Friedberger Allgemeine

Aufruhr im Vorzeigela­ger

Für das Innenminis­terium ist das Transitzen­trum in Manching Vorbild für die geplanten Ankerzentr­en. Bei einem Presseterm­in protestier­ten Bewohner gegen die Bedingunge­n

- VON LUZIA GRASSER

Ingolstadt/Manching Martin Nell steht auf einer kleinen Rasenfläch­e, umringt von einem Pulk Journalist­en. „Hier zur Rechten sehen Sie das Gebäude 60“, sagt der Sprecher der Regierung von Oberbayern und streckt seine Hand in Richtung des schmucklos­en Baus aus. „Hier wird das Landesamt für Asyl einziehen.“Zur Linken, nur ein paar Meter neben Nell, stehen zig Flüchtling­e, von Security-Mitarbeite­rn zurückgedr­ängt hinter einen Bauzaun. Sie rufen laut „We want freedom, we want peace“– „Wir wollen Freiheit, wir wollen Frieden“.

Nell und seine Kollegen von der Regierung von Oberbayern ziehen weiter, bei einem offizielle­n Presserund­gang wollen sie den Journalist­en das ansonsten nicht zugänglich­e Transitzen­trum Manching zeigen. Station 2 sind Spiel- und Bastelzimm­er, Station 3 sind Kantine und Klassenzim­mer, Station 5 ein Schlafraum. Nicht auf dem Programm hingegen stehen die Proteste. Zahlreiche Bewohner, die meisten aus Nigeria, demonstrie­rten vor Kamerateam­s aus ganz Deutschlan­d lautstark gegen die Bedingunge­n ihrer Unterbring­ung.

Das Transitzen­trum in Manching mit seinen drei Außenstand­orten in Ingolstadt und seinen aktuell rund 1100 Bewohnern soll nach der Vor- von Bundesinne­nminister Horst Seehofer Vorbild sein für die bundesweit geplanten Ankerzentr­en. Geht es nach den Menschen, die dort leben, dann gibt es dort nichts Vorbildhaf­tes. Das Essen? „Zu wenig, zu schlecht.“Die Zimmer? „Viel zu klein.“Die Ausstattun­g für Babys? „Es gibt nicht genug Windeln.“Die Menschen sind aufgebrach­t, wütend. „Man wird verrückt hier“, sagt einer. Sie wollen raus aus dem Transitzen­trum, in dem die meisten von ihnen schon viele Monate, manche gar mehr als ein Jahr leben. Einer hält ein Plakat hoch, auf dem steht: „Wir sind es leid, in Lagern zu leben.“Martin Nell sagt: „Die Unterbring­ung ist völlig in Ordnung. Es ist eine menschenwü­rdige Situation, die wir gut verantwort­en können.“

Die ehemalige Max-ImmelmannK­aserne in Manching wurde im September 2015 während der Flüchtling­skrise zu einer sogenannte­n Ankunfts- und Rückführun­gseinricht­ung (ARE). Seit 2017 ist dort eines von bayernweit drei Transitzen­tren untergebra­cht. Hier leben Asylsuchen­de, die kaum eine Bleibepers­pektive in Deutschlan­d haben. Waren anfangs viele Men- schen aus den Balkanstaa­ten untergebra­cht, sind es mittlerwei­le vorwiegend Nigerianer, aber auch einige Ukrainer und Afghanen.

In den vergangene­n knapp drei Jahren sind 2500 Flüchtling­e aus Manching – mit finanziell­er Unterstütz­ung – wieder freiwillig in ihre Heimatländ­er zurückgere­ist, weitere rund 1000 wurden abgeschobe­n. Allerdings versuchen auch immer wieder Flüchtling­e, sich ihrer Abschiebun­g zu entziehen. Thomas Schmid, Leiter der Einrichtun­g, spricht davon, dass seit September 2015 rund 800 Bewohner verschwund­en seien und zumindest in Bayern nicht wieder aufgetauch­t sind.

Manching als Vorbild für geplante Ankerzentr­en (Anker steht für Ankunft, Entscheidu­ng, Rückführun­g)? Willi Dräxler kann da nur den Kopf schütteln. Er ist der Fachrefere­nt für das Thema Migration bei der Caritas, die im Transitzen­trum mit vier Mitarbeite­rn eine Asylsozial­beratung anbietet. „Ein Ankerzentr­um ist nichts anderes als ein Transitzen­trum“, sagt Dräxler. Das bedeutet: Viele Menschen leben auf engem Raum zusammen, das Asylverfah­ren soll so schnell wie möglich abgewickel­t werden. Und am Ende steht die Rückkehr ins Heimatland.

Doch diese Konzentrat­ion auf wenige Standorte führe zu Problestel­lung men, betont Dräxler: „Die Enge schafft Konflikte.“So müsse die Polizei laut Thomas Schmid an die 250 Mal im Jahr zu einem der Standorte ausrücken. Da geht es um zu lautes Musikhören, um Drängeln bei der Essensausg­abe oder es gibt Streit wegen verbotener Herdplatte­n auf den Zimmern. Deshalb plädiert die Caritas auch für die Unterbring­ung in dezentrale­n Unterkünft­en.

„Integratio­n ist eine Nullnummer“, sagt Dräxler über das Transitund mögliche Ankerzentr­um Manching. Es gibt keine Sprachkurs­e, die Bewohner dürfen nicht arbeiten,

1000 Bewohner wurden bereits abgeschobe­n

Integratio­n sei nur in kleinen Unterkünft­en möglich

sie finden in diesem riesigen Transitzen­trum, das auch noch weit außerhalb der Stadt liegt, keine einheimisc­hen Freunde und erst recht keine Wohnung. Immer wieder hören die Caritas-Berater Klagen über die Zustände im Lager, oft geht es ums Essen. Dräxler aber sagt: „Der Protest gegen das Essen ist ein verschoben­es Problem.“Damit meint er: Die Leute wollen eigenes Geld verdienen, um sich damit eigenes Essen kaufen zu können. So sieht er auch die Flüchtling­sdemo als Hilferuf der Bewohner: „Hilf mir da raus, ich will ein ganz normales Leben führen.“

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Foto: Alexandra Beier, Getty Images Das Transitzen­trum in Manching mit seinen drei Außenstell­en in Ingolstadt soll nach den Vorstellun­gen von Bundesinne­nminister Horst Seehofer Vorbild sein für die bundes weit geplanten Ankerzentr­en. Gestern konnte es von Journalist­en besichtigt werden,...

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