen. Er saß damals in Straubing, es gab aber keine Möglichkeit, mit ihm in Kontakt zu kommen. Alle Versuche wurden von der Gefängnisleitung abgeblockt. Erst über seinen Anwalt bin ich an Berger rangekommen.
Warum war das so schwer? Herbrich: Der Berger-Fall war hochpolitisch. Berger war zu einer Symbolfigur der linken Szene geworden. In Berlin gab es sogar eine Kommune, die sich nach ihm benannt hatte. Was ich damals nicht wusste: Zu der Zeit gab es Vorfälle im Gefängnis, die aus Sicht der Leitung nicht an die Öffentlichkeit kommen sollten. Zum Beispiel hatte Theo Berger im Gefängnis Pistolen und hat Schieß- übungen mit Telefonbüchern gemacht.
Er hatte eine Pistole in der Haft? Herbrich: Jaja, er konnte sich relativ frei bewegen. Aber, und das ist das Erstaunliche, er hat die Pistole nicht eingesetzt, um einen neuen Fluchtversuch zu starten oder Leute um die Ecke zu bringen. Er hat sie als politisches Druckmittel eingesetzt.
Wie muss man sich das vorstellen? Herbrich: Bei einer vorherigen Flucht ist er von einer Mauer gesprungen und hat sich das Fersenbein gebrochen. Das wurde nicht richtig behandelt und in der Folge hatte er Bandscheibenschäden. Die wurden nicht operiert und er wurde als Simulant bezeichnet. Er hatte dann mit einem hohen Ministerialbeamten ein Gespräch. Dem sagte er vorab, dass er eine Waffe in der JVA Straubing versteckt habe und sie im Tausch gegen die benötigte Operation herausgeben würde. Als die OP dann genehmigt wurde, stellte sich heraus, dass Theo Berger die Waffe bei sich trug. Er übergab sie dem verdutzten Ministerialbeamten, geladen und entsichert! Die Justiz hatte natürlich kein Interesse daran, dass der Vorfall an die Öffentlichkeit gelangt.
Als Sie Kontakt zu ihm aufnahmen, war Berger 45 Jahre alt und hatte schon 22 Jahre im Gefängnis verbracht.
Herbrich: Die ersten Verurteilungen lagen ja in den 60er-Jahren. Damals gab es noch Zuchthaus und Arrest. Arrest bedeutete drei Wochen verschärfte Haft, zwei Tage nur bei Wasser und Brot, ohne Matratze nur mit Decke und jeden dritten Tag eine Suppe. Das hat der Berger auch noch als disziplinarische Maßnahme erlitten. In der Zeit hat er auch die Bibel mehrmals gelesen. Das war die einzige Literatur, die in der Zelle auslag.
Warum wurde er so hart bestraft? Wollten die Behörden ein Exempel statuieren?
Herbrich: Nein, das hat sich hochgeschaukelt. Es ging in der Jugend los: In so einem Dorf wie Ludwigsmoos zählen die Autoritäten wie der Pfar- rer oder der Lehrer. Und er ist da relativ schnell angeeckt und zum Teil unschuldig bestraft worden. Der Pfarrer hat sich zum Beispiel geweigert, sein erstes Kind, das unehelich und tot geboren auf die Welt kam, auf dem Friedhof zu beerdigen – das war ein prägender Moment, warum er gegen Autoritäten aufsässig wurde. Und es waren die 60er-Jahre: Die Studentenbewegung ist zwar nur in den Städten wahrgenommen worden, es gab aber auch auf dem Land eine Bewegung: aufmüpfige Jugendliche, die sich austesten und an die Grenzen gehen wollten. Das hat der Berger wie viele andere auch gemacht, bloß ist er erwischt und sehr hart betraft worden.
Was waren denn seine ersten Vergehen?
Herbrich: Das waren Dumme-Buben-Streiche: Beleidigung, Wirtshausschlägereien, Fahren ohne Fahrerlaubnis, solche Sachen. Aber allein das erste Urteil: drei Jahre Haft für acht so kleinere Delikte. Als er rauskam, war er von der Polizei als Krimineller abgestempelt und hat sich dann auch so entwickelt. Aber er war sicher kein Unschuldslamm. Er war durchaus ein krimineller Gewalttäter, das sagte er auch selber.
Sie haben in früheren Interviews gesagt, dass Sie dieser Typ Mensch interessiert, der aus der Gesellschaft fällt. Herbrich: Im Grunde ist der Berger eine typisch bayerische Figur. Es gibt so eine gewisse Auflehnung gegen Autoritäten, so einen süddeutschen Anarchismus. Leute, die sich nichts sagen lassen wollen. Der Berger hat es halt immer weiter getrieben als alle anderen. Und immer, wenn was war, hat die Polizei ihn hochgehen lassen. Die hat dann schon vorm Wirtshaus gewartet und genau ihn kontrolliert. Es hat sich ein regelrechtes Räuber-und-Gendarm-Spiel entwickelt. Am Anfang war das harmlos, aber es wurde immer gewalttätiger. Von beiden Seiten. Wie ist das Drehbuch entstanden? Herbrich: Zuerst habe ich seine Bio- grafie bekommen, die er im Gefängnis geschrieben hat. Das war natürlich eine super Quelle für Erstinformationen. Ich hatte auch die ganzen Gerichtsakten. Zusammen war das das Gerüst für das Drehbuch. Dann kam der Berger 1985 auf Haftverschonung raus, weil er Leukämie hatte, und ich habe den Berger das erste Mal bei ihm zu Hause in Ludwigsmoos kennengelernt. Er hatte eigentlich bessere Angebote für seine Geschichte, unser Film ist ja ohne Geld entstanden. Aber er wollte, dass es mal aus seiner Sicht dargestellt wird.
