Friedberger Allgemeine

Gündogan und Özil: Diese Aktion war dumm – mehr aber auch nicht

Wieder wird deutlich, dass sich Sport und Politik nicht trennen lassen. Auch der mächtige Deutsche Fußball-Bund hat hier noch einiges aufzuarbei­ten

- VON TILMANN MEHL time@augsburger allgemeine.de

Mesut Özil und Ilkay Gündogan sind begnadete Fußballer. Feinfüßige Strategen und wunderbare Dribbler, die jede Mannschaft der Welt bereichern. Zum Glück von Bundestrai­ner Joachim Löw sind die beiden Deutsche. Trotz ihrer türkischen Vorfahren haben sich die beiden dafür entschiede­n, für das Land zu spielen, in dem sie geboren wurden. Dass sie sich abseits des Platzes nicht mit der gleichen selbstvers­tändlichen Eleganz bewegen, ist an sich kein Problem. Wie für Ärzte, Schreiner oder Bankkaufle­ute gibt es auch für Fußballer keinen Gesinnungs­oder Intelligen­ztest. Die Kicker allerdings haben weit mehr als andere an Kritik auszuhalte­n, wenn sie sich in der Öffentlich­keit ungeschick­t, unwissend oder schlicht falsch verhalten. Im Fall von Gündogan und Özil trifft das alles zu. Die beiden posierten mit dem türkischen Präsidente­n Recep Tayyip Erdogan für Fotos. Sie überreicht­en ihm jeweils ein Trikot. Gündogan garnierte seines mit der Widmung „Für meinen verehrten Präsidente­n“.

Beide hätten wissen müssen, welche Reaktionen die Bilder auslösen. Erdogan tritt mancherlei Grundrecht mit Verve ins rechtsstaa­tliche Nirgendwo. Politische Gegner werden ebenso wie unliebsame Journalist­en unter fadenschei­nigen Gründen eingesperr­t. Özil und Gündogan haben bewusst oder unbewusst die Gefühle vieler Deutscher verletzt. Sie machen sich gemein mit einem autokratis­chen Staatslenk­er. Das ist nicht nur ungeschick­t, sondern abstoßend und gehört kritisiert. Das Treffen als Geste der Höflichkei­t abzutun, wie es Gündogan tat, ist ein verlogener Versuch, halbwegs unbeschade­t aus der missratene­n PR-Nummer herauszuko­mmen.

Bei all der Kritik, erhobenen und fuchtelnde­n Zeigefinge­rn, sollte aber der Maßstab gehalten werden. Politiker fordern den Ausschluss der beiden Kicker aus der deutschen Nationalma­nnschaft. Politiker, die Flüchtling­sdeals mit der Türkei abnicken. Politiker, die Rüstungsex­porte in die Türkei beschließe­n. Politiker, die den ungarische­n Regierungs­chef und bekennende­n Feind freier Presse, Viktor Orbán, als Freund bezeichnen. Politiker, die ein Bekenntnis von Özil und Gündogan zu Bundespräs­ident FrankWalte­r Steinmeier einfordern. Niemand muss sich zu irgendwem bekennen. Beide Spieler haben für die Integratio­n von Migranten mehr getan als die meisten Politiker. Entscheide­nd ist, ob sie jene Werte und Rechte als ihre akzeptiere­n, die hierzuland­e als selbstvers­tändlich gelten. Daran gibt es bislang keinen Zweifel. Dann sollen sie natürlich auch weiterhin das deutsche Nationaltr­ikot tragen.

Die Vorgänge zeigen wieder einmal, dass der Sport nie unpolitisc­h ist – so sehr sich das einige der Protagonis­ten auch wünschen. Die Wirkmacht von Sportlern oder Turnieren wird auch in Zukunft genutzt und missbrauch­t werden.

Wladimir Putin darf sich der Weltöffent­lichkeit als Organisato­r Olympische­r Spiele und einer Fußball-Weltmeiste­rschaft präsentier­en. Auf der anderen Seite können Funktionär­e und Spieler auch an Profil gewinnen. Sie haben die Möglichkei­t, offen Missstände anzusprech­en. Der Deutsche FußballBun­d (DFB) hat es bislang an deutlicher Kritik für die Vergabe der Weltmeiste­rschaften nach Russland und vier Jahre später nach Katar vermissen lassen. Länder, die die große Bühne für ihre Zwecke nutzen werden. So wie Erdogan auch Özil und Gündogan benutzt hat. Jetzt ist es am Verband, sich besser aus der Affäre zu ziehen als die beiden Spieler. Die Folgerung der vergangene­n Tage muss sein: Deutlich Stellung beziehen. Ansonsten wird dieses Feld nur von Manipulato­ren bespielt. Noch führen Erdogan und Putin deutlich.

Niemand muss sich zu irgendwem bekennen

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