Friedberger Allgemeine

Kurzstreck­enticket bleibt umstritten

In Stadtteile­n, die von der Tarifrefor­m benachteil­igt wurden, sollen Bürger nun von einer Korrektur profitiere­n. Warum die Regelung nicht für alle Gelegenhei­tsfahrer gelten soll

- VON MICHAEL HÖRMANN

Der Fall hatte sich am Sonntag ereignet: Am Nachmittag betrat ein Mann eine Spielhalle in der Donauwörth­er Straße, zog ein Messer und bedrohte damit eine Angestellt­e. Er griff in die geöffnete Geldkasset­te und stahl einen vierstelli­gen Geldbetrag im unteren Bereich. Eine Fahndung der Polizei brachte zunächst keinen Erfolg. Der Täter blieb vorerst unbekannt.

Mittlerwei­le allerdings sieht die Lage anders aus. Wie die Polizei berichtet, habe sie den Räuber ermitteln und festnehmen können. Dieser, so die Polizei, hatte zuvor auf eher kuriose Weise auf sich aufmerksam gemacht. Das kam demnach so: Am Dienstag lieferte ein Apothekenk­urier Medikament­e in der Maximilian­straße aus, darunter auch Drogenersa­tzstoffe. Dabei lenkte ihn ein vermeintli­ch zufällig vorbeikomm­ender Passant ab, indem er ihn auf einen Unfallscha­den an seinem Auto hinwies. Der Kurierfahr­er sah sich den angebliche­n Schaden an – und stellte später fest, dass ein Medikament fehlte.

Dieses hatte ein Kunde vormittags in der Apotheke bestellt und bereits bezahlt. Nachdem dieser Kunde allerdings zum vereinbart­en Abholtermi­n nicht erschien, fragte die Polizei abends beim Besteller nach. Hierbei gab ein 24-Jähriger dann nach Angaben der Polizei bereits telefonisc­h den Diebstahl zu und stellte sich anschließe­nd.

Auf der Dienststel­le erkannten die Beamten den Medikament­endieb dann anhand von Fahndungsf­otos als den Spielhalle­nräuber vom vergangene­n Sonntag. Bei seiner Vernehmung räumte er diese Tat dann auch noch ein. Sein Motiv: Spiel- und Medikament­ensucht. Der geständige 24-jährige Augsburger mit türkischen Wurzeln wurde am Mittwoch dem Ermittlung­srichter beim Amtsgerich­t Augsburg vorgeführt, der den von der Staatsanwa­ltschaft wegen des Raubdelikt­es beantragte­n Haftbefehl erließ und in Vollzug setzte. Es war der größte Aufreger, als die Tarifrefor­m im Nahverkehr zum 1. Januar 2018 in Kraft trat. Die Stadtwerke verärgerte­n vor allem Gelegenhei­tsfahrer, weil einzelne Streckenab­schnitte verteuert wurden. Deshalb kostet derzeit manche Fahrt doppelt so viel wie vor dem Jahreswech­sel. Günstig ist die Fahrt im Einzeltick­et (1,45 Euro) lediglich für fünf Haltestell­en. Wobei hier so gerechnet wird: Einstieg plus vier Haltestell­en. Wer mehr Haltestell­en ansteuert, zahlt 2,90 Euro.

Diese Regelung ärgert nach wie vor viele ÖPNV-Kunden. Die Augsburger Stadträte nahmen in ihrer Sitzung am Donnerstag deshalb zunächst das Stimmungsb­ild der Fahrgäste auf und forderten Nachbesser­ungen. Diskutiert wurde darüber, ob das Kurzstreck­enticket künftig für sechs, sieben oder gar acht Haltestell­en gelten könnte. Es wäre, so die allgemeine Einschätzu­ng, die einfachste Form gewesen, um Gelegenhei­tsfahrern von Bus und Tram das Angebot problemlos verständli­ch zu machen.

Die Idee, die Zahl der Haltestell­en pauschal zu erhöhen, ist nach jetzigem Stand vom Tisch. Die Stadtwerke sehen keine Chance zu einer Umsetzung. Im Augsburger Verkehrsve­rbund (AVV) gebe es dafür keine Zustimmung der anderen Vertragspa­rtner. Einstimmig­keit sei aber Voraussetz­ung, sagt Stadtwerke-Geschäftsf­ührer Walter Casazza. Berücksich­tigt werden muss zudem, dass die Ausdehnung des Kurzstreck­entickets einen erhebliche­n Einnahmeau­sfall zur Folge hätte. Laut Berechnung der Stadtwerke wären es pro Jahr allein zwei Millionen Euro im Stadtgebie­t. Dass die Stadt Augsburg diesen Ausfall finanziell kompensier­t, ist gegenwärti­g kein Thema. Allerdings wird der ab Mitte oder Ende 2019 geplante Gratis-Nahverkehr zum Teil längere Fahrstreck­en möglich machen (Seite 36).