Sie haben ihm viel Freiraum gelassen. Herbrich: Das war das Konzept des Films. Eine richtige Wahrheit gibt es ja eh nicht, deshalb hab ich den Film auch so ausgewiesen, dass es Bergers Sicht der Dinge ist. Er konnte das ja auch – er ist reflektiv und beschönigt sein Leben nicht. Und das macht den Film interessant.
Wie viel Zeit haben Sie mit Theo Berger für diesen Film denn dann verbracht?
Herbrich: Die reinen Dreharbeiten im November haben zwei Wochen gedauert. Das war auch die einzige Zeit, wo es eine Auseinandersetzung von Berger mit seiner Vergangenheit und auch mit seiner Zukunft gab. Er war nicht begnadigt: Er war nur so lange draußen, wie er krank war. Wäre er gesund geworden, hätte er wieder in den Knast gemusst. Jetzt hatte er aber auch keinen Führerschein mehr und saß da draußen in Ludwigsmoos auf dem Hof seiner Eltern – in Freiheit war er genauso eingeschränkt wie im Gefängnis. Es gab damals keine Betreuung, keine Resozialisierung. Ich denke, er ist an der Freiheit gescheitert. Sechs Wochen nach den Dreharbeiten wurde er beim Ausspähen einer Bank in einem gestohlenen Auto verfolgt und wieder verhaftet. Haben Sie mitbekommen, dass da was geplant war? Herbrich: Nein. Wir haben immer gejammert, weil wir kein Geld für den Film hatten. Da hat er gesagt, er könne Geld besorgen. „Theo, lass das bloß bleiben“, haben wir ihn gewarnt.
Warum konnten Sie niemanden dafür gewinnen, den Film zu finanzieren? Herbrich: Mir war klar: Wenn man den Film dreht, dann muss man ihn gleich drehen. Wenn man zu lange wartet, wird das nichts. Das hat sich am Ende ja auch so bewahrheitet. In Bayern war zu der Zeit aber die ganze politische Situation so, dass die Geschichte unmöglich gesendet werden konnte. Es war klar, dass wir das selber stemmen müssen. Es wurden keine Gagen ausbezahlt, und so ist der Film unter Beteiligung der Mitwirkenden entstanden. Ich konnte dem Berger kein Geld anbieten, aber ich konnte ihm wenigstens zusichern, dass der Film so wird, wie er sich darstellen möchte. Aber es kommen durchaus auch andere zu Wort: Opfer, Polizisten, Verwandte, Pfarrer – es ist keine One-ManShow.
Trotzdem haben Sie den Film gemacht, damit er ausgestrahlt wird. Welche Probleme gab es dann? Herbrich: Der Film lief auf den Hofer Filmtagen. Die Kopien gehen dann automatisch an den
Ein Redakteur hat den Film angeschaut und mir ungefragt einen erbitterten Brief geschrieben, dass der Berger da nur die Heldenrolle spielt und die Machart des Films würde die Grenzen des guten Geschmacks überschreiten.
Warum hat der BR ihn nicht gezeigt? Herbrich: Ich glaube, das war vorauseilender Gehorsam. Heute könnte man sich vorstellen, dass der Film vielleicht im laufen würde. Der Film wurde dann im gezeigt und musste sogar hochdeutsch untertitelt werden Warum kommt der Film jetzt, 30 Jahre später, wieder ans Licht? Herbrich: Ich habe alle meine Filme digitalisieren lassen. Es steckt viel Arbeit und Lebenszeit drin und es wäre schade, wenn die Filme sangund klanglos untergehen. Dann kam die Idee, den Berger-Film noch mal zu zeigen, weil der Theo mittlerweile eine Figur der Zeitgeschichte ist. Andererseits ist der Film immer noch aktuell – von dem, was der Theo verkörpert. Viele Zuschauer sind jünger, als der Film alt ist, und können trotzdem mit dem Thema etwas anfangen.
In Ingolstadt und Neuburg lief der Film schon. Wie wird er vom Publikum angenommen?
Herbrich: Es ist natürlich ein SpecialInterest-Film. Aber in Ingolstadt lief er immerhin 19 Wochen und in Neuburg fünf. Es war mir eine Herzenssache, den Film zu machen, und das wird von den Leuten auch honoriert. Ich war bei einigen Vorführungen dabei und einige Leute haben mir erzählt, dass sie als Kind „Theo Berger“gespielt haben. Er war eine Identifikationsfigur und alle finden es interessant, „den Berger“mal live zu sehen und zu hören.
„Viele Zuschauer sind jünger, als der Film alt ist, und können trotzdem mit dem Thema etwas anfangen.“Oliver Herbrich
Was hat der Film mit Ihnen gemacht? Herbrich: Er hat auf jeden Fall dafür gesorgt, dass ich nie wieder eine Filmförderung in Bayern bekommen habe. Nein, ich möchte ihn nicht missen und fand auch die Zusammenarbeit mit Berger gut. Wenn man den Film nach über 30 Jahren sieht, bemerkt man, dass sich vieles geändert hat – heutzutage wird ganz anders geschnitten. Aber es ist das einzige Dokument über Theo Berger, es gibt sonst kein Filmmaterial, und ich bin immer noch stolz auf den Film.
OFilm Kinostart im Cineplex Kino in Aichach ist am kommenden Donners tag, 26. April. Der Film „Der Al Capone vom Donaumoos“läuft dort täglich ab 19.30 Uhr sowie am Sonntag ab 11 Uhr als Matinee.