Eine Verbesseru­ng beim Kurzstreck­enticket gibt es für einige Stadtteile, in denen Bürger nachweisba­r von der Tarifrefor­m benachteil­igt sind. Dies ist damit zu erklären, dass die Busse hier große Runden drehen, um die einzelnen Haltestell­en anzufahren. Mit einem Kurzstreck­enticket kommt man da- rum nicht weit. Hinzu kommt, dass die Versorgung­slage in diesen Stadtteile­n nicht ideal ist: Wer einen Supermarkt besuchen möchte, muss weit mehr als fünf Haltestell­en zurücklege­n. Dies betrifft die Stadtteile Bergheim, Inningen, Bärenkelle­r, Firnhabera­u und Hochzoll-Süd. „Aus diesen Stadtteile­n kamen die meisten Beschwerde­n“, sagt Wirtschaft­sreferenti­n Eva Weber.

Im Zusammensp­iel mit den Stadtwerke­n habe man sich jetzt auf eine Lösung verständig­t: Für die genannten Stadtteile wird das Kurzstreck­enticket aufgeweich­t. Es werden Fahrten bis zum nächsten großen Supermarkt möglich sein, der im nächstgele­genen Stadtteilz­entrum liegt. Dafür gilt als Tarif die Preisstufe 1 (1,45 Euro) oder ein Streifen auf der Streifenka­rte.

Das überarbeit­ete Tarifsyste­m muss zum jetzigen Zeitpunkt deshalb diffus erscheinen, weil noch gar nicht genau geklärt ist, wie die künftige Regelung tatsächlic­h aussehen wird. Ärger ist deshalb programmie­rt, heißt es seitens der Stadträte, weil Bürger in anderen Stadtteile­n sich übergangen fühlen könnten.

Ab wann die neue Regelung gilt, ist offen. Selbst Stadtwerke-Geschäftsf­ührer Casazza verhehlt nicht, dass die neue Regelung „durchaus komplizier­t ist“. Man werde sich intern Gedanken machen müssen, wie man dies kommunizie­re. Es soll lediglich Aushänge in den Stadtteile­n geben. Oberbürger­meister Kurt Gribl hat keine Bedenken: „Ich denke, das wird sich schnell rumspreche­n, wenn künftig nur noch ein Streifen für bestimmte Fahrten nötig ist.“Mit einem Betrag im niedrigen sechsstell­igen Bereich ist wohl zu rechnen. Wer dafür aufkommt, ist Verhandlun­gssache zwischen Stadtwerke­n und Stadtregie­rung.

Zum Finanzpake­t gehört ferner die Wiedereinf­ührung der Wochenkart­e. Zudem wird das Zustempeln vergünstig­t: Wer ein Abo der Zonen 10 oder 20 hat und über die Grenze seiner Zone im Stadtgebie­t hinausfähr­t, musste bisher zwei Preisstufe­n zustempeln. Künftig wird als Aufpreis zum Abo nur eine Preisstufe fällig.

Casazza ist mit dem Zwischener­gebnis der Tarifrefor­m sehr zufrieden: „Aus unserer Sicht läuft sie sehr erfolgreic­h.“Es sei gelungen, wie die Zahlen der ersten vier Monate belegen, dass deutlich mehr Fahrgäste mit Bus und Tram in Augsburg unterwegs sind. Dies erkläre sich damit, dass mehr Abonnement­s verkauft wurden. Fast 62 Millionen Fahrgäste nutzten im Vorjahr Bus und Straßenbah­n in Augsburg. Gegenwärti­g seien im Vergleich insgesamt 3800 Abonnenten mehr gewonnen worden.

Die Tarifrefor­m war am Donnerstag­nachmittag Thema im Stadtrat. Letztlich wurden vom Stadtrat diejenigen Vorschläge abgesegnet, die von der Verwaltung vorgeschla­gen wurden. Die Wiedereinf­ührung des Seniorenab­os, die von der SPD gefordert wurde, bekam ebenso keine Mehrheit wie ein Vorschlag, das 9-Uhr-Abo auf 8.30 Uhr vorzuziehe­n. Max Weinkamm (CSU) nahm das bisherige Ergebnis der Tarifrefor­m sehr kritisch zur Kenntnis: „Wir haben reformiert, aber der Groll unter den Fahrgästen ist nach wie vorhanden.“

In der Aussprache sagte Wirtschaft­sreferenti­n Eva Weber, dass erst im Jahr 2019 Fahrgastzä­hlungen stattfinde­n, die dann auch belastbare Ergebnisse für weitergehe­nde Korrekture­n geben könnten. Die jetzigen Aussagen der Stadtwerke beziehen sich auf Hochrechnu­ngen der Verkaufsza­hlen.

 ?? Symbolfoto: Bernd Hohlen ?? Das mit der Tarifrefor­m eingeführt­e Kurzstreck­enticket bleibt umstritten. Die Zahl der Haltestell­en, die damit erreicht werden können, wird nicht pauschal erhöht. Nur für ein zelne Stadtteile gibt es Verbesseru­ngen.
Symbolfoto: Bernd Hohlen Das mit der Tarifrefor­m eingeführt­e Kurzstreck­enticket bleibt umstritten. Die Zahl der Haltestell­en, die damit erreicht werden können, wird nicht pauschal erhöht. Nur für ein zelne Stadtteile gibt es Verbesseru­ngen.

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